Das ABC der alternativen Beziehungsformen – Teil 2

Kann eine polyamore Beziehung geschlossen sein? Und warum sind Unicornhunter gefährlich? Damit du in den Möglichkeiten von Beziehungsformen den Überblick wahrst und dir ein neues Vokabular zulegen kannst, hat dir Jessica Sigerist die wichtigsten Begriffe und Konzepte zusammengetragen.

Untamed Love
Illustration: Artemisia Astolfi

Polykül, Compersion und Nesting Partner: Wer anfängt, sich mit nicht-monogamen Beziehungsformen auseinanderzusetzen, stolpert über ganz viel neue Begriffe und es ist nicht immer einfach, den Überblick zu behalten. Deshalb kommt hier der zweite Teil des grossen ABCs der alternativen Beziehungsformen. Für alle, die den ersten Teil verpasst haben, hier.

P wie Polykül

Ein Netzwerk von Menschen, die miteinander in enger (polyamouröser) Verbindung stehen. Dieses kann Partner:innen, Metamours und weitere Beziehungspersonen umfassen. Da diese Beziehungsnetzwerke gezeichnet oft wie Moleküle aussehen, entstand der Begriff Polykül.

P wie Primary Partner

Primärpartner:in ist die Hauptbeziehungsperson in einem hierarchischen Setting. Manche Menschen haben auch mehrere Primary Partner. Andere lehnen es ab, ihre Beziehungen zu hierarchisieren.

P wie Polyamorie

Eine Art der ethischen Nicht-Monogamie, bei der die Beteiligten mit gegenseitigem Konsens mehrere romantische Liebesbeziehungen gleichzeitig führen können. Die gelebten Formen der Polyamorie können sehr unterschiedlich sein. Kommt von «poly», griechisch für «Viele» und «amor», lateinisch für «Liebe».

P wie Parallele Polyamorie

Eine Form der Polyamorie, bei der mehrere Beziehungen nebeneinander geführt werden, aber kaum Überschneidungspunkte haben. Das heisst Metamours haben möglicherweise keinen Kontakt zu einander oder kennen sich vielleicht nicht mal. Die parallele Polyamorie unterscheidet sich dadurch von Formen wie zum Beispiel Kitchen Table Polyamory. Gleichzeitig können in einem Polykül sowohl Elemente von parallerer Polyamorie als auch von Kitchen Table Polyamory vorkommen.

Was ist Kitchen Table Polyamory? Hier gehts zum Teil 1 des ABCs.

P wie Polysaturation

Polysaturation oder Polysättigung bedeutet, dass Gefühl, wenn eine polyamouröse Person von ihren bestehenden Beziehungen gesättigt ist und kein Interesse oder keine Ressourcen hat, weitere Liebesbeziehungen einzugehen. 

P wie Polyfidelity

Bezeichnung für geschlossene Polyamorie. Das heisst ein Polykül pflegt untereinander sexuelle und romantische Beziehungen, haben aber keine weiteren Partner:innen oder sexuelle Begegnungen ausserhalb des Netzwerks.

Q wie Queer

Queer ist ein Sammelbegriff für sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten ausserhalb der Cisheteronormativität. Heteronormativität ist eine Weltanschauung, die die Heterosexualität und Cisgeschlechtlichkeit (zwei Geschlechter) als soziale Norm postuliert. Ob Zugehörigkeiten zu Polyamorie, Beziehungsanarchie oder anderen Formen der Nicht-Monogamie als queer gelten, wird diskutiert und es gibt unterschiedliche Meinungen. Fakt ist: Viele nicht-monogame Menschen bezeichnen sich als queer. Viele queere Menschen leben monogam. Sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität und Beziehungsform sind voneinander unabhängig und es gibt alle erdenklichen Kombinationen. 

Q wie Queer-platonische Beziehungen

Der Begriff bezeichnet enge, intime Beziehungen und Partner:innenschaften, die weder sexuell noch romantisch sind. Der Begriff wird oft von aromantischen und asexuellen Menschen verwendet, oder allgemein von queeren Menschen, die ihren Beziehungen damit einen Wert beimessen wollen, der in der Heteronormativen Welt oft Liebes- und Verwandtschaftsbeziehungen vorbehalten ist. 

Q wie Quad

Bezeichnung für eine Beziehung, die aus vier Personen besteht, die alle miteinander verbunden sind. Ein Quad kann offen oder geschlossen sein.

S wie Secondary Partner

Eine weitere Beziehungsperson in einem hierarchischen Setting. Eine Person kann mehrere Zweitpartner:innen haben, manchmal wird auch nach Drittpartner:innen et cetera unterteilt. Secondary Partner müssen sich häufig an bereits bestehende Regeln der Hauptbeziehung anpassen, ohne Mitspracherecht beim Schaffen dieser Regeln. 

S wie Solo Poly

Eine Form der Polyamorie, bei der eine Person entscheidet, für sich selbst Hauptpartner:in zu sein. Eine gute Beziehung zu sich selbst zu pflegen, wird dabei als wichtiger gesehen, als um jeden Preis eine romantische Beziehung zu führen. Solo Poly kann mit einer grossen Unabhängigkeit einhergehen, bedeutet aber nicht Verantwortungslosigkeit.

T wie Triade

Bezeichnung für eine Beziehung, die aus drei Personen besteht, die alle miteinander verbunden sind. Eine Triade kann offen oder geschlossen sein. Ein anderes Wort dafür ist Throuple, zusammengesetzt aus Three und Couple. Dreiecksbeziehungen sind die bekannteste Form der Polyamorie, vermutlich weil sie in der Mainstreamkultur, sei es in Dokumentationen oder in der Fiktion, mit Abstand am meisten dargestellt werden. In der Realität lebt aber vermutlich nur ein Bruchteil der nicht-monogam lebenden Menschen in einer Triade.

«Unicornhunter wird in der Community oft abschätzig benutzt für Paare, die bisexuelle Frauen objektivieren.»

Jessica Sigerist

U wie Unicorn

Als Einhorn wird eine bisexuelle cis Frau bezeichnet, die eine sexuelle (möglicherweise auch romantische) Beziehung mit einem cisheterosexuellen Paar eingehen möchte – zu dessen Bedingungen. Da dies nicht sehr wahrscheinlich ist, sondern eher ein Fantasiekonstrukt von Paare ist, ist der Begriff Unicorn entstanden.

U wie Unicornhunter

Cisheterosexuelle Paare, die ein Unicorn (eine bisexuelle Frau) suchen für eine sexuelle und/oder romantische Beziehung. Im Gegensatz zu Einhörnern sind Unicornhunter leider sehr real und häufig auf Datingapps anzutreffen. Unicornhunter wird in der Community oft abschätzig benutzt für Paare, die bisexuelle Frauen objektivieren und ihre Bedürfnisse als Paar über die der neuen Person stellen.

V wie Veto

Ein Privileg, das einer bestehenden Beziehungsperson zu gestanden wird, die damit über die Macht verfügt, bei anderen Beziehungen ein Veto einzulegen. Also das Recht, darüber zu bestimmen, dass eine andere Beziehung beendet oder gar nicht erst eingegangen wird. 

W wie Wibble

Ein kurzer Moment von Unsicherheit, Angst oder Eifersucht. Der Begriff wird oft benutzt, um kleine Eifersuchtsstiche zu beschreiben und um damit zu zeigen, dass Eifersucht in nicht-monogamen Beziehungen durchaus vorkommt – und aber auch nicht immer ein total überwältigendes Gefühl sein muss. 

jessica sigerist
(Bild: Elio Donauer)

Jessica Sigerist

Kolumnist*in Jessica Sigerist ist Zürich geboren und aufgewachsen. Jessica wusste schon früh, woher die Babys kommen. In ihrer Jugend sammelte Jessica schöne Notizbücher, alte Kinokarten und Zungenküsse. Jessica studierte Ethnologie (halbmotiviert) und das Nachtleben Zürichs (intensiv).

Nach vielen Jahren in der Sozialen Arbeit hatte Jessica die Nase voll, nicht vom Sozialen, aber von der Arbeit. Jessica packte wenig Dinge und viel Liebe in einen alten Fiat Panda und reiste kreuz und quer durch die Welt. Jessica ritt auf einem Yak über das Pamirgebirge, überquerte das kaspische Meer in einem Kargoschiff und blieb im Dschungel von Sierra Leone im Schlamm stecken.

Auf Reisen von Zürich nach Vladivostock, von Tokio nach Isla de Mujeres, von Tanger nach Kapstadt lernte Jessica, dass alle Menschen eigentlich dasselbe wollen und dass die Welt den Mutigen gehört. Wieder zurück beschloss Jessica, selbst mutig zu sein und gründete den ersten queer-feministischen Sexshop der Schweiz. Seither beglückt Jessica Menschen mit Sex Toys und macht lustige Internetvideos zu Analsex, Gleitmittel und Masturbation.

Jessica liebt genderneutrale Sex Toys, Sonne auf nackter Haut und die Verbindung von Politik und Sexualität. Jessica ist non-binär, queer und poly und glaubt, dass Liebe grösser wird, wenn man sie teilt. Jessica ist Elternteil eines Kindes und lebt in Zürich.

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