Entsorgungscoupons in Zürich: Kleine Zettel, grosse Aufregung
Ende April laufen die vorerst letzten Entsorgungscoupons aus. Um das Papier ist in Zürich ein politischer Streit entbrannt. Warum die Coupon-Verfechter:innen nicht aufgeben und die Stadt nicht locker lässt.
These: Je alltäglicher Gegenstände sind, desto heftiger sind auch die politischen Streitereien, die sich an ihnen entzünden. Bekannte Beispiele wären da Mauern, Parkplätze, Laubbläser oder eben Entsorgungscoupons.
Seit Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) im vergangenen September die Gutscheine abgeschafft hat, mit denen Sperrgut bis zu 400 Franken gratis entsorgt werden konnte, ist um die Zettel ein politisches Hickhack ausgebrochen.
Am heutigen 30. April laufen die vorerst letzten Coupons nun aus.
Der Stadtrat begründete seinen Entscheid unter anderem mit der Stärkung der Kreislaufwirtschaft. Zudem würden die Coupons dem Verursacherprinzip und der städtischen Abfallverordnung widersprechen.
Es folgte ein Aufschrei im Gemeinderat. Der Wunsch nach einer - wenn auch zeitlich begrenzten - Wiedereinführung der Coupons fand bis ins linke Lager Unterstützung.
Und während sich dieser Tage die Autos schon vor den Entsorgungshöfen stauen und die Medien von einem «Machtkampf» schreiben, stellt sich die Frage: Was ist eigentlich los? Und wie sind wir hier gelandet?
Zwischen Eskalation und unübersichtlicher Situation
«Die ganze Sache ist eskaliert», sagt Emanuel Tschannen und ist selbst einer derjenigen, die das Geschäft am Laufen halten.
Der FDP-Gemeinderat hat im Januar gemeinsam mit Beat Oberholzer (GLP) und Benedikt Gerth (Die Mitte) die noch hängige parlamentarische Initiative (PI), eingereicht. Diese fordert unter anderem, dass 200 Kilogramm Sperrgut noch bis 2028 gebührenfrei entsorgt werden dürfen.
Ihnen gegenüber stehen die Stadt und das zuständige Tiefbau- und Entsorgungsdepartement mit der Vorsteherin und Stadträtin Simone Brander (SP).
Hier wird beschwichtigt: Es handle sich um eine «unübersichtliche» Situation. «Von einer Eskalation im Sinn einer Ausweitung eines Konflikts würden wir nicht sprechen», sagt Alexandra Heeb, Departementssekretärin des städtischen Tiefbau- und Entsorgungsdepartements.
Niemand gibt nach
Dass ausgerechnet Sperrmüll für das grösste stadtpolitische Drama der letzten Monate sorgte, kann auch von anderen Umständen unterstützt worden sein. Da ist die skandalbelastete Vergangenheit der ERZ, deren frühere Dienstabteilung die Gutscheine ohne rechtliche Grundlage einführte. Da ist eine Stadträtin, deren Politstil als konsequent oder «stur» (NZZ) beschrieben wird. Und da sind die Bürgerlichen, die ein Jahr vor den Gesamterneuerungswahlen, einen «Kippmoment» in der Stadt wittern. Doch unabhängig von der Lagebeurteilung sind zurzeit drei parlamentarische Geschäfte zu dem Thema hängig. Ein Postulat, eine Parlamentarische Initiative und ein Coupons-Zusatz zur Weisung des Mobilen Recyclinghofs. Im April hat der Stadtrat entschlossen, wegen letzterer den Rechtsweg zu beschreiten.
Bislang gibt niemand nach.
Die Initianten Tschannen, Oberholzer und Gerth halten an ihrer parlamentarischen Initiative fest, obwohl der Gemeinderat bereits ein ähnlich lautendes Postulat überwiesen hat und die im März vom Parlament ergänzte Weisung zum Mobilen Recyclinghof ebenfalls eine befristete Rettung der Entsorgungscoupons fordert.
Diese Doppelspurigkeit sei notwendig, sagt Tschannen. «Wir haben in der zuständigen Kommission mehrmals das Gespräch mit Stadträtin Brander gesucht und gemerkt: Wir kommen keinen Zentimeter weiter. Es gibt kein Entgegenkommen.»
«Wir reden ja nicht von einem neuen AKW in Zürich, sondern von zwei Coupons.»
Emanuel Tschannen, FDP-Gemeinderat
Der Vorwurf: Die Verwaltung und der links-grüne Stadtrat verfolge mit wechselnden Argumenten ideologische Ziele – und zielten damit vor allem auf jene ab, die mit einem Auto unterwegs seien. Dass die mobile Entsorgung gratis sei, die Coupons aber abgeschafft werden, sei «trump'sche Logik in Reinkultur», wie die FDP auf ihrer Webseite schreibt.
Laut Tschannen eine «Nulllösung»: «Wir reden ja nicht von einem neuen AKW in Zürich, sondern von zwei Coupons.»
Und für diese scheint man bereit, weit zu gehen: Sollte die parlamentarische Initiative keine Mehrheit finden, würde die Lancierung einer Volksinitiative ernsthaft geprüft, sagt Tschannen.
Stadt will keinen «Murks»
Auch die Stadt hält an ihrer Position fest.
In einer Gemeinderatssitzung im März machte Stadträtin Simone Brander ihren Standpunkt noch einmal deutlich: Für eine Wiedereinführung der Coupons brauche es eine Änderung der Abfallverordnung und da die Gutscheine in der Summe über die Jahre mehr als 20 Millionen Franken ausmachen würden, müsste der Betrag zuerst von der Stimmbevölkerung gutgeheissen werden.
«Für einen anderen Murks bin ich nicht zu haben», sagte Brander damals.
Im April reichte der Stadtrat eben die Aufsichtsbeschwerde beim Bezirksrat ein. Dabei gehe es darum zu prüfen, ob die Ergänzung mit den Gutscheinen in der Weisung zum Mobilen Recyclinghof sachfremd und damit unzulässig sei. Das zu klären, sei demokratiepolitisch wichtig, sagt ERZ-Departementssekretärin Alexandra Heeb. «Die Coupons an sich sind dabei gar nicht das Thema.».
«Wir kommen dem Bedürfnis der Bevölkerung nach, im Alltag ohne Auto im Quartier entsorgen zu können.»
Alexandra Heeb, Departementssekretärin
Das vom Volk beschlossene Netto-Null-Ziel 2040 gebe der Stadt den Auftrag, Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Das bedinge auch Veränderungen beim Konsum- und Entsorgungsverhalten.
Departementssekretärin Alexandra Heeb sagt: «Mit dem Mobilen Recyclinghof kommen wir dem Bedürfnis der Bevölkerung nach, im Alltag ohne Auto im Quartier entsorgen zu können.»
Doch: Mit der parlamentarischen Initiative habe die Diskussion die richtige Ebene erreicht, sagt Heeb. Man sei offen für rechtskonforme Anpassungen der Abfallverordnung gemeinsam mit dem Parlament.
Wie hoch die Kosten sind, die durch die Zusatzrunden im Parlament und Bezirksrat anfallen, lässt sich gemäss Nachfrage bei ERZ kaum beziffern. Vermutlich seien diese «aber weniger hoch als ein Jahresversand Entsorgungs-Coupons».
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2000 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 2500 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei! Natürlich jederzeit kündbar!
Aufgewachsen am linken Zürichseeufer, Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft an den Universitäten Freiburg (CH) und Basel. Sie machte ein Praktikum beim SRF Kassensturz und begann während dem Studium als Journalistin bei der Zürichsee-Zeitung. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin untersuchte sie Innovationen im Lokaljournalismus in einem SNF-Forschungsprojekt, wechselte dann von der Forschung in die Praxis und ist seit 2021 Mitglied der Geschäftsleitung von We.Publish. Seit 2023 schreibt Nina als Redaktorin für Tsüri.ch.