Der schmale Grat zwischen Journalismus und Aktivismus

Wenn Aktivismus und Journalismus aufeinandertreffen, entsteht ein kraftvoller Berührungspunkt zweier an und für sich unabhängigen Themen. Es ist eine Gratwanderung zwischen kritischer Beobachtung aus der Distanz und emotionaler Teilnahme im Wertekonsens. Inwiefern aber darf der Journalismus diese Doppelrolle eines Informationsmediums mit kommentierenden Einschätzungen übernehmen, um seine oft kritisierte Glaubwürdigkeit nicht (gänzlich) zu verlieren?

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Foto: Emilio Masullo

Gemeinsam schreiten sie voran, rufen wieder und wieder dieselben Parolen und unterstreichen ihre Forderungen mit hochgehaltenen Schildern. Es sind Aktivist:innen, die für etwas einstehen und für Veränderung oder gesellschaftlichen Wandel kämpfen. Dass sie sich dabei positionieren und ihre Werte klar nach aussen kommunizieren, ist unbestreitbar. In welcher Form sie das tun, ob physisch, online oder medial, bleibt ihnen überlassen.

Eine andere Art, auf etwas aufmerksam zu machen, geschieht durch den Journalismus. Als klassisches Informationsmedium verlangt er hingegen nach einer kritischen, aber trotzdem neutralen Berichterstattung. Fernab von jeglicher Tendenz, die eigene Meinung darin preis zu geben. Das bedeutet aber nicht, dass es einen solchen Journalismus nicht gibt. Meinungsjournalismus oder Haltungsjournalismus sind Beispiele, in denen Autor:innen Stellung zu bestimmten Themen beziehen.

Da stösst man schnell an die Frage, inwieweit sich diese zwei Bereiche noch voneinander trennen lassen. Speziell in der heutigen Welt, wo scheinbar jede:r eine Meinung zu einer Angelegenheit haben muss, gestaltet sich die Trennung durchaus schwierig.

«Mach dich nicht gemein mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache»

Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschafen (ZHAW), erklärt die Aufgabe des Informations-Journalismus mit einem oft zitierten, wenn auch nicht immer im korrekten Kontext wiedergegebenen Spruch von Hanns Joachim Friedrichs: «Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache.» Im Kern heisst das, Distanz zu halten, objektiv und unparteiisch zu berichten.

Auch in den Richtlinien des Journalist:innenkodex findet sich die «Wahrheitssuche» an oberster Stelle. Sie bildet den Ausgangspunkt der Informationstätigkeit, heisst es. Und dabei gilt, journalistische Einschätzungen von der reinen Berichterstattung zu trennen, wie es die Richtlinie 2.3 «Trennung von Fakten und Kommentar» vorsieht. Ein:e Journalist:in habe darauf zu achten, dass das Publikum zwischen Fakten und kommentierenden sowie kritisierenden Einschätzungen unterscheiden könne. Die Verantwortung liegt also bei den Journalist:innen.

Journalismus nach rigoroser Objektivitätspflicht bedeutet folglich: Person A fragt bei Person B nach und berichtet schematisch über deren Aussage. Oder auch, Person A beobachtet ein Ereignis und gibt es so urteilsfrei wie möglich wieder. Das kommt der grundsätzlichen Berichterstattungsaufgabe des Journalismus zwar nach, bleibt aber selten so präsent und nachhaltig in Erinnerung, wie aktivistisches Schaffen.

Ein aktivistisches Rollenselbstverständnis widerspricht für Wyss aber grundsätzlich nicht per se der journalistischen Grundhaltung, unabhängig die Gesellschaft zu beobachten und objektiv darüber berichten zu können: «Wenn allgemein akzeptierte Werte wie beispielsweise Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit verletzt werden, sollte von Journalist:innen erwartet werden, dass sie sich transparent in eine aktive Rolle begeben. Sie müssen versuchen, mit journalistischen Mitteln wie Recherchieren und Kritisieren beispielsweise politische Akteur:innen zu konfrontieren und zu aktivieren.» Wichtig sei hierbei immer, diese Rolle transparent zu machen, betont Wyss.

Klima, Solidarität oder Fragen der Geschlechtergleichheit seien zum Beispiel solche Themen, bei denen Journalist:innen oft ihre Rolle als neutrale Berichterstatter:innen verlassen und wertorientiert mit Haltung angehen würden.

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Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaft (Foto: Vinzenz Wyss)

Dieser werteorientierte Journalismus funktioniere aber nur da, wo ein Konsens über die Bedrohung der Werte bestehe. Sonst verliere ein Medium an Glaubwürdigkeit, so Wyss. «Drogen oder Gewalt an Schulen, Armut oder Jugendarbeitslosigkeit sind etwa solche Themen, wo Einigkeit darüber besteht, dass sie nicht nur problemorientiert thematisiert werden sollten.» Da müssten Lokaljournalist:innen das Problem auf die Agenda setzen und aktiv nach Lösungen recherchieren, Dialoge organisieren, interaktive Foren anbieten und so zivilgesellschaftlich engagiert demokratische Prozesse anstossen, meint Wyss.

Dass das nicht immer gelingt, zeigt ein Beispiel einer deutschen Zeitschrift, die vergangenen Herbst zusammen mit Klimaaktivist:innen ein Cover gestaltet hat. «Für mich geht das zu weit», sagt Wyss und ist mit seiner Kritik nicht allein. «Dadurch positioniert sich die Zeitung. Wenn man als objektive Berichterstatter:innen nach Lösungen sucht, sei es politisch, wirtschaftlich, ethnisch oder kulturell, sollte man sich als Moderator:in nicht so stark einnehmen lassen, sondern für verschiedene Lösungsvorschläge offen bleiben», meint Wyss. Lasse man hingegen ein Cover von anderen gestalten, werde das Handwerk aus der Hand gegeben. Wyss rät auch hier, dem Publikum gegenüber transparent zu machen, wann man sich als Medium bewusst projektbezogen in die Rolle des aktivistischen Journalismus begibt – so wie bei einem Kommentar.

Der Public Journalism als Vorreiter des aktivistischen Journalismus

Es hängt also auch von den Themenbereichen ab, welche Problemen projektorientiert und mit oder im Konsens gelöst werden können. Verdeutlicht wurde das vor allem durch den Public Journalism, einer speziellen Form des Journalismus.

Seinen Ursprung fand der Public oder Civic Journalism bereits in den 1990er Jahren in den USA. Aussschlaggebend für dessen Beginn war, dass die ledigliche Problemberichterstattung ohne jeglichen Miteinbezug der Bürger:innen zu einer zunehmenden politischen Apathie führte. Als Folge begannen die auf ihre Rolle reduzierten Leser:innen, sich von den Medien abzuwenden. Der Public Journalism reagierte darauf, indem er den Einwohner:innen eine Stimme gab und sich zunehmend auf die Probleme und Interessensgebiete der Menschen konzentrierte. Der Journalismus war nicht der Ausweg für solche Probleme, aber er trug mit seiner Berichterstattung dazu bei, diesen zu finden. Er wurde ein Teil der Lösung, sei es durch Druck auf die Politik, wie die 100-Tage-Frist, oder durch den Anstoss zu öffentlichen Debatten.

Die Grenze zwischen neutralem Informationsjournalismus und aktivistischem Journalismus liegt also darin, die eigene Position deutlich, transparent und nachvollziehbar zu machen. Die Leser:innen müssen erkennen können, wann die Journalist:innen eine Stellung einnehmen und haltungsjournalistisch schreiben.

Ein klarer Leitfaden. Trotzdem ist es nicht ganz so einfach, denn daneben beeinflusst noch eine andere grosse Mitspielerin die Objektivität; die Sprache. Das bestätigt auch Wyss: «Bereits die Wortwahl kann ausschlaggebend sein. Es macht eben einen Unterschied, ob ich Demonstrant:innen gegen die Corona-Massnahmen als Covidiot:innen, Corona-Leugner:innen, oder als Corona-Gegner:innen bezeichne. Genauso ist es mit Terrorist:in und Freiheitskämpfer:in.» In anderen Worten; so fest man sich auch bemüht, Sprache deutet immer Wirklichkeit und ist nie neutral, sondern ein stets währendes Dilemma.

Eine ausnahmslos neutrale und urteilsfreie Berichterstattung ist also kaum möglich, am Ende ist es lediglich eine Annäherung an die tatsächliche Wirklichkeit. Und trotzdem darf die «Wahrheitssuche» im Journalist:innenkodex nicht automatisch gleichgesetzt werden mit der Unmöglichkeit, unvoreingenommen berichten zu können. Denn der Versuch an die Annäherung dieser Wahrheit, ohne Rücksicht auf die für sich eigens geltenden Folgen, legitimiert diese Unfähigkeit der vollkommenen Wahrheitsabbildung. Ob Informationsberichterstattung, das Setzen der Themenagenda, den Miteinbezug in gesellschaftlich wichtige Themen; das Aufgabenspektrum des Journalismus ist breit und darf durchaus über die klassischen Grenzen hinausgehen – solange es transparent kommuniziert wird.

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