Das Industrieerbe von Zürich – oder ein neues Leben für Fabrikhallen

Egal, ob die Maag-Hallen im Kreis 5 oder die Junior-Werkhalle in Oerlikon: Viele ehemalige Industriehallen in Zürich sind dem Tod geweiht. Dabei würde es sich durchaus lohnen, die Relikte aus einer vergangenen Zeit wiederzubelebten, finden unsere Architektur-Kolumnist:innen.

Zahnradfabrik Maag
Früher wurden in den Maag-Hallen Zahnräder hergestellt. (Bild: ETH-Bildarchiv)

In Zürich haben Hallen keinen einfachen Stand. Noch vor etwa zwei Jahrzehnten waren die baulichen Zeugen des einst blühenden Industriezeitalters weit verbreitet, insbesondere an den ehemaligen Industriestandorten Zürich West und in Oerlikon. Im Zuge der Nachverdichtung leerer Fabrikareale wurden viele der Hallen rückgebaut, um Platz für neue Wohn- und Büroblöcke zu schaffen.

Eine Tendenz, die anhält, seit sich Zürich nun in alle Himmelsrichtungen verdichtet. Die schönen grossen Industriehallen werden immer seltener – doch einige gibt es noch. Oft stehen sie mit ihrem grossen Fussabdruck etwas sperrig in der Stadt, und damit einer vermeintlich reibungslosen Entwicklung im Weg. 

Die letzten Zeugen loswerden?

Eine Nachricht von Ende Mai stimmt leicht zuversichtlich: Die Maag-Hallen sollen vielleicht doch stehen bleiben. Die gesellschaftliche Relevanz der Industrierelikte scheint vorhanden – über 10’000 Stadtbewohner:innen bewirkten mit ihrer Petition viel Medienecho, und der Heimatschutz und die Hamasil-Stiftung rekurrierten gegen die erteilte Baubewilligung. Vorerst hat das Baurekursgericht die Beschwerde gutgeheissen: Die Schutzwürdigkeit des Industriezeugen soll nochmals vertieft geprüft werden, bevor ein Abbruch zugelassen wird. 

«Das Abbrechen der Relikte aus dem Industriezeitalter scheint längst überholt.»

ZAS*

Somit ist die Zukunft der Maag-Hallen wieder offen. Die Eigentümerin Swiss Prime Site (SPS) zieht das Verfahren vor das Verwaltungsgericht weiter. Die Ironie an der ganzen Sache ist, dass die SPS selbst ein Wettbewerbsverfahren veranstaltet hatte, aus dem ein Projekt der renommierten Architek:innen Lacaton & Vassal mitsamt Maag-Hallen-Erhalt siegreich hervorging. Zugunsten eines vermeintlich reibungslosen Ablaufs entschied sich die Eigentümerin jedoch für das zweitrangierte Ersatzneubauprojekt – um entsprechend dem bereits bewilligten Gestaltungsplan planen und bauen zu können.

Wie sich vielleicht bald zeigen wird, könnte sich die Hierarchie der Einflussfaktoren verändert haben. Die sich verknappende Menge an Hallen macht die einzelnen wieder wichtiger, und der Widerstand gegen den Abriss steigt und gleichzeitig die Bereitschaft, rechtliche Schritte zu ergreifen.  

Ciao Werkhalle Junior

Etwas anders verläuft es momentan hinter dem Hönggerberg, wo weniger Lobbyismus am Werk ist – dort wird momentan die Werkhalle des Junior-Gebäudes nördlich des Oerliker Bahnhofs abgerissen. Diese ist zwar um einiges kleiner und eher unspektakulär, wir möchten ihr hier trotzdem eine kurze Abschiedsbotschaft schenken. Denn schön ist sie eigentlich, mit ihren tiefblauen Stahlträgern und Raumfachwerken.

Einst war sie knallgelb gestrichen, vor einigen Jahren hat man sie jedoch grau übertüncht und sie verlor an Strahlkraft. Vielleicht wäre die Halle sogar bald als Denkmal einer sich entwickelnden Dienstleistungsgesellschaft infrage gekommen – wenn sie denn etwas länger hätte stehen können. Entworfen wurde sie nämlich vom renommierten Architekten Jacques Schader (1917-2007) als Teil eines Ausbildungszentrums der ABB, ehemals BBC. 1983 wurde sie fertiggestellt und mit der «Auszeichnung für gute Bauten der Stadt Zürich» versehen. Fast vierzig Jahre diente der Bau als Lehrwerkstätte, wo angehende Elektromechaniker:innen, Maschinenschlosser:innen, Werkzeugmaschinist:innen ausgebildet wurden.

junior halle abbruch zas*
Die Werkhalle der ABB muss neuem weichen – dabei wären auch andere Nutzungen möglich gewesen, finden unsere Kolumnist:innen. (Bild: zvg)

Vor ein paar Jahren wurden die Werkhallen dann kurzzeitig zum Corona-Impfzentrum umfunktioniert und später zur Staffage für eine Banksy-Ausstellung. Nun befindet sie sich im Rückbau. An ihrer prominenten Lage beim neu geschaffenen Max-Frisch-Platz werden dereinst Hochhäuser aus dem Boden spriessen. Ein Landabtausch zwischen der ABB und dem Kanton Zürich, der die Grundstücksverhältnisse für diese zukünftige Entwicklung neu ordnen soll, hat nun das Verschwinden des Juniors vorzeitig herbeigeführt. 

Ein kleiner Lichtblick tut sich dabei auf: Der für Schulungen vorgesehene, dreistöckige Teil des Juniors-Gebäudes hätte eigentlich ebenfalls weichen sollen, wird aber erfreulicherweise zum Schulraumprovisorium transformiert. Die Kantonsschule Hottingen wird während des Umbaus ihrer eigenen Schule die Räumlichkeiten beziehen können, wie ein Schild vor der Baustelle verrät. Der Umbau zur Kantonsschule scheint passend, viel Eingriff braucht es nicht – doch hätte das Areal wohl noch umfassender in einen neuen Lebenszyklus überführt werden können.

Therese-Giehse-Strasse 8
Die Junior-Werkhallen um 1980. (Bild: ETH-Bildarchiv)

Stadt soll Hallen wieder füllen

Das Abbrechen der Relikte aus dem Industriezeitalter scheint längst überholt. Innovative Verdichtungsansätze sind gefragt – wie es das Projekt von Lacaton & Vassal für die Maag-Hallen aufzeigt. Es könnten damit Teile von Zürichs industriellem Erbe erlebbar gemacht werden, und gleichzeitig fände eine neue, dichtere Stadt darin Platz.

Die Strukturen taugen eigentlich wunderbar, um sie umzunutzen – es gibt in Zürich West sogar ein paar Beispiele dafür. Beim vor 20 Jahren gebauten Puls 5 wurden die alten Giessereihallen als riesige Lobby direkt in den Wohn- und Bürokomplex integriert. Auch das Theater Schiffbau hat in einer alten Halle Platz gefunden. Oder die ehemalige Seifenfabrik Steinfels, heute Abaton, die zum Kino- und Dienstleistungskomplex mitsamt Lofts und Reihenhäusern umgebaut wurde.

Hallenwohnen Zollhaus
25 Menschen, 1 Halle: Im Zollhaus werden neue Wohnformen erprobt. (Bild: Rahel Bains)

Dass die Hallen bewohnt werden könnten, wird ja eigentlich nicht mehr angezweifelt. Die Typologie des «Hallenwohnens», die in den linken Autonomiebewegungen in ebendiesen ehemaligen Fabrikhallen kultiviert und entwickelt wurde, wollte neue Wohnformen für eine sich verändernde Gesellschaft erproben. Es wirkt seltsam, dass im selben Moment, in dem das Hallenwohnen attraktiver wird, die verbliebenen Hallen verschwinden sollen. Statt dafür neue Gebäude ressourcenaufwendig zu bauen, könnten die bestehenden genutzt werden.

Ein paar grosse Abbrüche stehen auch in Oerlikon an. Als Teil des letzten noch nicht entwickelten Industrieblocks von Oerlikon-Nord befindet sich auch direkt neben dem Junior-Gebäude die noch viel grössere Halle 622, die für Events und Konzerte benutzt wird. Wenn die Planung nach Plan verläuft, wird der ganze Block in baldiger Zukunft neuen Büro- und Wohnbauten weichen.

Zusätzlich stehen in Oerlikon nach wie vor der Abbruch von Hallenbad und der Eishalle an – zwar keine Industrierelikte, aber Zeugen einer aufstrebenden Freizeitgesellschaft. Sie alle böten ein spezifisches Potenzial für die wachsenden Quartiere im Zürcher Norden. Es wäre an der Zeit, die grossen Strukturen mit in die Zukunft zu nehmen.

ZAS*

ZAS* ist ein Zusammenschluss junger Architekt:innen und Stadtbewohner:innen. Unter ihnen kursieren heute verschiedene Versionen darüber, wo, wann und warum dieser Verein gegründet wurde. Dem Zusammenschluss voraus ging eine geteilte Erregung über die kurze Lebensdauer der Gebäude in Zürich. Durch Erzählungen und Aktionen denkt ZAS* die bestehende Stadt weiter und bietet andere Vorstellungen an als jene, die durch normalisierte Prozesse zustande gekommen sind. Um nicht nur Opposition gegenüber den offiziellen Vorschlägen der Stadtplanung zu markieren, werden transformative Gegenvorschläge erarbeitet. Dabei werden imaginative Räume eröffnet und in bestehenden Überlagerungen mögliche Zukünfte lokalisiert. Die Kolumne navigiert mit Ballast auf ein anderes Zürich zu und entspringt einem gemeinsamen Schreibprozess. Zur Kontaktaufnahme schreiben an: [email protected]

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