Architektin zu Flächenkonsum: «Wohnen ist auch ein Statussymbol»
Klein, aber oho: Mikrowohnungen in Zürich boomen. Weshalb wir durch die Wohnform aber nicht zwingend weniger Raum beanspruchen, erklärt die Architektin Claudia Thiesen im Interview.
Isabel Brun: Der Flächenverbrauch pro Kopf hat sich in der Schweiz zwischen 2013 und 2021 von 45 auf 46,6 Quadratmetern erhöht. Warum wohnen wir so gerne auf grossem Fuss?
Claudia Thiesen: Wohnen ist auch ein Statussymbol. Wie eine Person wohnt, sagt etwas über ihre soziale und finanzielle Situation aus. Zudem wollen viele möglichst alle Funktionen innerhalb der Wohnung unterbringen: Wäsche waschen, Freund:innen einladen, Home-Office. All das braucht Platz.
Was ist daran problematisch?
Je mehr Platz wir beanspruchen, desto mehr Ressourcen benötigen wir. Mehr gebaute Fläche oder Raum bedeutet einen höheren CO2-Ausstoss. Es wäre deshalb ökologisch sinnvoll, dass wir mehr Menschen in einem Gebäude unterbringen könnten. Ausserdem gibt es auch einen sozialen Aspekt.
Wie meinen Sie das?
Es macht einen Unterschied, ob wir abgeschottet in unseren privaten Wohnungen leben oder Aktivitäten in gemeinschaftlich genutzte Räume verlegen. Eine lebendige Stadt braucht soziale Interaktionen; Reibungspunkte und Möglichkeiten, sich zu vernetzen. Damit ein Miteinander entstehen kann, sollte sich das Wohnen nicht nur hinter der Tür abspielen.
Dann müssten Sie es eigentlich begrüssen, dass sich die Zahl von 1-Zimmer-Wohnungen in Zürich in den letzten Jahren erhöht hat.
Kleinere Wohnungen führen nicht automatisch zu weniger Flächenverbrauch. Aktuell dient diese Bauweise vor allem dazu, um die Rendite zu steigern und nicht, um Platz oder Ressourcen zu sparen.
In Häusern, in denen es nur 1- oder 2-Zimmer-Wohnungen gibt, leben in der Regel nicht mehr Menschen als in solchen, in denen mehrköpfige Wohngemeinschaften oder Familien unterkommen können.
Was braucht es, damit wir unseren Wohnflächenkonsum tatsächlich reduzieren könnten?
Wir müssen Wohnkonzepte ganzheitlich und flexibel denken. Das heisst, wenn ich Kleinstwohnungen realisiere, braucht es Räume, in denen ein soziales Leben möglich ist. Zum Beispiel durch eine Gemeinschaftsküche, ein Gästezimmer oder einen Co-Working-Space. Dazu gehört auch, dass man konventionelle Wohnformen ergänzt werden mit neuen Konzepten wie dem Cluster- oder Hallenwohnen.
Es wäre ein wichtiger Schritt, um die Stadt sinnvoll nach innen zu verdichten. Dass der Flächenverbrauch in Zürich, im Gegensatz zum gesamtschweizerischen, in den letzten Jahren zurückgegangen ist, könnte auch an den Bestrebungen liegen, dichter zu bauen.
Hat bei den Architekt:innen ein Umdenken stattgefunden?
Es ist sicher so, dass der zunehmende Platzmangel in der Stadt Zürich dazu geführt hat, Konzepte zu überdenken. Gerade junge Architekt:innen sind sehr darauf bedacht, haushälterisch mit unserem Boden umzugehen und suchen nach innovativen Ideen, die man im Bestand umsetzen kann, um das Problem der grauen Energie anzugehen.
Gleichzeitig möchte ich an dieser Stelle betonen, dass die Verantwortung bei allen Akteur:innen im Bauwesen liegt: Die Architektur ist nur ein Teil der Lösung. In erster Linie entscheidet die Bauherrschaft, wie der Wohnungsmix aussehen soll.
Bräuchte es strengere Richtlinien? Beispielsweise eine Belegungsvorschrift, die vorgibt, wie viele Quadratmeter eine Person beanspruchen darf.
Tatsächlich kennen viele Genossenschaften diese Regelung schon, weshalb der Pro-Kopf-Flächenverbrauch geringer ist als bei anderen Bauträgern. Doch den meisten privaten oder institutionellen Eigentümer:innen ist es egal, wie viele Personen in ihren Wohnungen leben, solange der Mietzins bezahlt wird.
Ich glaube nicht, dass eine Belegungsvorschrift gesetzlich eingeführt werden könnte. Es ist schliesslich auch mit einem enormen Aufwand verbunden, diese Vorschriften regelmässig zu kontrollieren.
Schlagen Sie einen anderen Weg vor?
Wir sollten uns darauf fokussieren, genügend Wohnraum zu schaffen, der flexibel nutzbar und kostengünstig ist. Das Hauptproblem liegt nämlich nicht darin, dass wir alle gern in zu grossen Wohnungen leben, sondern dass das Angebot zu starr ist.
Die wenigsten Zürcher:innen können es sich aussuchen, wie oder wo sie wohnen wollen. Entsprechend bleibt man lieber alleine in einer günstigen 3-Zimmer-Wohnung zurück, als in eine 1-Zimmer-Wohnung zu ziehen, die um ein Vielfaches teurer ist. Dadurch bleibt auch der Flächenverbrauch hoch.
Wenn du Claudia Thiesen live erleben möchtest, dann besuche am Montag, 3. März 2025, das Podium zur Frage: Wie viel Raum brauchen wir?
Isabel hat an der ZHAW Kommunikation studiert und schreibt seit 2019 für Tsüri.ch. Bevor sie sich dem Journalismus verschrieb, arbeitete sie als tiermedizinische Praxisassistentin. Als erste Klima-Redaktorin von Tsüri.ch trieb sie die Berichterstattung zu Klimathemen massgeblich voran. In der Redaktion hält sie die Fäden in der Hand, findet vergessene Kommas und koordiniert die Kolumnen.