Tamara Bosshardt: «Man muss nicht schon jahrelang dabeisein» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Gemeinderätin der Woche: Tamara Bosshardt (SP)

Sie hatte nicht damit gerechnet, in den Gemeinderat nachzurücken. Doch inzwischen ist Tamara Bosshardt gut drei Monate dabei und sagt, es fühle sich nach der richtigen Entscheidung an. Eines der Hauptthemen der 32-Jährigen ist die Gleichstellung.

Tamara Bosshardt, SP

(Foto: Steffen Kolberg)

«Vielleicht bin ich ein gutes Beispiel dafür, dass man nicht schon jahrelang dabei sein muss, sondern einfach mal anfangen und herausfinden kann, wie man sich sinnvoll engagieren kann», sagt Tamara Bosshardt. Schliesslich brauche es im Parlament auch Leute, die nicht schon jahrelang in den politischen Strukturen sind.

Bosshardts parteipolitische Karriere ist bislang überschaubar. 2020 trat sie der SP bei, im Jahr darauf stellte sie sich für einen Listenplatz zur Gemeinderatswahl zur Verfügung. Im letzten Oktober rückte sie für die zurückgetretene Nadia Huberson nach. «Ich wollte herausfinden, ob das etwas für mich ist», erzählt sie: «Mich einbringen und Politik machen. Aber wie das ist, weiss man erst, wenn man dabei ist.» Das ist sie nun seit gut drei Monaten, und es fühle sich nach der richtigen Entscheidung an, meint sie.

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Aufgewachsen ist Bosshardt in Wallisellen und Dübendorf. Ihrem Wahlkreis 11 sei sie schon seit ihrer Jugend stark verbunden, ging dort auch ins Gymnasium. In Oerlikon arbeitete sie einige Jahre in einem Kulturlokal, in dem sie vor Abstimmungen immer Diskussionsveranstaltungen organisiert hätten. Das politische Interesse sei schon lange da gewesen. Ausschlaggebend für ihr eigenes parteipolitisches Engagement sei dann die Übernahme des SP-Präsidiums durch Cédric Wermuth und Mattea Meyer Ende 2020 gewesen: «Sie haben explizit gesagt, dass sie feministische Politik machen wollen, das hat mich überzeugt.»

Gleichstellung ist für die 32-Jährige ein Hauptthema. Viele Geschäfte in diesem Bereich lägen beim Präsidialdepartement, in dessen Kommission Bosshardt sitzt. Sie habe dort ein paar Geschäfte zur Inklusion von Islam Alijaj übernehmen können, der den Rat Ende letzten Jahres in Richtung Bern verlassen hat. Mit eigenen Vorstössen halte sie sich zunächst noch zurück: «Ich bin gerade noch etwas demütig und will erst die Strukturen und Abläufe im Rat und der Verwaltung noch besser verstehen.» Es sei auch gut, erstmal die Sachen zu Ende zu bringen, die auf dem Tisch lägen: «Dann kommt man schon auf Ideen, was die nächsten sinnvollen Schritte sein können.»

Beruflich befasst sich Bosshardt eher mit gesamtgesellschaftlichen als mit lokalen Themen. Als Postdoktorandin am Soziologischen Institut der Universität Zürich forscht sie zu Ungleichheit, Sozialstrukturen sowie Solidarität zwischen den Generationen. Wenn es um Generationengerechtigkeit gehe, sei die gerade zur Abstimmung stehende 13. AHV-Rente ein wichtiger Beitrag, findet sie. Noch wichtiger fände sie allerdings eine Wiedereinführung der Erbschaftssteuer. «Ich verstehe gar nicht, warum das nicht mehrheitsfähig ist», erklärt sie: «Da könnte man doch sinnnvolle Lösungen finden, um den Menschen etwas zurückzugeben.»

Dass sie sich im Gemeinderat nun mit weniger grossen Fragen als der schweizerischen Altersvorsorge auseinandersetzt, sieht Bosshardt positiv: «Wenn man nur denkt, man muss die grossen Veränderungen angehen, dann macht man nichts, weil es nicht umsetzbar erscheint. Sinnvoller ist es, wenn die Leute da anfangen, wo sie gerade stehen.» Als Zürcherin setzt sie sich deshalb vor Ort für relevante Themen ein: «Denn alle grossen Fragen haben ihre Entsprechung auf lokaler Ebene.»


Warum sind Sie Gemeinderätin geworden?

Als queere junge Frau habe ich früh gemerkt, dass politische Entscheidungen die Chancen auf ein gutes, selbstbestimmtes Leben massgeblich prägen können. Da sich die SP für eine feministische Politik für alle statt für wenige starkmacht, bin ich ihr 2020 beigetreten und habe mich 2021 für den Gemeinderat aufstellen lassen. Ich hatte zunächst nicht damit gerechnet, mit meinem Listenplatz tatsächlich gewählt zu werden. Nun freue ich mich aber sehr, nachgerückt zu sein und mich im Gemeinderat für eine feministische, solidarische und pragmatische Politik einzusetzen.

Mit welche:r Ratskolleg:in der Gegenseite würden Sie gerne mal ein Bier trinken gehen?

Ich habe nicht den Eindruck, dass Alkohol dabei hilft, Dinge anzupacken und die Gesellschaft zu verändern, sondern eher dazu führt, dass Menschen Missstände länger als nötig aushalten und resignieren. Darum trinke ich statt Alkohol lieber Kaffee. Ganz unabhängig vom Parteiprogramm würde ich mir bei einem Kaffee gerne Tipps und Tricks von Menschen abholen, die gute politische Reden schreiben und halten können. Komplexe Zusammenhänge klar, ehrlich und interessant zu vermitteln, ist wichtig, um Menschen aufzuzeigen, was Politik mit ihrem Leben zu tun hat und wo Gestaltungsspielraum sinnvoll genutzt werden kann.

Welches Abstimmungsergebnis hat Sie bisher am meisten geärgert?

Das Abstimmungsergebnis, das mich bisher am meisten geärgert hat, war die Ablehnung der Erbschaftssteuerinitiative. Es frustriert mich, dass ständig von einer Leistungsgesellschaft gesprochen wird, obwohl die grössten Vermögen unabhängig von persönlicher Leistung vererbt werden. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Ungleichheit der Vermögen in der Schweiz immer stärker zunimmt. Die Ablehnung der Erbschaftssteuerinitiative hat für mich gezeigt, dass wir uns aktiv mit den bestehenden Ungerechtigkeiten auseinandersetzen und Wege finden müssen, wie wir als Gesellschaft fairer und solidarischer miteinander umgehen können.

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