Antisemitischer Angriff in Zürich: Mehr Zusammenhalt, weniger Hetze

Am Wochenende hat ein 15-Jähriger einen orthodoxen Juden mit einem Messer angegriffen. Antisemitismus betrifft uns alle, dieser Vorfall darf nicht für rechte Hetze instrumentalisiert werden. Ein Kommentar von Lara Blatter.

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Die Kundgebung am Sonntag endetet auf dem Helvetiaplatz. Als Symbolakt wurden gelbe Regenschirme getragen. (Bild: Kai Vogt)

Mitten in Zürich hat am Samstagabend ein 15-Jähriger einen orthodoxen Juden mit einem Messer angegriffen. Das 50-jährige Opfer wurde schwerverletzt ins Spital gebracht. Die Betroffenheit in der jüdischen Community ist gross, hunderte fanden sich am Sonntagnachmittag zu einer Mahnwache ein, wie Kollege Kai Vogt im Züri Briefing schrieb. Laut der Stadtpolizei wurde das Opfer «lebensbedrohlich verletzt» und musste ins Spital gebracht werden. Am Montag konnte die Lebensgefahr gebannt werden. 

Ob die Tat antisemitisch motiviert war, werde von der Jugendanwaltschaft der Stadt Zürich untersucht. Vieles deutet daraufhin. Wie unter anderem die NZZ berichtete, sei mittlerweile ein Video des Jungen aufgetaucht, darin bekennt dieser sich zum Islamischen Staat. Regierungsrat Mario Fehr sprach am Montag von einem Terroranschlag. Der mutmassliche Täter habe ein jüdisches Opfer gesucht, es sei «eine üble antisemitische Tat».

Antisemitismus – egal ob mit oder ohne physische Gewalt – ist ein Problem. Das Problem lösen wir aber nicht, indem wir auf andere zeigen, wie die SVP es gestern im Kantonsrat versuchte. In ihrer Fraktionserklärung wollte die Volkspartei «den wahren Antisemitismus endlich klar beim Namen nennen» und sprach darin die «antikapitalistischen Linken» und «muslimisch geprägte Migrantenmilieus» an. 

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Der Angriff passierte hier, an der Verzweigung Brandschenkestrasse/Selnaustrasse um halb 10 Uhr abends. (Bild: Kai Vogt)

Die SVP schreibt von Asylchaos und von einer «neu importieren Generation an Antisemiten». Solange die «vermeintlich Toleranten» die wahren Urheber:innen des Antisemitismus nicht beim Namen nennen würden, seien ihre Mitleidsbekundungen hohle Phrasen, so die SVP. SP, Grüne und AL liessen sich das nicht gefallen, es kam zum Eklat, die Linken standen demonstrativ auf und verliessen den Ratssaal.

Wir alle sind gefordert

Mit ihrer Hetze versucht sich die SVP zu profilieren – auf dem Rücken des jüdischen Opfers und mit antimuslimischer Angstmacherei. Doch statt Spaltung brauchen wir mehr Zusammenhalt und Selbstreflexion. Schuld sind nämlich nicht die «anderen» – unsere ganze Gesellschaft ist gefordert. Das Problem des Antisemitismus lösen wir nicht, indem wir auf andere zeigen. Antisemitische Stereotypen und Vorurteile sind in unserer Gesellschaft tief verankert – in allen Teilen. Wer zu schnell denkt, «ich nicht!» sollte vermutlich nochmals in den Spiegel schauen. Denn als ersten Schritt müssen wir diese Mechanismen bei uns selbst erkennen. Dieses Zugeben des Nicht-Perfekt-Seins öffnet nämlich die Türe für den zweiten Schritt: das Dekonstruieren von antisemitischen Denkmustern. 

Wir alle sind in einer sexistischen, rassistischen, homophoben und antisemitischen Gesellschaft aufgewachsen. Nur wer sich dies selbst eingestehen kann, kann Teil der Lösung werden. 

Doch genau mit diesem Eingestehen tun wir uns schwer. Ein Beispiel: Vor zwei Wochen wurde die Schweiz in Strassburg vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerüffelt. Ein Urteil befand, dass eine Kontrolle eines Schwarzen Mannes diskriminierend war. Die Zürcher Stadtpolizei soll rassistisch sein? «Nein», meinte die Grüne Stadträtin Karin Rykart, die letzte Woche diese Vorwürfe vehement zurückwies. Fatal. Sogar das Sicherheitsdepartement nimmt Rassismus nicht ernst. Viel ehrlicher wäre: zugeben, reflektieren, lernen und dann besser machen. 

Wir müssen uns fragen, wie es in Zürich so weit kommen kann, dass ein 15-Jähriger zum Messer greift. Spoiler: Die Lösung ist nicht auf die vermeintlich «anderen» zu zeigen. Denn wer sind «wir» und wer sind die «anderen»? Wir alle sind Teil dieser Gesellschaft. Es gibt keine «anderen», auch wenn das von rechts gerne so dargestellt wird. Dieser Schweizer Junge, egal woher vielleicht seine Vorfahren kommen, welche Farbe seinen Pass auch noch haben könnte oder seine Hautfarbe hat, gehört genauso zu unserer Gesellschaft. Es darf nicht sein, dass wir Jüd:innen und Muslim:innen gegeneinander ausspielen. 

Und genau jetzt müssen wir als Gesellschaft zusammenstehen und klare Kante gegen Antisemitismus und Rassismus zeigen. Genauso wie wir antisemitisch geprägt sind, sind wir auch von antimuslimischen Rassismen geprägt. Diese beiden Diskriminierungsformen sind tief in uns verankert. Diese müssen wir angehen und dafür sorgen, dass sich Jüdinnen und Juden in Zürich sicher fühlen. 

«Unsere Antwort wird mehr Offenheit und mehr Demokratie sein!», sagte der norwegische Regierungschef nach dem Massaker von Breivik. Dies könnte auch für uns ein Leitsatz sein. 

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