Post, Restaurant, Bordell und jetzt besetzt: Die «Alte Post» in Seebach

Besetzer:innen haben am Montag die «Alte Post» in Seebach besetzt. Sie fordern eine öffentliche und unkommerzielle Nutzung der Liegenschaft – mit diesem Anliegen stehen sie nicht alleine da. Auch der Quartierverein Seebach wünscht sich eine öffentliche Nutzung des ehemaligen Postgebäudes. Eigentümer der Liegenschaft ist ein bekannter und umstrittener Immobilienbesitzer: Fredy Schönholzer.

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Seit Montag ist diese Haus besetzt – aufgefallen ist es bis anhin nur wenigen. (Bild: Lara Blatter)

Das ehemalige Restaurant «Alte Post» an der Schaffhauserstrasse 510 wurde am Montag, 19. September besetzt. An der Hauswand hängt ein Tuch, auf dem «besetzt» steht. Das Haus befindet sich direkt an der Tramhaltestelle Seebach. Dort sitzt eine ältere Frau auf einer Bank und füllt ein Kreuzworträtsel aus. Das Tuch mit der Aufschrift scheint hier erstmal niemanden zu kümmern. «Eine Besetzung?» Die Kioskfrau an der Tramhaltestelle lacht. Früher hätten hier «lustige Frauen» gewohnt. Mit lustig meint sie wohl Sexarbeiter:innen.

In der «Alten Post» hauste bis vor kurzem das Bordell «Villa 510», wie aus einem Bericht der Quartierzeitung Zürich Nord hervorgeht. Die Webseite des Bordells ist mittlerweile nicht mehr abrufbar und die Frauen mussten nach Angaben der Verwaltung Zulumi AG im August raus, die Miete sei nicht mehr bezahlt worden. Die Verwaltung sowie die Eigentümerin der Liegenschaft, die Nelly und Paul AG, gehören beide Fredy Schönholzer.

Die Nelly und Paul AG ist gemessen an der Anzahl Grundstücke die grösste private Immobilieneigentümerin zwischen dem Limmatplatz und der Badenerstrasse, heisst es in einer Recherche von Tsüri.ch. Und das alte Postgebäude in Seebach passt in das Portfolio des Immobilienbesitzers: eine sanierungsbedürftige Liegenschaft.

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Die Forderung der Besetzer:innen: Ein Ort, der für alle zugänglich und frei von Konsum ist. (Bild: Lara Blatter)

Mit Besetzungen hätten die Aktivist:innen Erfahrung. «Ein offener und fairer Dialog mit Eigentümer:innen ist uns wichtig», sagen sie. So wollen sie auch mit Schönholzer sprechen und haben ihm eine E-Mail geschrieben. Der Immo-König habe sich bis jetzt noch nicht blicken lassen und auch die E-Mail an die Verwaltung sei noch immer unbeantwortet. Räumung oder nicht? Auf Anfrage lässt die Verwaltung verlauten, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt noch keinen Entschluss gefasst haben. «Wenn wir die ‹Alte Post› räumen lassen, dann sind die Besetzer:innen in zehn Tagen wieder da», sagt der Verwalter. 

In der Stadt Zürich gelten klare Bedingungen dafür, unter welchen Umständen eine Besetzung geräumt wird. Festgehalten sind diese auf einem Merkblatt der Stadt Zürich. Liegenschaften werden erst durch die Polizei geräumt, wenn Hausbesitzer:innen einen Strafantrag stellen und eine von den drei folgenden Bedingung erfüllt sind: ein Abbruch oder eine geplante Neunutzung steht bevor oder die Besetzung gefährdet die Sicherheit von Personen oder denkmalgeschützten Bauteilen. Mit diesen Punkten soll sichergestellt werden, dass eine Räumung von Dauer ist und das Haus nicht mehrfach geräumt werden muss.

Nicht die erste Schönholzer-Besetzung

Es ist nicht das erste Mal, dass eine Liegenschaft, in der Schönholzer seine Finger im Spiel hat, besetzt wird. Anfang der 90er-Jahre erwarb er das Areal der ehemaligen Lack- und Farbenfabrik Labitzke in Altstetten und vermietete es als Zwischennutzung. Das Areal galt 25 Jahre lang als eines der grössten Kultur- und Wohnexperimente der Stadt Zürich. 2011 – im selben Jahr, als das Areal besetzt wurde – verkaufte es Schönholzer für 34 Millionen an die Mobimo AG. 2014 räumte die Stadt das Areal zu Gunsten der neuen Eigentümerin, die daraufhin 281 Wohnungen im oberen Preissegment errichtete. 

«Wer schöne Häuser hat und sie leer stehen lässt, muss damit rechnen, dass wir kommen.»

Besetzer:innen

Ob es die Aktivist:innen auf Schönholzer-Immobilien abgesehen haben? Nein. Es sei zufällig. Aber: «Wer schöne Häuser hat und sie leer stehen lässt, muss damit rechnen, dass wir kommen.» Auch Schönholzer «besetze» in ihren Augen Häuser. Indem er sie besitzt, leer stehen oder verwahrlosen lässt.

Die Besetzer:innen stehen an einem Fenster und schauen auf die Terrasse des ehemaligen Restaurants und erzählen von ihren Beweggründen. Wie viele sie sind, sagen sie nicht. Sie nennen sich «Freund:innen der Alten Post». Die Liegenschaft hätten sie schon eine Weile im Auge.

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Das Haus mit Baujahr 1844 wurde ab 1854 bis 2014 als Restaurant genutzt. (Bild: Baugeschichtliches Archiv Zürich / Tiefbauamt Zürich)

«Besetzungen gehören zu Zürich»

Post, Tierpark, Beiz, Bordell – das Haus hat eine lange Geschichte hinter sich. «Wir wollen, dass das Haus wiederbelebt wird. Darum sind wir hier», sagt eine Besetzerin. «Besetzungen sind Auffangbecken für Menschen, die nicht ins gängige Raster passen», fügt ein Besetzer an.

Denn auch wenn Zürich vermeintlich kulturelle und alternative Orte wie etwa die Zentralwäscherei oder die Rote Fabrik habe, seien auch diese mittlerweile kommerzialisiert und auf Konsum ausgerichtet. Es brauche dieses «andere Zürich» fernab des Mainstreams. Insbesondere deshalb, weil das besetzte Koch-Areal bald Genossenschaftswohnungen, einem Gewerbehaus und einem Park weichen soll. Ihre Vision der «Alten Post»: Ein Ort, der von allen gratis genutzt werden kann, sei es für Kultur oder Wohnen. Und sie wollen nicht unter sich bleiben: «Eine alte Frau aus dem Quartier, die hier einen Kaffee trinken will, ist genauso willkommen wie Leute, die hierherkommen, um über Freiräume zu diskutieren.»

Quartierverein Seebach hat ähnliche Ziele wie Besetzer:innen 

Eine öffentliche Nutzung des Hauses wünscht sich auch der Quartierverein Seebach. «Wenn Anwohner:innen mit dem Anliegen kämen, das Gebäude zu erhalten, würden wir sie unterstützen», sagt Sven Sobernheim, Vorstandsmitglied des Quartiervereins und Gemeinderat der Grünliberalen, im Juli 2020 gegenüber der Quartierzeitung Zürich Nord.

«Wenn wir gemeinsam einen Weg finden, diesen Ort legal zu bespielen, dann ist das toll.»

Sven Sobernheim, GLP-Gemeinderat

Zur aktuellen Besetzung will sich Sobernheim noch nicht äussern. Er ist noch nicht dort gewesen. Da die Liegenschaft in der Freihaltezone steht, sei der Spielraum rund um das ehemalige Postgebäude begrenzt, das Gebäude würde am besten so wie es jetzt ist genutzt werden. Auch sei schon ein Wohnbauprojekt der Eigentümerin abgelehnt worden, erzählt Sobernheim. Einen Ort fürs Quartier würde er darum begrüssen. 

Per se will er Besetzungen nicht verurteilen. Mittelfristige Lösungen seien ihm aber wichtig. «Wenn wir gemeinsam einen Weg finden, diesen Ort legal zu bespielen, dann ist das toll», so der GLP-Gemeinderat.

Die Besetzer:innen warten derzeit weiter auf einen Besuch des Eigentümers. Sie hoffen auf Schönholzers Wohlwollen. Ausserdem gehörten Besetzungen zur Zürcher Kultur. «Das kann man nicht wegradieren», sagen die «Freund:innen der Alten Post». 

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Ob der Eigentümer mit den Besetzer:innen in Dialog tritt, ist noch unklar. (Bild: Lara Blatter)

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