Das ABC der alternativen Beziehungsformen – Teil 1
Was ist der Unterschied zwischen Polyamorie und Beziehungsanarchie, können nicht-monogame Beziehungen geschlossen sein und was bedeutet eigentlich Metamour? Damit du dir nicht nur neue Beziehungspersonen, sondern auch ein neues Vokabular zulegen kannst, hat dir Jessica Sigerist die wichtigsten Begriffe und Konzepte zusammengetragen.
Polykül, Compersion und Nesting Partner: Wer anfängt, sich mit nicht-monogamen Beziehungsformen auseinanderzusetzen, stolpert über ganz viel neue Begriffe und es ist nicht immer einfach, den Überblick zu behalten. Deshalb kommt hier das grosse ABC der alternativen Beziehungsformen.
A wie Amatonormativität
Der Begriff, der sich aus amatus (lateinisch «geliebt») und Normativität zusammensetzt, beschreibt die gesellschaftliche Annahme, dass romantische Liebesbeziehungen die wichtigsten Beziehungen sind und alle Menschen eine solche führen sollten. Viele Menschen, die alternative Beziehungsformen leben, wehren sich gegen diese Annahme: Sie betonen die Wichtigkeit freundschaftlicher, platonischer, aromantischer oder asexueller Beziehungen und wollen nicht zwischen Beziehungsarten hierarchisieren.
B wie Beziehungsanarchie
Beziehungsanarchie bedeutet nicht, wie manchmal angenommen wird, die Abwesenheit jeglicher Verbindlichkeit. Sondern die Abwesenheit von Herrschaft. Beziehungen werden entsprechenden der Bedürfnisse der daran Beteiligten gestaltet und nicht nach gesellschaftlich vorgegebener Regeln und Normen. In der Beziehungsanarchie werden Beziehungen nicht nach Typen (Freundschaft, Partnerschaft) kategorisiert und somit können dieses auch nicht hierarchisiert werden.
D wie Don’t ask don’t tell
«Nichts fragen, nichts sagen» ist eine Abmachung, die Beziehungspersonen in einer (meist hierarchischen und primären) offenen Beziehung miteinander treffen können: Dabei sind sexuelle und romantische Beziehungen ausserhalb der Hauptbeziehung erlaubt, es werden aber keine Informationen über diese Beziehungen und Begegnungen geteilt.
E wie Ethische Nicht-Monogamie
Der Begriff ethical non monogamie – manchmal auch consensual non monogamie – kurz ENM hat sich vor allem im englischen Sprachraum durchgesetzt. Es ist ein Überbegriff für alle sexuell und oder romantisch nicht-monogamen Beziehungskonstrukte, bei denen alle Beteiligten sich der Beziehungsform bewusst sind und dieser zustimmen.
E wie Established Relationship Energy
Der Begriff Established Relationship Energy (Energie einer etablierten Beziehung) wurde als positiver Gegenpol zum Begriff New Relationship Energy (Energie einer neuen Beziehung) begründet. Gemeint ist dabei die spezielle Energie in einer bereits länger etablierten Beziehung, die Sicherheit, Geborgenheit und Stabilität bieten kann.
F wie Fluid Bonding
Fluid Bonding bedeutet das Herstellen einer intimen Verbindung durch Austausch von Körperflüssigkeiten bei barrierefreiem Sex. Bei Fluid Bonding wird auf Barrieren wie Kondome oder Lecktücher verzichten. In hierarchischen, nicht-monogamen Beziehungen kann Fluid Bonding ein Privileg der Hauptbeziehung sein.
G wie Geschlossene Beziehung
Eine geschlossene Beziehung schliesst romantische und sexuelle Verbindungen ausserhalb der Beziehung aus. Eine geschlossene Beziehung kann klassisch monogam sein, aber auch eine polyamouröse Beziehung kann geschlossen sein.
H wie Hierarchische Polyamorie
Eine Form der Polyamorie, bei der die Beziehungen hierarchisch geordnet sind. Dabei spricht man oft von einer Hauptbeziehung und einer Person als Primary Partner. Diese geniessen meist gewissen Vorrang und Privilegien bezüglich zeitlicher und emotionaler Ressourcen, Arten von Aktivitäten und Level von Verbindlichkeit sowie das Privileg, Regeln für andere Beziehungen festzulegen.
K wie Küchentischpolyamorie
Eine Form der Polyamorie, bei denen sich alle beteiligten eines Beziehungsnetzwerks kennen und mindestens so gut verstehen, dass sie sich für eine gemeinsame Mahlzeit zusammen an einen Küchentisch sitzen würden.
K wie Komet
Bezeichnung für eine Beziehungsperson, die man hin und wieder trifft, dazwischen jedoch keinen engen Kontakt hat: Wie ein Komet, der nur von Zeit zu Zeit so nahe an der Erde vorbeifliegt, dass wir ihn sehen können.
K wie Kinder
Kinder können in nicht-monogamen Beziehungen genauso gut aufwachsen wie bei monogamen, getrennt lebenden oder alleinerziehenden Eltern oder in Patchworkfamilien. Nicht-monogame Familien können dabei sehr unterschiedlich aussehen: Von einem Ehepaar, dass eine offene Beziehung lebt bis hin zu polyamouröser Mehrelternschaft.
M wie Metamour
Ein:e Metamour ist die Beziehungsperson einer Beziehungsperson, mit der ich selber keine sexuelle oder romantische Beziehung habe.
M wie Monogamie
Umgangssprachlich meint Monogamie eine Beziehungsform, bei der Sexualität und romantische Gefühle nur mit einer Beziehungsperson geteilt werden. Ursprünglich war mit Monogamie eine lebenslange Ehe gemeint. Heutzutage ist die serielle Monogamie, also die serielle Abfolge mehrerer monogamer Beziehungen nacheinander, verbreiteter als eine lebenslange Verbindung.
N wie Nesting Partner
Als Nesting Partner werden diejenigen Beziehungspersonen bezeichnet, mit denen ich ein Nest baue – also gemeinsam Wohnraum teile. Dies können eine oder mehrere Personen sein. Dass eine Person ein Nesting Partner ist, sagt nichts über die Wichtigkeit oder Hierarchie der Beziehung aus: Nesting Partner können Primary Partner sein, müssen aber nicht.
N wie New Relationship Energy
Der Begriff New Relationship Energy (Energie einer neuen Beziehung) bezeichnet die spezielle Energie, welche zu Beginn einer neuen romantischen oder sexuellen Verbindung auftreten kann wie zum Beispiel Gefühle intensiver Verliebtheit. Teilweise auch als Honeymoon-Phase bezeichnet.
O wie Offene Beziehung
Mit einer offenen Beziehung ist eine Beziehung gemeint, die es erlaubt auch ausserhalb der Beziehung sexuelle Begegnungen zu haben. Im Gegensatz zur Polyamorie werden dabei aber keine weiteren Liebesbeziehungen eingegangen.
Nächstes Mal geht es weiter mit P wie Polykül bis W wie Wahlfamilie.
Jessica Sigerist |
Kolumnist*in Jessica Sigerist ist Zürich geboren und aufgewachsen. Jessica wusste schon früh, woher die Babys kommen. In ihrer Jugend sammelte Jessica schöne Notizbücher, alte Kinokarten und Zungenküsse. Jessica studierte Ethnologie (halbmotiviert) und das Nachtleben Zürichs (intensiv). Nach vielen Jahren in der Sozialen Arbeit hatte Jessica die Nase voll, nicht vom Sozialen, aber von der Arbeit. Jessica packte wenig Dinge und viel Liebe in einen alten Fiat Panda und reiste kreuz und quer durch die Welt. Jessica ritt auf einem Yak über das Pamirgebirge, überquerte das kaspische Meer in einem Kargoschiff und blieb im Dschungel von Sierra Leone im Schlamm stecken. Auf Reisen von Zürich nach Vladivostock, von Tokio nach Isla de Mujeres, von Tanger nach Kapstadt lernte Jessica, dass alle Menschen eigentlich dasselbe wollen und dass die Welt den Mutigen gehört. Wieder zurück beschloss Jessica, selbst mutig zu sein und gründete den ersten queer-feministischen Sexshop der Schweiz. Seither beglückt Jessica Menschen mit Sex Toys und macht lustige Internetvideos zu Analsex, Gleitmittel und Masturbation. Jessica liebt genderneutrale Sex Toys, Sonne auf nackter Haut und die Verbindung von Politik und Sexualität. Jessica ist non-binär, queer und poly und glaubt, dass Liebe grösser wird, wenn man sie teilt. Jessica ist Elternteil eines Kindes und lebt in Zürich. |
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