Über die Krux von Sanierungen im bewohnten Zustand

Um Mieter:innen vor einer Kündigung zu bewahren, versucht man vermehrt im bewohnten Zustand zu sanieren. Doch wo Chancen sind, lauern auch Gefahren, warnen unsere Architektur-Kolumnist:innen.

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Duschen im Keller, Staub auf den Kleidern: Der Preis für den Umbau bezahlt die bestehende Mieterschaft. (Bild: zvg)

Altbau, drei Zimmer, Küche und Badezimmer eines älteren Semesters, Parkettboden, gleich beim Manesseplatz. Die Miete: bezahlbar. Mehr als zehn Jahre ist dieser kleine Traum Realität. Ein Zuhause, das Sicherheit verspricht. In einer Stadt, in der kein Stein auf dem anderen bleibt.

Am Ende des Monats ein eingeschriebener Brief. Der Absender: die Hausverwaltung. Auf dem Weg zur Post, ein flaues Gefühl im Magen – Mietzinserhöhung? Die Sicherheit der vergangenen Jahre ist durchbrochen: «Kündigung aufgrund von Ersatzneubau.»

Die drängende Verdichtung und die eklatante Unterversorgung von Wohnungen in Zürich sowie profitorientierte Investitionen in den Immobilienmarkt führen zu einem Reflex: Bestehende Gebäude werden abgebrochen und durch neue und grössere ersetzt. Diese Ersatzneubauten werden dann teurer vermietet. 

Haben nur Teile eines Gebäudes ihren Lebenshorizont erreicht, ist es üblich, dass Eigentümer:innen bauliche Massnahmen ergreifen: Ein Gebäude wird «instandgesetzt» oder saniert. Je umfassender, desto totaler – Totalsanierung, also. Wände werden herausgerissen, Bäder und Küchen umgebaut und modernisiert, Fussböden, Leitungen und die Haustechnik erneuert. Bis auf die Möbel fängt alles an, sich zu bewegen.

In beiden Szenarien kommt es zur Kündigung. Betrifft sie ein ganzes Haus oder sogar eine ganze Siedlung, spricht man von einer Leerkündigung. Da sich die alten Bewohner:innen die neuen Mieten nicht mehr leisten können, kehren sie nach der Baustelle nur in den seltensten Fällen an ihren alten Wohnort zurück – sie werden verdrängt.

Aufstockungen: Den Preis zahlt die Mieterschaft

Die Volksinitiative «Mehr Wohnraum durch Aufstockung» von der FDP will uns zeigen, wie das Problem angegangen werden soll. Sie wird als nachhaltig, quartierverträglich und mieter:innenfreundlich beworben. Was solche Verdichtungsmassnahmen die Betroffenen auf der Baustelle bedeutet, zeigt ein Besuch vor Ort. Irgendwo zwischen Staub und Lärm werden Chancen und Risiken vom Umbau im bewohnten Zustand auf die Waagschale gelegt. 

Albert Leiser, Direktor des Zürcher Hauseigentümerverbandes, schlägt im Tages-Anzeiger vor: «Das Aufstocken von bestehenden Häusern muss leichter möglich sein.» Dadurch könne viel zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden und die Mieten in den unteren Wohnungen könnten günstig bleiben. Doch dürfen Mieter:innen dann bleiben? Die Realität zeichnet ihr eigenes Bild.

«Wenn die Vibration des Bohrers das Haus erfasst, durchdringt ein Gefühl des Ausgeliefertseins den Körper.»

ZAS*

Umbauen heisst meist auch Rückbauen. Der Lärm des Bohrhammers wird getaktet durch die Pausenzeiten der Bauarbeiter:innen. Staub auf allen Möbeln, in allen Schubladen, auf allen Kleidern. Regnerisches Wetter heisst auch feuchte Wände. Die Zimmer sind kalt. Schimmel in allen Räumen. «Trennschnitt» klingt chirurgisch präzise. Die Leitungen wurden eine Woche zu früh geschnitten, bedeutet präzise eine Woche zu früh kein Wasser mehr.

Sind die ersten Tage auf der Baustelle noch von einem «Wir stehen das durch»-Willen besetzt, verstärkt sich mit jedem Hammerschlag ein Gefühl von Ohnmacht. Die Dusche am Morgen findet ab jetzt nur im Duschcontainer im Innenhof statt. Vorbei an allen Arbeiter:innen. Wenn die Vibration des Bohrers das ganze Haus erfasst, durchdringt ein Gefühl des Ausgeliefertseins den ganzen Körper.

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Baugespanne, wie hier an der Ecke Zweier-/Zentralstrasse, verheissen oft nichts Gutes. Doch es gibt Ausnahmen. (Bild: zvg)

Es ist nachvollziehbar: Bei einer Totalsanierung will niemand in der Wohnung bleiben. Bei Aufstockungen werden oft auch die nicht mehr «zeitgemässen» Wohnungen in den unteren Etagen saniert. Diese müssen nach einem Umbau ein umfassendes Spektrum von Komfort, Standards, Sicherheit und Nachhaltigkeit genügen.

In der Baubranche gibt es für all diese Bereiche Normen und Gesetze: Erdbebensicherheit, Vorschriften für Brandschutz, Schallschutz, Barrierefreiheit. Sobald in Gebäude baulich eingegriffen wird, gilt es einen Anforderungskatalog zu erfüllen.

Je umfangreicher die Bauprojekte, desto mehr verdienen alle Beteiligten. Investor:innen wollen ihr Geld sicher anlegen und vermehren, die Industrie will mit Produkten der Nachfrage nach Sicherheit, Komfort und Nachhaltigkeit mit neuen technischen Gadgets nachkommen, die Honorare der Architekt:innen werden gemäss der prognostizierten Baukosten berechnet. Die Baubranche hatte bisher wenig Interesse an Strategien mit geringer Eingriffstiefe. Pragmatische Lösungsansätze werden kaum verfolgt.

Schlussendlich breitet sich die Baustelle auf das gesamte Gebäude aus. Ein Bleiben wird für die Bewohner:innen unzumutbar. Das Ergebnis sind Leerkündigungen und steigende Mieten. Mit der Volksinitiative der FDP ist gegen den Anstieg der Mieten in den bestehenden Wohnungen noch nichts unternommen.

Perfektionismus: Des günstigen Mietens grösster Feind

Ein Baugespann, das ausnahmsweise alle begrüssen. Zwei Wochen in die Ferien. Raus ans Meer. Blauer Himmel da, wo es ruhig ist. Frisch und erholt in die neue Küche und das Bad zurück. Tageweise Hotelaufenthalte und ein exklusiver Duschcontainer im Hof. Klingt nach Festivalfeeling im eigenen Quartier.

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Gadgets wie Staubschutztüren machen das Wohnen auf der Baustelle erträglicher. (Bild: zvg)

Dabei gilt: Je weniger bei einer Sanierung auf hohen Komfort und strenge Bauregeln wie bei einem Neubau geachtet werden muss, desto geringer wird der Preisanstieg für die Mieter:innen sein. Die Anforderungen an den Bestand müssen reduziert werden, um bei Aufstockungen pragmatische Lösungsansätze zu verfolgen. Braucht es zum Backofen wirklich noch einen Steamer?

Das bedeutet nicht, dass wir auf Sanierungen verzichten sollten, sondern dass wir die Art und Weise, wie wir sanieren, hinterfragen – allem voran die Perfektion der Schweizer Baukultur. Das oberste Ziel sollte es sein, mehr Menschen Wohnraum von guter Qualität zu ermöglichen.

In den Grundzügen ist eine Aufstockungsinitiative ein vernünftiger Plan. Aufstockungen sind eine Chance, die Dichte zu erhöhen, ohne die bestehenden Gebäude erheblich zu beeinträchtigen. Wichtig ist jedoch, dass sich die Baustelle nicht zu weit in die Struktur der bestehenden Gebäude ausbreitet.

«Wenn das eigene Zuhause zur Baustelle wird, löst es Ängste aus.»

ZAS*

Bei Aufstockungen sollte sich die Baustelle so weit wie möglich auf die hinzugefügten Bauteile begrenzen. Das Anbauen von Raum- und Balkonschichten oder Aufstockungen kann die Situation der Mieterschaft verbessern, ohne in ihre bestehenden Lebensräume einzugreifen.

Wenn das eigene Zuhause zur Baustelle wird, löst es bei den betroffenen Personen Ängste aus. Ob das Bauvorhaben gelingt, hängt darum entscheidend von einer transparenten Kommunikation des Baumanagements ab. Terminpläne müssen kommuniziert und die bestehende Mieterschaft in den Prozess einbezogen werden. Alle Beteiligten betonen, dass die Kommunikation auf der Baustelle eine entscheidende Rolle spielt, damit das Vorhaben einer Sanierung im bewohnten Zustand gelingt, denn kommt es zu Verzögerungen, wohnt man schnell auf einer Baustelle.

Ein bisschen Baukran und Baugerüst – Altbau plus zwei Stockwerke mehr. In grossen Stücken und kurzer Zeit draufgestellt. Eintägiger Auftritt der Diamantsäge samt Staubschleuse. Mehr Licht und Aussicht, weil die Brüstung ist weg und ein Balkon hat es jetzt auch. Innerhalb der Wohnungen keine Eingriffe, lediglich den Durchlauferhitzer ersetzt. Zuoberst zugänglich fürs Haus, grosse Dachterrasse mit Aussicht bis zum See.

Für weitere 30 Jahre bleibt dieser Traum für mehr Menschen erschwingliche Realität. Ein Zuhause, das Sicherheit, mehr Licht und Aussicht spendet. In einer Stadt, die noch viel Platz für mehr Menschen hat.

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