Cyrill Hermann: «Für den Systemwandel braucht es alle»

Mit dem Buch «What do we want?» melden sich Klimaaktivist:in Cyrill Hermann und der Klimastreik zurück. Das Ziel: Die Bewegung intersektionaler machen, globale Zusammenarbeit stärken und die Bevölkerung wieder für den Klimastreik begeistern.

Cyrill Hermann Klimastreik
Cyrill Hermann, 21, ist nonbinäre:r Klimaaktivist:in und bereits seit 2018 im Zürcher Klimastreik aktiv. (Bild: Dominik Fischer)

Im Dezember 2018 hält Greta Thunberg eine Rede vor den Vereinten Nationen und ruft junge Menschen weltweit zum Streik auf. Auch Zürcher Schüler:innen folgen ihrem Aufruf und organisieren schon zwei Tage später den ersten Klimastreik. Mit dabei: Cyrill Hermann.

Am globalen Klimastreik am 15. März 2019 demonstrieren schweizweit 66’000 Menschen, die Bewegung ist in aller Munde. «Journalist:innen kamen damals sogar mit, wenn wir Flyern gingen», berichtet Hermann, direkt aus dem Eiskunstlauf-Training zum Interview kommend. Doch die Corona-Lockdowns versetzten dem Momentum der jungen Bewegung einen herben Schlag. Mit dem Buch «What do we want?» möchte Hermann die Klimakrise nun wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken.

Dominik Fischer: Mit «What do we want?» sind Sie ein Stück weit zum Gesicht des Zürcher Klimastreiks geworden. Inwiefern sprechen Sie im Buch für sich, inwiefern für den Klimastreik als Organisation? 

Cyrill Hermann: Es war kein kollektiver Schreibprozess, zumal der Verlag nicht mehrere Autor:innen haben wollte. Aber vieles wurde innerhalb des Klimastreiks diskutiert und ich habe Anmerkungen der anderen Aktivist:innen eingearbeitet. Das Ziel ist ausserdem, dass dieses Buch erst der Anfang von unserer eigenen Geschichtsschreibung ist – hoffentlich kommen noch viele weitere Formate aus der Bewegung hervor und ergänzen meine Perspektive.

Wir beim Klimastreik wollten stets vermeiden, dass sich einzelne Personen zu sehr etablieren. Wir wollten keine Schweizer Greta Thunberg oder Luisa Neubauer, und ich glaube, das hat der Bewegung gutgetan.

Das Buch ist einfach und klar geschrieben, in den Fussnoten werden immer wieder politische Grundbegriffe erklärt. Was und wen wollten Sie damit erreichen? 

Es war eines meiner Ziele, einfache Sprache zu verwenden, auch wenn ich befürchte, dass einige Abschnitte doch ziemlich technisch geworden sind. Das Buch richtet sich an all die Leute, die irgendwann mal am Klimastreik mitgelaufen sind oder Kinder und Enkel haben, die mitgelaufen sind. Also Leute, die einen Berührungspunkt mit der Bewegung hatten, aber keinen wirklichen Zugang zu unseren Grundsätzen und Diskussionen bekommen haben.

Das zweite Ziel ist es, unsere Geschichte aus unserer eigenen Perspektive zu erzählen. So viele verrückte und grössenwahnsinnige Dinge sind passiert, beispielsweise die Bundesplatzbesetzung, und trotz fehlender Erfahrung ging irgendwie immer alles gut.

Wie ist das Verhältnis des Klimastreiks zur Fridays-for-Future-Bewegung und anderen Klimaorganisationen? 

Der Klimastreik ist aus der Fridays-for-Future-Bewegung entstanden, wir sind in deren internationale Strukturen eingebunden. Die Schüler:innen, die in Zürich die erste Demonstration organisierten, nannten sie damals Klimastreik, und wir sind bei dem Namen geblieben. Wir wollten bewusst keinen englischen Namen für die Bewegung, und wir wollten uns von dem Zukunftsnarrativ, dass im Namen «Fridays for Future» mitschwingt, abgrenzen. Dieses Narrativ verschiebt die Krise in die Zukunft, dabei findet sie heute schon überall auf der Welt statt.

Auch im Buch kritisieren Sie diese Idee, dass die Klimakrise ein zukünftiges Problem sei. «Es entsteht ein falsches Bild der Klimakrise, wenn wir sie in die Zukunft projizieren», heisst es. Und auch gegen das «Klimajugendnarrativ» wehren Sie sich. 

Es kommt darauf an, wer den Begriff «Klimajugend» in welchem Kontext verwendet. Es ist ein ziemlich populistischer Begriff. Und er schürt die Implikation, dass der Kampf gegen die Klimakrise nur für die Jugend relevant sei und nicht uns alle betrifft. Einige scheinen damit sagen zu wollen: «Irgendwann werden die alle anfangen zu arbeiten und dann wird das Thema der Klimakrise wieder verpuffen.» 

Inzwischen sind Sie seit mehr als sechs Jahren beim Klimastreik aktiv. Nach einem fulminanten Start 2019 schien die Klimabewegung in der öffentlichen Wahrnehmung zwischenzeitlich fast untergegangen zu sein.

Während der Pandemie konnten wir keine Demonstrationen mehr organisieren, alle Meetings mussten online stattfinden. Den Tiefstand haben wir während der dritten Welle erreicht, als wir in Zürich nur noch zu viert im Plenum waren. Aber sobald wir wieder Demos organisieren konnten, ging es bergauf. 

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Hermanns Buch richtet sich an Menschen, die mal an Klimademos dabei waren, aber die Verbindung zur Bewegung verloren haben. Hier: Klimastreik vom 04.10.2024 in Zürich. (Bild: Tsüri.ch)

Brennen die jungen Mitglieder immer noch so sehr für den Klimastreik, wie Sie in Ihren Anfängen? 

Noch immer kommen viele junge Leute dazu, nach jeder Demo haben wir zehn neue Jugendliche bei unseren Treffen. Dabei sind es am ehesten die 14- und 15-Jährigen, die aktiv werden wollen. Es geht im Klimastreik auch stark um die sozialen Beziehungen, schliesslich sind es ganz viele Gleichaltrige und Gleichgesinnte. An nationale und internationale Versammlungen zu gehen, hat fast schon Klassenfahrt-Charakter. 

Im Buch wird klar, dass Ihr Denken antikapitalistischer und intersektionaler geworden ist. An einer Stelle heisst es: «Wenn wir die Klimakrise bekämpfen wollen, müssen wir die Klassenfrage stellen.» An anderer Stelle schreiben Sie: «Im Kapitalismus kann es keine Klimagerechtigkeit geben.»

Klimagerechtigkeit ist eine unserer Kernforderungen. Es geht nicht nur um Klimaschutz und CO2-Emissionen, sondern darum, dass eine Gesellschaft entsteht, die sozial gerecht ist und in der Klimaschutz nicht auf Kosten der Ärmsten und der arbeitenden Bevölkerung passiert. Aber es ist ein Widerspruch in sich, dies von einem Staat zu fordern, entgegen dessen Interessen es geht, da der Staat die Rahmenbedingungen für den Kapitalismus schafft und aufrechterhält.

«Die Klimakrise ist ein Produkt der weltweiten kolonialen Ausbeutung und Gewalt.»

Cyrill Hermann, Klimaaktivist:in

In Ihrem Buch bekommen Stimmen aus dem Globalen Süden viel Raum: So lassen Sie in verschiedenen Interviews Aktivist:innen von Südamerika über Uganda bis nach Sápmi (Nordskandinavien) zu Wort kommen. Wie ist es dazu gekommen? Durch unsere internationale Koordination war es vergleichsweise einfach, die Kontakte zu internationalen Aktivist:innen herzustellen. Dabei ist es auch wichtig, die Aktivist:innen nicht als «Pressesprecher:innen» für das gesamte Land und die Lage vor Ort zu verstehen. 

Der Widerspruch davon, wie globale Zusammenarbeit funktionieren kann, ist für mich bis nicht aufgelöst. Denn auch bei internationaler Zusammenarbeit ist die Bühne meist Europa. So kommen die Aktivist:innen für Proteste hierher, hier sind die Banken und Konzerne. Und auch dieses Buch ist nur auf Deutsch erschienen und an ein Schweizer Publikum gerichtet. So bleibt immer ein gewisses Machtverhältnis bestehen. 

Auch als Schweizer:innen ist es wichtig, die Klimakrise im Kontext des Kolonialismus zu betrachten. Denn sie ist ein Produkt der weltweiten kolonialen Ausbeutung und Gewalt. Um ihr wirksam entgegenzutreten, müssen wir die globalen Machtverhältnisse angreifen und dekonstruieren. Dafür müssen wir mit den Menschen im Globalen Süden zusammen kämpfen.

Der Untertitel des Buchs lautet: «Von Systemwandel bis Klimagerechtigkeit». Wie bringt man einen solchen Systemwandel denn voran? 

Ich persönlich bin nach wie vor überzeugt davon, dass Brüche im System durch soziale Bewegungen entstehen, die einer breiten Gesellschaft die Widersprüche des Kapitalismus vor Augen führen. Aus diesem Grund bin ich im Klimastreik geblieben und habe mit dafür gesorgt, dass wir uns für den Systemwandel aussprechen, dass wir antikapitalistischer und intersektionaler geworden sind und den Gegenentwurf der Klimagerechtigkeit weiter ausgebaut haben.

Aber es ist auch eine individuelle Frage, viele sehen die Antwort auch in bereits etablierten revolutionären und antikapitalistischen Bewegungen und führen ihre politische Arbeit dort weiter. 

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Cyrill Hermanns Buch «What do we want?» (27 Franken) ist im Februar im Rotpunkt Verlag erschienen.

Sie beschreiben auch das Verhältnis des Klimastreiks zu staatlichen Institutionen. Dabei ist von einer «klar gegnerischen, aber pragmatische Einstellung zum Staat» die Rede.

Es gab lange Diskussionen innerhalb des Klimastreiks darüber, wo überhaupt unser Spielfeld liegt, und wir sind zum Schluss gekommen, dass es nicht das Bundeshaus und das Parlament sind, sondern die Strassen. Wir wollen etwas, das innerhalb eines bürgerlichen Staates nicht zur Verhandlung steht. Deshalb müssen wir unseren Gegen-Gesellschaftsentwurf selbst aufbauen.

Teil davon ist es, mit den Arbeitnehmenden zusammenzuarbeiten, vermehrt wieder mit Bäuer:innen in Kontakt zu treten und die Lösungen dort zu entwickeln, wo die Klimakrise bereits Auswirkungen zeigt. Aber es ist uns auch allen bewusst, dass wir nicht alleine den Systemwandel auslösen werden. Dafür braucht es alle, den feministischen Streik, die Wohndemos, den antikapitalistischen CSD, den Austausch mit anderen Organisationen. 

Klimastreik 2023
Die Klimabewegung kam während der Pandemie kurzzeitig zum Stillstand. (Bild: Klimastreik Schweiz)

Die Schweiz ist Sitz zahlreicher internationaler Unternehmen und Grossbanken. Wie lässt sich von hier konkret der Klimakrise entgegenwirken?

Es ist leicht, sich hoffnungslos und ohnmächtig zu fühlen. Leider lässt sich nicht einfach sagen: «Diese Unternehmen und Banken sind für die grössten globalen Emissionen verantwortlich, das ist unser Hebel, lasst uns die Banken besetzen.» Denn: das Zentrum ist zwar hier und die Konzerne zahlen hier ihre Steuern, aber das System, mit dem die Banken und internationalen Konzerne operieren, ist zu flexibel, globalisiert und intransparent. Bis ein Gesetz entstanden ist, das greifen würde, haben sich die Konzerne schon wieder umorganisiert und beispielsweise eine Tochterfirma gegründet. 

Das ist eine globale Frage: wie gehen wir mit dem Kapitalismus um, der nicht nur aus Fabriken besteht, die man besetzen kann oder deren Arbeiter:innen streiken können? Er ist übermächtig, ist überall in der Luft und basiert auf der Ausbeutung von Mensch und Natur.

Aber es gibt Initiativen: So ist der Klimastreik beispielsweise Teil des internationalen Bündnisses Resist Glencore, das von indigenen Gemeinschaften angestossen wurde, die von Glencore-Minen betroffen sind. Dort wird über konkrete Aktionen gesprochen. Dieser Teil der internationalen Solidarität muss jedoch weiter ausgebaut werden, denn bis heute konzentrierte sich die Bewegung mehrheitlich auf den Globalen Norden.

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