Roger Federer soll nicht kostengünstig wohnen – der Mittelstand schon - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Gemeinderats-Briefing #66: Mieten, Bauen, Wohnen

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Der Mittelstand soll zur Kostenmiete wohnen, das Tramdepot Hard wird teurer

Illustration: Zana Selimi (Foto: Zana Selimi)

Wenn es um die Zürcher Wohnbaupolitik geht, dann gibt es die grossen Akte und Errungenschaften, die allein schon durch ihre Ankündigung eine riesige Strahlkraft entwickelt haben. Das vor über einem Jahrzehnt beschlossene Drittelsziel für gemeinnützigen Wohnraum zum Beispiel. Oder der Wohnraumfonds, der in diesem Jahr erstmals Wirkung zeigen soll.

Und dann gibt es Weisungen, die unter dem Titel «Verordnung über die Umsetzung von § 49b Planungs- und Baugesetz (UmV § 49b PBG), Neuerlass» traktandiert sind und damit so spannend tönen wie das Ausfüllen einer Excel-Tabelle.

Doch was sich hinter dem verwaltungsdrögen Titel verbirgt, bot in der gestrigen Gemeinderatssitzung Stoff für eine unversöhnliche Grundsatzdebatte, an deren Ende für die einen, nämlich Linksgrün, ein Paradigmenwechsel beim bezahlbaren Wohnen steht. Alle anderen jedoch stehen dem Ergebnis einigermassen fassungslos gegenüber.

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Der Paragraf 49b des kantonalen Planungs- und Baugesetzes (PBG) wurde nach der 2014 vom Volk angenommenen kantonalen Vorlage «Mindestanteil an preisgünstigem Wohnraum» eingeführt. Er gibt den Gemeinden die Möglichkeit, bei Auf- und Umzonungen auch private Eigentümer:innen zur Erstellung von preisgünstigem Wohnraum (sprich: Wohnraum zur Kostenmiete) zu verpflichten und Bestimmungen zur Belegung dieses Wohnraums zu erlassen.

Doch genau diese Bestimmungen sorgten gestern für heftigen Streit. Der Stadtrat hatte sich bei seiner Vorlage an den existierenden Bestimmungen des subventionierten Wohnungsbaus orientiert und sowohl die gängige Belegungsvorschrift «Maximalzahl der Zimmer = Personen im Haushalt + 1» als auch eine Einkommenslimite definiert. Wer bei Mietantritt mehr als das Vierfache, im weiteren Verlauf der Mietdauer mehr als das Sechsfache des Bruttomietzinses verdient, muss nach einer Übergangsfrist die Wohnung verlassen.

Für die linksgrüne Mehrheit, allen voran die beiden SP-Gemeinderäte Marco Denoth und Patrick Tscherrig, gingen diese Vorgaben allerdings zu weit. Sie beantragten die Streichung der Einkommenslimite, welche sie mit den Stimmen von SP, Grünen und AL auch durchsetzten. Ein Roger Federer werde aufgrund der Belegungsvorschriften sicherlich keine solche Wohnung beziehen, argumentierte Denoth. Tscherrig sekundierte: «Die Erfahrung aus der genossenschaftlichen Vermietungspraxis zeigt, dass Belegungsvorschriften funktionieren. In den Genossenschaften wohnt grossmehrheitlich der untere Mittelstand.»

Patrick Tscherrig, SP

«Belegungsvorschriften funktionieren», sagt Patrick Tscherrig. (Foto: Steffen Kolberg)

Überhaupt war der Mittelstand das grosse Zugpferd der SP-Argumentation: Auch dieser leide zunehmend unter den immer höheren Mieten und werde verdrängt, es gehe längst nicht mehr nur um die Ärmsten der Gesellschaft. Die Streichung der Einkommenslimite stehe auch für eine gesunde Durchmischung in Siedlungen und Quartieren, so Denoth. Die Bürgerlichen, die an der Einkommenslimite festhielten, wollten die Kostenmiete als Ausnahme von der Regel markieren, während sie für die Linken ein Segment bedienen solle, das auch den Mittelstand erreicht, fand Tscherrig.

Bei der GLP, welche die damalige kantonale Vorlage unterstützt hatte, herrschte Fassungslosigkeit. Nicolas Cavalli erklärte, man habe viel Hoffnung in die Verordnung gesteckt, die nun ihres Zwecks beraubt worden sei. Die linke Mehrheit setze mit der Streichung die vulnerabelsten Menschen einem brutalen Veteilungskampf um diese Wohnungen aus. Ähnlich argumentierte Claudia Rabelbauer (EVP): «Ich bin entrüstet und entsetzt.» Die Ärmsten seien die ersten, die aus der Stadt verdrängt würden und dort dann nicht mehr von den städtischen Unterstützungsleistungen zum Beispiel im Bereich der Kinderbetreuung profitierten.

Auch Stadtrat Daniel Leupi, als Finanzvorsteher verantwortlich für die Vorlage, verstand nicht, was Linksgrün mit der Streichung bezwecken wollte: «Zwischen Roger Federer und Menschen, die in subventionierten Wohnungen leben, gibt es eine gigantische Bandbreite», erläuterte er: «Ich bedaure diese Entscheidung sehr.»

Die FDP wiederum wedelte die ganze Debatte über mit Flyern für ihre neue Aufstockungs-Initiative (mehr dazu in unserem Podcast mit Hans Dellenbach), die sie als Lösung für die Probleme auf dem Wohnungsmarkt anpries. Am Ende der Debatte zeichnete sich ab, dass die bürgerliche Seite das Referendum gegen die nun veränderte Verordnung ergreifen könnte. Für SP, Grüne und AL wird es in einem solchen Falle nicht einfach werden, gegen den Slogan «Linksgrün will preisgünstige Wohnungen für Reiche» anzukämpfen.

Mehr Geld für das Tramdepot Hard

Neben der grossen Verordnungsdiskussion blieb wenig Platz für anderes. Der Gemeinderat hiess einstimmig einen Zusatzkredit über 11 Millionen Franken für das im Umbau befindliche Tramdepot Hard mitsamt der neu entstehenden Wohnsiedlung gut. Die Zusatzkosten zu den bereits bewilligten über 200 Millionen Franken entstünden unter anderem dadurch, dass während des Baufortschritts ersichtlich geworden sei, dass man eine grössere Photovoltaik-Anlage installieren könne, referierte Anthony Goldstein (FDP). Die Verzögerung des angrenzenden Verkehrsprojekts Hardturmstrasse sowie Sanierungs- und Verstärkungsmassnahmen an der Ufermauer, die umfassender nötig seien als gedacht, verteuerten das Projekt ausserdem.

«Die SVP stimmt zähneknirschend zu. Ich hoffe, man hört das Zähneknirschen.»

Martin Götzl, SVP, zu den Mehrkosten für das Tramdepot Hard

Für Martin Götzl (SVP) war unklar, wie man sich beispielsweise bei der Grösse der PV-Anlage so habe verrechnen können. Doch da es unter anderem um die Sicherheit der Bewohner:innen gehe, gehe man beim Zusatzkredit mit: «Die SVP stimmt zähneknirschend zu. Ich hoffe, man hört das Zähneknirschen.»

Patrik Maillard betonte noch einmal die ablehnende Haltung seiner AL zum Gesamtprojekt. Denn die städtischen Wohnungen, die in der Wohnsiedlung Depot Hard entstehen, sollen deutlich über dem üblichen Mietzinsniveau städtischer Wohnungen liegen. Damit treibe die Stadt die «Yuppiesierung» von Zürich West voran, so Maillard.

Simon Diggelmann (SP) verteidigte die anvisierten Mietpreise, deren vergleichsweise hohe Kostenmiete auf die hohen Baukosten zurückzuführen ist: «Die Wohnungen sind nicht so viel teurer als Wohnungen auf dem freien Markt. Und im Hinblick auf die Diversifizierung des städtischen Portfolios ist das eine gute Sache.» Stadtrat Daniel Leupi pflichtete Diggelmann bei: «An diesem Standort wird niemand verdrängt, denn dort stehen bis jetzt gar keine Wohnungen.»

Weitere Themen der Woche

  1. Öffentliche Nutzung von Schulräumen: Ohne Diskussion überwies der Gemeinderat ein Postulat von Balz Bürgisser und Sibylle Kauer (beide Grüne). Darin fordern sie, im Rahmen eines Pilotprojekts bestimmte Schulräume ausserhalb der Betriebszeiten für lokale, nicht gewinnorientierte Nutzungen zu öffnen. Ein ähnliches Pilotprojekt für schulische Aussenräume hat das Schul- und Sportdepartement schon lanciert.
     
  2. Kürzere Bauphasen bei Bauprojekten: Reto Brüesch und Martin Götzl (beide SVP) forderten in einem Postulat, die Standard-Bauphasen bei städtischen Verwaltungsbauten zu kürzen. Derzeit betragen sie bei Neubauten teilweise über zehn Jahre, was «nicht mehr zeitgemäss» sei. Der Vorstoss wurde ohne Diskussion überwiesen.
     
  3. Durchgehender Fussweg entlang der Limmat: Jürg Rauser (Grüne), Roland Hohmann (Grüne) und Selina Frey (GLP) haben gestern ein Postulat eingereicht, in dem sie die Erstellung eines Fusswegs entlang des Limmat- (und hier auch noch Sihl?)ufers zwischen Wipkinger- und Zollbrücke fordern. An diesem Abschnitt gibt es momentan keinen Uferweg, der Weg führt teilweise am Sihlquai entlang.

  1. Marktgeschehen auf der Stadthausanlage: Die AL-Fraktion hat ein Postulat eingereicht, in dem eine möglichst durchgängige Weiterführung der Märkte auf der Stadthausanlage während deren Umbau gefordert wird. Die Stadthausanlage, das war mir bisher nicht geläufig, ist der Platz mit dem Musikpavillon, den Menschen wie ich als Bürkliplatz kennen.

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