Gemeinderats-Briefing #68: Im Behördendschungel 🌱 - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Gemeinderats-Briefing #68: Im Behördendschungel 🌱

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Auftakt für neue Schulorganisation, Strategie gegen Jugendgewalt, Fördermassnahmen für Schüler:innen

Ich gebe zu, die Gemeinderatsdebatten rund um das Thema Schule sind für mich immer ein bisschen eine Blackbox. Zum einen kenne ich die Struktur des Schweizer Schulwesens nur aus Erzählungen meiner Kolleg:innen, da ich sie als Deutscher selbst nie durchlaufen habe. Zum anderen strotzt das Zürcher Schulwesen nur so vor Gremien und Institutionen, deren Funktionsweisen und Kompetenzen ich bestenfalls erahnen kann.

Neben den Schulleitungen gibt es Kreisschulbehörden, die Zürcher Schulpflege (ZSP), das Schulamt und den Leiter des Schul- und Sportdepartements, Stadtrat Filippo Leutenegger (FDP). Alle haben irgendwo ein Wörtchen mitzureden und werden in den Debatten gerne als relevante Instanzen zitiert oder adressiert.

Illustration: Zana Selimi (Foto: Zana Selimi)

Aber offenbar bin nicht nur ich ob der unterschiedlichen Kompetenzen und Funktionen überfordert. Auch im Gemeinderat gibt es einen Wunsch nach mehr Klarheit in der Schulorganisation. So überwies der Rat Ende 2018 eine Motion von Jean-Daniel Strub (SP) und Rosa Maino (AL). Darin forderten die beiden vom Stadtrat eine Vorlage für eine Reorganisation der städtischen Schulbehörden mit dem Grundsatz einer starken demokratischen Verankerung. Zur Umsetzung der Vorlage sollte unter anderem ein partizipativer Prozess mit interessierten Einzelpersonen aus der Bevölkerung stattfinden.

Der Stadtrat setzte diese Forderung dahingehend um, dass er zwei partizipative Grossgruppenveranstaltungen mit Interessenvertreter:innen organisierte und die Ergebnisse dieser Veranstaltungen in das Departement trug. Entgegen dem Wunsch nach einer Vorlage für eine konkrete Veränderung legte er dem Gemeinderat nun allerdings nur einen ausführlichen Bericht vor. Die politischen Ansichten zur Weiterentwicklung der Behörden gingen derzeit zu weit auseinander und es sei noch keine mehrheitsfähige Stossrichtung erkennbar, heisst es zur Begründung in der entsprechenden Weisung.

Variante Organisationsstruktur Schulbehörden

Alles klar? Eine der vielen Varianten aus dem stadträtlichen Bericht.

Balz Bürgisser (Grüne), der die Weisung vorstellte, zählte insgesamt vier Varianten und fünf Untervarianten der Neuorganisation auf, die im Bericht aufgezeigt werden. Darin sind unterschiedliche Grade der Kompetenzen, aber auch der Professionalisierung einzelner Behörden aufgeführt. Teilweise wird die Einführung neuer Institutionen wie Leitungen «Bildung» oder Rektoraten angeregt. Die Schulpflege favorisiere eine Modifikation und Optimierung des Status Quo, so Bürgisser. Der Stadtrat wiederum sei für Varianten ohne Kreisschulbehörden, stattdessen mit jeweiligen Leitungen «Bildung», die für bestimmte Quartiere zuständig sind, sowie einer Kommission Schulqualität.

Vertreter:innen aller Fraktionen lobten den differenzierten Bericht. Ausser Ann-Catherine Nabholz (GLP) sprach sich aber niemand klar für eine der vorgestellten Varianten aus. David Ondraschek (Die Mitte) warnte vor der Einführung der Leitungen «Bildung». Diese hätten in Winterthur zu einem «heillosen Durcheinander» geführt. Auch Maya Kägi Götz stellte sich klar gegen die vom Stadtrat favorisierte Variante. Ihre SP lehnte deshalb als einzige Fraktion die Kenntnisnahme des Berichts ab, was Kägi Götz zufolge allerdings keine Ablehnung des Berichts an sich bedeute. Dieser sei eine «hervorragende Diskussionsgrundlage».

Damit ist die Debatte um die Zukunft der Schulorganisation in Zürich eröffnet. «Die Fraktionen können nun mittels Motionen neue Leitplanken für das weitere Vorgehen setzen», erklärte Balz Bürgisser. Ich habe also noch ein paar Jahre Zeit, die aktuelle Organisationsstruktur zu verstehen.

Strategie gegen Jugendgewalt gefordert

Die Jugendgewalt «eskaliere», argumentierte Michele Romagnolo (SVP) bei der Vorstellung eines Postulats, das er zusammen mit seinem Fraktionskollegen Sebastian Zopfi eingereicht hatte. Immer mehr Jugendliche würden Opfer von Gewalt, Mobbing, sexueller Belästigung und Erpressung. Zur Untermauerung seiner These zitierte Romagnolo «Blick»-Schlagzeilen und einzelne Aussagen aus Zeitungsinterviews mit Forscher:innen. Dabei hätte ein Blick auf die offiziellen Zahlen auch genügt, wäre aber eben etwas differenzierter ausgefallen.

Wie die kantonale Justizdirektion im letzten April mitteilte, ging die Jugendgewalt 2022 erstmals wieder etwas zurück, ist aber immer noch auf einem hohen Niveau. Zudem werden jugendliche Gewalttäter:innen immer jünger (wir berichteten). Doch wie soll man dem Problem begegnen? Romagnolo und Zopfi forderten in ihrem Vorstoss, die Täter:innen bei wiederholtem Fehlverhalten an eine andere Schule zu versetzen und bei schweren Fällen sofort von der Schule zu verweisen. Zudem sollten Schüler:innen «aus problematischer Herkunft eine Instruktion erhalten», um ihnen «unsere Werte» beizubringen.

«Das Postulat will etwas regeln, das schon geregelt ist.»

Sophie Blaser, AL, über die SVP-Forderung nach Massnahmen gegen Jugendgewalt.

Auf der linken Ratsseite führten diese Forderungen erwartungsgemäss auf wenig Gegenliebe. «Das Postulat will etwas regeln, das schon geregelt ist», fand Sophie Blaser (AL). Schon heute gebe es beispielsweise die rechtliche Möglichkeit zur Versetzung von Schüler:innen. Auch Balz Bürgisser meinte: «Gewalthemmende Strukturen sind an Stadtzürcher Schulen etabliert.» Marcel Tobler (SP) erklärte, die Schulen müssten sich bereits um Gewaltprävention kümmern und täten dies auch, doch man anerkenne, dass es Jugendgewalt gibt und man dagegen vorgehen müsse.

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Interessanterweise liess sich die SP darauf ein, dem Postulat zuzustimmen, nachdem eine Textänderung aus der Fraktion von Mitte und EVP angenommen worden war. David Ondraschek hatte damit den Fokus auf die Stärkung der natürlichen Autorität von Schulangestellten und pädagogische Konzepte wie beispielsweise der «neuen Autorität» gelenkt. Diese sei auch unter dem Schlagwort «Stärke statt Macht» bekannt, komme an verschiedenen Zürcher Schulen bereits zur Anwendung und wirke deeskalierend.

Ann-Catherine Nabholz (GLP) erkärte, statt einer so weitreichenden Änderung solle lieber ein komplett neues Postulat eingereicht werden. Auch Yasmine Bourgeois (FDP) fand die Textänderung «nicht optimal», denn man solle nicht schon Vorgaben machen, wie das Problem zu lösen sei. Trotzdem stimmte die FDP zusammen mit der SVP und der Mitte dem Vorstoss zu, dem die SP mit ihren Stimmen dann zur Mehrheit verhalf.

Weitere Themen der Woche

  1. Reichen die Fördermassnahmen für Schüler:innen mit Autismus-Spektrum-Störung aus? Wenn es nach der Mehrheit des Rats geht, nicht. Es seien zu wenige Stellen veranschlagt, ausserdem bestehe ein Informationsdefizit über die Angebote bei Schulen und Eltern, so Balz Bürgisser (Grüne). Ausser SVP und FDP lehnten alle Fraktionen die Abschreibung einer Motion von Bürgisser und Yasmine Bourgeois (FDP) ab, die mehr Mittel zur Förderung gewollt hatten. Die beiden bürgerlichen Fraktionen folgten der Weisung des Stadtrats, in welcher dieser argumentiert, dass bereits genug getan werde.
  1. Mehr Ressourcen für den DaZ-Unterricht: Zahlreiche Kinder, die Bedarf an Unterricht in Deutsch als Zweitsprache (DaZ) hätten, erhielten diesen nicht im erforderlichen Umfang, heisst es in einer Motion der Grünen-Fraktion. Sie forderte den Stadtrat auf, genügend Mittel zur Verfügung zu stellen, dass die Mindestanforderungen des Kantons bezüglich DaZ-Lektionen für jedes Kind individuell auch sicher erfüllt werden können. Zudem solle eine Bedarfsprüfung jedes Jahr stattfinden und nicht wie bisher alle drei Jahre. SP und AL verhalfen dem Vorstoss zur Mehrheit, die anderen Fraktionen sahen die bisher zur Verfügung gestellten Ressourcen als ausreichend an.
  1. Der Stadtrat gab in seiner Antwort auf eine Interpellation von Samuel Balsiger und Johann Widmer (beide SVP) diesen grundsätzlich Recht in der Auffassung, dass das Aufhängen von Werbebannern für den feministischen Streik an einem Schulhaus gegen den Grundsatz der politisch neutralen Volksschule verstosse (wir berichteten). Balsiger nutzte die Traktandierung des Geschäfts noch einmal zu einem Rundumschlag: Die Lehrer:innenschaft sei mehrheitlich links und mache Stimmung gegen die SVP. Man werde weitere Beispiele in den Rat bringen, drohte er an.

    1. Martin Busekros und Yves Henz (beide Grüne) forderten den Stadtrat mit einem Postulat auf, zu prüfen, wie eine duale Nutzung des Rasens von Schiessanlagen mit Fussballplätzen oder anderen Sportarten realisiert werden könne. Bis auf SVP und FDP stimmten alle Fraktionen dem Vorstoss zu, auch wenn Bedenken geäussert wurden, ob dies bei den drei Zürcher Schiessanlagen umgesetzt werden kann.
    1. Ohne Diskussion wurde gestern ein Postulat der AL-Fraktion überwiesen, das fordert, das Marktgeschehen auf der Stadthausanlage während deren Umbau möglichst zu gewährleisten.
    1. Moritz Bögli verlas zu Anfang der Sitzung eine AL-Fraktionserklärung, in der die geplante Sektorsperrung beim nächsten FCZ-Match aufgrund von Ausschreitungen kritisiert wird (wir berichteten). Politik und Polizei preschten mit einer Kollektivstrafe vor und vergifteten die laufende Diskussion zu schweizweit einheitlichen Massnahmen gegen Fangewalt. Kritisiert wurde auch, dass das Verbot offenbar von der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektor:innen entschieden wurde, obwohl die Stadt eigentlich für Sportveranstaltungen auf ihrem Gebiet verantwortlich sei. Die AL hat diesbezüglich eine Schriftliche Anfrage eingereicht. Michael Schmid (FDP) erklärte, es handle sich nicht um eine Kollektivstrafe, sondern um «eine polizeiliche Massnahme, die eigentlich überfällig ist».
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