Raumbörse: Zwischen Kommerz-Vorwurf und Freiraum - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Simon Jacoby

Co-Geschäftsleitung & Chefredaktor

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2. Oktober 2021 um 04:00

Raumbörse: Zwischen Kommerz-Vorwurf und Freiraum

Die «Raumbörse» der Stadt Zürich vermietet Räume zur Zwischennutzung an meist junge Kreativschaffende. Langjährige Zwischennutzer:innen fühlen sich durch diesen Arm der Stadt bedroht und wehren sich, während andere nur lobende Worte übrig haben.

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Die Zentralwäscherei, eine Zwischennutzung im Kreis 5 (Foto: Elio Donauer)

Günstiger Raum in Zürich ist rar, nicht nur bezüglich Wohnen, sondern auch für Ateliers, Hobby- und Musikräume. Wer für unkommerzielle Tätigkeiten eine Wirkungsstätte sucht, hat es nicht leicht. Freien Raum gäbe es in Zürich eigentlich genug, doch die Vermieter:innen halten diesen entweder für zahlungskräftige Mieter:innen frei, oder sie wollen verhindern, dass die Liegenschaft besetzt wird und übergeben sie darum einer Zwischennutzungsorganisation.

Von diesen gibt es verschiedene. In Zürich sind die beiden aktivsten einerseits das Projekt Interim, welches die temporären Vermietungen als Geschäftsmodell betreibt, und auf der anderen Seite die Raumbörse, welche als Teil des Jugendhauses Dynamo dem Sozialdepartement der Stadt Zürich angegliedert ist.

Kritik: Stadt verdrängt nicht-kommerzielle Formate

Die Raumbörse vermietet so städtische Räumlichkeiten in der Regel an unter 28-Jährige für nicht-kommerzielle Zwecke. Hin und wieder gibt es Ausnahmen bei der Vermietungspraxis. Zum Beispiel dann, wenn grössere Organisationen auch mit älteren Vertreter:innen wie dem Impact Hub oder der Autonomen Schule Zürich – beide am Sihlquai – zu den Zwischennutzenden zählen. Die Beiträge für die Mieten oder Gebrauchsleihen (hier fallen nur die Nebenkosten an) sind tief, weil die Verträge befristet sind und die Raumbörse keinen Gewinn erwirtschaften muss, sondern im Auftrag der Stadt günstigen Raum zur Verfügung stellen soll.

Je nach Vermieter:in und möglichem Geschäftsmodell unterscheiden sich so natürlich auch die Preise. Hier eine Übersicht, berechnet pro Quadratmeter vermieteter Fläche pro Jahr (qm2/Jahr):

  1. Auf dem freien Markt kostet die Bürofläche pro Quadratmeter im Durchschnitt 360 Franken pro Jahr.
  2. Raumbörse: Bei der Raumbörse kostet die Nutzung eines Quadratmeters pro jahr zwischen 60 und 95 Franken.
  3. Interim: Bei Projekt Interim bewegen sich die Preise in einer Spanne von knapp 100 bis über 540 Franken pro Quadratmeter und Jahr.
  4. DIe Liegenschaften Stadt Zürich vermieten ihre Gewerbeflächen entweder zu Marktpreisen, was dann im Schnitt 261 Franken ausmacht; oder zur Kostenmiete, was 178 Franken pro Quadratmeter und Jahr bedeutet.

Die Beträge, welche die Raumbörse verrechnet sind bereits tief, doch sie könnten noch tiefer sein, kritisiert der Verein Zitrone, welcher im Süden Zürichs zwischen Sihl und Autobahn im ehemaligen Industriegebiet Manegg in Industriehallen eine grosse Zwischennutzung betreibt. In einer Medienmitteilung vom August heisst es, der Preis pro Quadratmeter drohe sich durch das Einschalten der Raumbörse beinahe zu verdreifachen. Mit der Raumbörse als Zwischennutzungsorganisation versuche die Stadt zwar selbstorganisierte Nutzungen zu ermöglichen, «die hohen Preise der Raumbörse erfüllen jedoch bloss kommerzielle Ziele der Verwaltung», heisst es in der Medienmitteilung.

Pläne des Stadtrates

Die langjährig erfahrenen Zwischennutzer:innen des Vereins Zitrone kritisieren, dass somit mit Förder- und Steuergeldern «soziale, identitätsstiftende, integrative, nicht-kommerzielle sowie kulturelle Formate» verdrängt würden. Diesem Vorwurf widerspricht die Raumbörse. Das Gegenteil sei der Fall, es entspreche «dem Auftrag der Raumbörse, solche Formate zu fördern.»

Nach Ansicht der Zitrone könnten die Preise trotzdem tiefer gehalten werden, wenn die Gebrauchsleihe nicht via Raumbörse, sondern direkt den Zwischennutzenden weitergegeben werden können. Dies fordert die Zitrone, der Stadtrat hat aber andere Pläne für die Liegenschaften, welche zu zwei Dritteln aus privaten Ateliers und zu einem Drittel aus öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten besteht.

Aus dem entsprechenden Stadtratsbeschluss geht hervor, dass rein die Nebenkosten bei jährlich 30 Franken pro Quadratmeter liegen, nach dem Raumbörse-Aufschlag unter anderem für Personalkosten, Umbau und Unterhalt, liegt der neue Preis tatsächlich bei 85 Franken – also plus 55 Franken.

Gemeinderat entscheidet am Mittwoch

Dieser Preis sei aber nicht definitiv, lässt die Raumbörse auf Anfrage verlauten. Nämlich dann, wenn die Nutzer:innen Unterhaltsarbeiten selber verrichten würden: «Sofern gewünscht, können die Nutzenden diese Aufgaben auch selber übernehmen, dann entfallen die Kosten.»

Einerseits, so heisst es von der Zitrone, hätten sie diese Aus- und Umbauten nie gewünscht und sie seien deshalb nicht bereit diese«künstliche Verteuerung abarbeiten, die wir gar nie verlangt haben». Und andererseits, den Unterhalt betreffend: «Wir sind ein Verein und wir machen Verwaltung, Hauswartung, Instandstellung und Unterhalt mit gemeinsamer Freiwilligenarbeit selber», erklärt die Zitrone auf Anfrage. Dies erhöhe die Verbindlichkeit im Vereinsleben und komme allen Mitgliedern finanziell zugute.

Stand heute zahlt die Zitrone, welche die Räumlichkeiten erst mit öffentlichem Druck vor dem «Abriss auf Vorrat» retten konnte, noch keinen Franken Nutzungskosten, so die Raumbörse. Am 6. Oktober wird der Gemeinderat darüber abstimmen, ob der oben genannte Stadtratsbeschluss umgesetzt wird: Konkret geht es um die Wiederinstandsetzung der Liegenschaften und der Einsatz der Raumbörse.

«Park Platz» kämpft um Anerkennung

Der Verein Zitrone ist nicht der einzige prominente Akteur aus der Zürcher Zwischennutzungszene, welcher unzufrieden ist. Der «Park Platz» fordert per Petition mehr Freiheiten von der Stadt Zürich, welche via Quartierverein Wipkingen auch die indirekte Vermieterin ist: «Von den Behörden werden dem Projekt immer wieder Steine in den Weg gelegt – solche, die wir nicht länger umgehen können.» Für alternative Raumnutzungen brauche es «eine neue Strategie für Baubewilligungen und eine neue, differenziertere Bewilligungspraxis für Veranstaltungen im öffentlichen Raum.»

In diesem Fall geht es zwar nicht um Kritik an den Preisen, sondern unter anderem auch um mehr Respekt – und Anerkennung (wir haben berichtet). Deshalb fordern die Macher:innen einen direkten Draht zur Stadt. Sprich: Einen Mietvertrag mit der Stadt, und nicht via Quartierverein – aber auch nicht mit der Raumbörse, wie es auf Anfrage heisst. Die Macher:innen wollen sich am liebsten mit der Liegenschaftenverwaltung der Stadt Zürich einigen, welche dem Finanzdepartement angegliedert ist.

Auf Anfrage betont die Liegenschaften Stadt Zürich (LSZ) aber, die Raumbörse sei genauso Teil der Stadtverwaltung. Und: «Wo LSZ nicht direkt vermietet, arbeiten wir mit erfahrenen städtischen Partnern wie der Raumbörse (soziokulturelle Nutzungen) und Grün Stadt Zürich (Freiflächen) zusammen, weil diese Partner zusätzliches Know-how einbringen, aber auch, weil LSZ nicht über genügend Ressourcen verfügt, um die steigende Zahl von Zwischennutzungen zu bewirtschaften.» Grundsätzlich vermiete die LSZ neben Wohnungen auch Räumlichkeiten für gewerbliche Nutzungen, während die Raumbörse im «nicht-kommerziellen Bereich» tätig sei.

ZWZ zahlt der Stadt nicht wenig, sondern gar nichts

«Park Platz» und «Zitrone» sind unzufrieden und wollen nichts mit der Raumbörse zu tun haben, doch viele andere Zwischennutzende sind froh über das Angebot. Gerade für junge Kulturschaffende ist es fast die einzige Möglichkeit an günstige Räume zu gelangen. Die Vermietung geschehe unkompliziert, bestätigen verschiedene und dass die Stadt hinter dem Angebot steht, vermittle Vertrauen.

Gute Erfahrungen machen auch grössere Gruppen, wie zum Beispiel die «ZWZ» (Zentralwäscherei Zürich) oder die «Badi 409». Erstere hat seit Sommer 2019 die Zusage für eine Nutzung der alten Wäscherei bis mindestens 2026. Besitzerin ist die Stadt, vergeben werden die Ateliers und Hallen von der Raumbörse. Derzeit sind die Macher:innen daran, die Räumlichkeiten für Kultur, Gastronomie und Nachtleben umzubauen. Sie machen so viel wie möglich selbst, einige Arbeiten sind bezahlt, andere an Spezialist:innen vergeben.

Ohne Raumbörse würde es diese Zwischennutzung nicht geben, heisst es auf Anfrage. Die Nutzer:innen loben die Zusammenarbeit ausdrücklich: «Insbesondere die Verlässlichkeit, die aufgebauten Kenntnisse unseres Projektes sowie die unkomplizierte Kommunikation sind Faktoren welche die Zusammenarbeit mit der Raumbörse für uns als sehr angenehm gestalten.»

Die Zwischennutzungen werden nicht subventioniert, sondern müssen kostendeckend sein.

Raumbörse

Die Zusammenarbeit sei flexibel und lösungsorientiert, natürlich würden Reibungen entstehen, diese gehörten dazu und hätten «jedoch im Dialog adressiert und aufgearbeitet werden» können.

Übrigens: Die ZWZ zahlt weder der Raumbörse noch einer anderen Stelle der Stadt Zürich Geld für die Nutzung der Räumlichkeiten. Dies, weil Stadtrat und Gemeinderat einen Mieterlass beschlossen haben. Damit verbunden ist der Auftrag, eine «niederschwellige und unkommerzielle öffentliche Nutzung» zu betreiben und vom Mieterlass seien «private Büros oder Ateliers» explizit ausgeschlossen.

«Badi 409» organisiert sich selber

Auch die oben erwähnte «Badi 409» würde es ohne die Raumbörse in der aktuellen Form wohl kaum geben. Die Zwischennutzung ist an der Badenerstrasse vorerst auf ein halbes Jahr befristet und wäre schon fast an eine kommerzielle Zwischennutzungsorganisation gegangen. Die jetzigen Macher:innen der «Badi» intervenierten und konnten auf die Schnelle ihre Idee eines selbstorganisierten Kollektivs umsetzen – dank der Unterstützung der Raumbörse.

Wie es auf Anfrage heisst, war die Raumbörse «sehr offen». Es war von Anfang an klar, dass die Nutzenden selber bestimmen, wer den Raum wie nutzt, wie der «Vibe» im Haus ist oder wie Konflikte gelöst werden. Von der Raumbörse kommen mehr oder weniger nur die Verträge mit den Nutzenden und die Schlüssel. Man habe sich sogar darauf geeinigt, dass «konstruktive Reibungen dazugehören und Platz haben sollen». Verdienen tut niemand etwas an der Arbeit in der «Badi»; weder die Raumbörse, noch die Macher:innen.

Kosten tut die Fläche trotzdem etwas: 33 Franken sind es pro Quadratmeter pro Jahr an reinen Nebenkosten. Total zahlen die Nutzer:innen pro Quadratmeter aber 75 Franken. Damit werden auch gemeinsam genutzte Räume und unvermietbare Flächen mitfinanziert.

Raumbörse muss den Kopf hinhalten

Der Vorwurf, die Raumbörse würde kommerzielle Interessen verfolgen, weist diese auf Anfrage übrigens von sich: «Die Nutzung der Zwischennutzungen wird nicht subventioniert, sondern muss kostendeckend sein.» Deshalb würden den Nutzer:innen die durch die Nutzung anfallenden Kosten verrechnet. Und: «Diese Beträge decken jedoch nur die Kosten und ergeben keinen Gewinn.»

Die Raumbörse ist bloss der für alle sichtbare Teil – und muss auf allen Seiten den Kopf hinhalten.

Zitrone

Es ist logisch, dass sich die Raumbörse als quasi «Anti-Squat-Einheit» (Anti-Besetzungs-Einheit) der Stadt Zürich in einer Position mit viel Reibungspotenzial befindet: Eingebettet einerseits zwischen dem Ermöglichen von sehr günstigem und nicht-kommerziell genutzten Raum und andererseits den starren Vorgaben der Stadtverwaltung. Zwischen dem reinen Bedürfnis an günstigem Raum und dem Wunsch, alles selber gestalten zu können. Zwischen Kontrolle und Freiraum.

Die Frage ist, wo und wann die Raumbörse eingesetzt werden soll. Wenn es darum geht, weniger gut organisierten Menschen einen günstigen Platz zu verschaffen? Dagegen hätte wohl niemand etwas. Wenn das politische Bedürfnis zu gross wird, möglichst viel Freiraum zu kontrollieren, dann werden die Reibungen grösser.

Diese schwierige Situation der Raumbörse anerkennt auch der Verein Zitrone: «Nein, die Raumbörse ist nicht der richtige Feind, schon gar nicht unserer. Sie ist bloss der für alle sichtbare Teil – und muss auf allen Seiten den Kopf hinhalten für die Zwischennutzungspolitik des Stadtrats und der Verwaltung.»

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