Brache Guggach: So wird sich einer der letzten Freiräume der Stadt verändern - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Rahel Bains

Redaktionsleiterin

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23. Februar 2021 um 11:26

Brache Guggach: So wird sich einer der letzten Freiräume der Stadt verändern

Direkt neben dem Verkehr steht die Brache Guggach, die von einem Park und einem Schulhaus abgelöst werden soll. Wir haben uns vor der Abstimmung über den Objektkredit auf Spurensuche begeben, fragten uns: «Wer zum Teufel will hier wohnen?» Und wurden eines Besseren belehrt.

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Die Guggach-Brache samt Baugespanne. Bild: Rahel Bains

Am 7. März wird in der Stadt Zürich über drei Objektkredite abgestimmt: 78 Millionen Franken für die Schulanlage und den Quartierpark Areal Thurgauerstrasse, 58 Millionen Franken für die Wohnsiedlung Letzi, 11 Millionen zur Erhöhung des Investitionsbeitrags für die Einhausung Schwamendingen und 49 Millionen Franken für die Schulanlage und den Quartierpark auf dem Areal Guggach. Das weitläufige Gelände, auf dem Letztere zu stehen kommen sollen, ist derzeit noch Brachland. Seit fünf Jahren wird dieses von der Quartierbevölkerung, Vereinen, Kollektiven und eigens dafür geschaffenen Arbeitsgruppen zwischengenutzt. Auf der Wiese entstanden Gemeinschaftsgärten und ein Pumptrack, der Kiesplatz daneben wurde nicht nur für diverse Anlässe wie Flohmis und Feste genutzt, sondern auch von Bierbrauer*innen oder Imker*innen.

Zu Besuch auf der Brache

Es ist frühmorgens. Ein Gitarre spielender Mann streift über die Freifläche von rund 2000 Quadratmetern vis-à-vis dem Radiostudio, eine Mutter mit Baby im Tragetuch ebenfalls. Sie sagt: «Schade, dass hier bald gebaut wird. Ich habe mit meinen Kindern viel Zeit auf der Brache verbracht.» Ramon Cassells steht in der Mitte des Kiesplatzes neben seinem blauen Zirkuswagen. Dort im «Zirkuskafi» hat der Inhaber und Gründer des Cafés Jamaican Flavour an der Langstrasse die vergangenen drei Jahre nicht nur Kaffee ausgeschenkt, sondern auch versucht, die Anwohner*innen in Form von Workshops und Anlässen zusammenzubringen. Bevor er sich mit dem «Community-Truck» – wie er seinen Wagen nennt – auf der Guggach-Brache niederliess, suchte er die ganze Stadt nach geeigneten und vor allem freien Plätzen ab.

Diese seien in den letzten Jahren aber immer rarer geworden. Cassells, der Soziokultur studiert hat, findet: «Mit einer Wohnung und einem Park davor ist es für die Stadtbewohner*innen nicht getan.» Denn Letzterer sei zwar «nice to have», «aber wenn du immer dein Picknick dorthin mitnehmen musst, ist das nicht das Gleiche, wie wenn du an einen Ort kommen kannst wie zum Beispiel die Josi oder Bäckeranlage. Wo es auch mal ein Konzert gibt, man Volleyball spielen kann und so weiter.»

Abwechslung, unterschiedliche Nutzer*innen, welche die Parkanlagen bespielen – das sei gut und wichtig, so Cassell. Der grosse Vorteil einer Brache im Gegensatz zu einem bestehenden Park sei deren Rohheit. «Es muss nicht alles perfekt sein, es darf abgerissen und wieder aufgebaut werden. Sie ist ständig in Bewegung. Durch ihre zeitliche Begrenzung steckst du weniger Ressourcen in die Anlage, dafür mehr in die Aktivitäten, die darauf stattfinden. Das kann auch ein Vorteil sein.»

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Das «Zirkuskafi» auf der Guggach-Brache im Sommer. Bild: zvg

Diesen Sommer wird Cassells mit seinem Zirkuswagen weiterziehen müssen. Denn dass die Vorlage angenommen wird, steht ausser Frage. Die Stadt braucht Schulhäuser. Dringend. Und das vor allem im Guggach-Quartier, das sich während der vergangenen Jahren gewandelt hat. Ein Quartier, das in den Köpfen vieler Zürcher*innen mehr Durchgangspassage – von der Mitte in den Norden Zürichs – denn Wohnquartier ist. Das den stark befahrenen Verkehrsknotenpunkt Bucheggplatz beherbergt, in den die noch stärker befahrene Rosengartenstrasse mündet. Das auf den ersten Blick bei einigen die Frage aufwirft: «Wer zum Teufel will hier wohnen?»

Mit den Neubauten kamen die Familien

Offenbar viele. Zeichen des Veränderungsprozesses ist nicht nur die Siedlung Brunnenhof neben dem Bucheggplatz, die 2007 von der städtischen Stiftung «Wohnungen für kinderreiche Familien» erstellt wurde. 2010 wohnten dort 72 Familien mit je drei bis sechs Kindern im Alter von bis zu 18 Jahren. «Vom Müllwagenfahrer bis zur ETH-Professorin haben wir im Brunnenhof die ganze Bandbreite an Berufen», sagte damals Eva Sanders von der Stiftung gegenüber dem «Tages-Anzeiger».

Es sind vor allem die beiden Überbauungen, die gleich neben der Guggach-Brache zu stehen gekommen sind, die das Gesicht des Quartiers neu entscheidend mitprägen. Anfang 2016 zogen die ersten Mieter*innen in die Wohnsiedlung Guggach mit der dunklen Fassade und den 197 Eigentumswohnungen an der Käferholz-und Hofwiesenstrasse. Später folgte auf dem ebenfalls 20’000 Quadratmeter grossen Grundstück gleich daneben der Bau des Guggach Parks, geplant von der Pensionskasse der UBS.

Von den 250 Wohnungen des Bauprojekts waren im vergangenen August mehr als 30 noch zur Vermietung ausgeschrieben. Das entspreche fast zehn Prozent der insgesamt leerstehenden Wohnungen von ganz Zürich, vermeldete das Amt für Statistik Stadt Zürich damals. Auch heute sind noch nicht alle Wohnungen vermietet. Eine Viereinhalb-Zimmerwohnung für 3820 Franken inklusive Nebenkosten ist zum Beispiel noch zu haben.

«Man braucht Wohnraum, Schulhäuser, aber auch Freiräume. Dies versucht man auf den dafür geeigneten Parzellen möglichst gut auszuhandeln.»

Anna Schindler, Direktorin Stadtentwicklung

Mit den beiden Siedlungen am Waldrand sind auch zahlreiche Familien ins Quartier gezogen. Mit dieser Entwicklung hat Barbara Siegfried, die im Gemeinschaftszentrum Buchegg für die Quartierarbeit zuständig ist, zu Beginn nicht gerechnet. Dies aufgrund der hohen Mieten und Kaufpreise der Wohnungen. Unter den neuen Mieter*innen haben sich laut Siegfried jedoch zahlreiche engagierte Menschen befunden, die das Quartierleben aktiv mitgestalten wollen.

Auch auf der Brache, deren Koordination und Organisation das Team Quartierarbeit des Gemeinschaftszentrums zusammen mit Grün Stadt Zürich seit 2015 innehat. «Auf der einen Seite ist es schade, dass durch das baldige Ende der Guggach-Brache ein weiterer Platz verloren geht, an dem nicht schon alles vordefiniert ist und kreative Dinge entstehen können», findet Siegfried. Auf der anderen Seite müssten die vielen neuen schulpflichtigen Kinder im Quartier zum Teil in Pavillons zur Schule gehen. Oder werden in Schulhäuser weiter nördlich im Schulkreis Glattal zugeteilt. «Das kann auf Dauer kein Zustand sein.»

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Die Wohnsiedlung Guggach (links) und der Guggach Park gleich daneben. Bild: Rahel Bains.

Schulraum finden – eine der grössten Herausforderungen der Stadt

Die geplante Schulanlage bietet Platz für 260 Kinder. Sie ist als Tagesschule konzipiert und umfasst einen Pausenplatz, einen Allwetterplatz sowie eine Doppelsporthalle. Diese sowie die Aussenräume sollen ausserhalb der Unterrichtszeiten Sportvereinen und weiteren Interessierten zur Verfügung stehen. Der neue Quartierpark gleich daneben soll vielfältig genutzt werden können. Zentrales Element ist ein Rasenspielfeld, das ausserhalb der Schulzeiten durch die Quartierbevölkerung genutzt werden kann.

Orte zu finden, an denen die dringend benötigten Schulhäuser gebaut werden können, sei eine der grössten Herausforderungen der Stadt, sagt Anna Schindler, Direktorin der Stadtentwicklung. Auf dem Guggach-Areal zeige sich dabei ein Zielkonflikt, den sie an vielen Orten beobachte, an denen etwas Neues entsteht: «Man braucht Wohnraum, Schulhäuser, aber auch Freiräume. Dies versucht man auf den dafür geeigneten Parzellen möglichst gut auszuhandeln. Manchmal muss man Kompromisse machen.»

Cassells, der in der Vergangenheit mehrere Nutzungskonzepte für Schulen erstellt hat, befürchtet, dass auch auf der geplanten Schulanlage ein Nutzungskonflikt entstehen könnte: «Das ist ein Ort, der gelebt hat, Menschen haben ihn genutzt. Diese Menschen sind nicht einfach weg.» Auch wenn die Anlage primär für Kinder gedacht sei, werde es Menschen geben, die dort abends ein Bierchen trinken werden, Jugendliche, die Musik hören. Er findet: «Man muss mit diesen sogenannten Schattennutzer*innen, die abends und in der Nacht dort sein werden, zusammenarbeiten, sie aufspüren.»

«Es wäre schön, wenn man irgendwann sagen würde, dass man sich ‹am Guggach› trifft.»

Mira Porstmann, Geschäftsführerin der Stiftung «Einfach Wohnen»

Bereits jetzt werde der Park des Gemeinschaftszentrum mitsamt Spielplatz und Tiergehege, der unweit von der Brache entfernt ist, rege genutzt. Er stosse an den Wochenenden platzmässig jeweils an seine Grenze, erzählt Siegfried. Kaum verwunderlich, gibt es in der Umgebung etwa kein anderes Café, wo man draussen sitzen kann – und an dem keine Autos vorbeirauschen. Siegfried wünscht sich deshalb mehr dezentrale kleine Oasen, Plätze, auf denen sich Menschen draussen treffen können. Wo nicht alles versiegelt ist. Und obwohl sie den Bucheggplatz als «furchtbaren Verkehrsknotenpunkt» bezeichnet, sei man im Vergleich zu anderen Quartieren privilegiert: «Das Areal rund um die Schulanlage Allenmoos ist eine grosse grüne Fläche, der Wald und der Irchelpark sind in der Nähe.»

Auch Anna Schindler findet, dass das Quartier unterschätzt werde. «Es ist ein tendenziell grünes Quartier, das man sich aber zuerst ein wenig aneignen muss.» Bewege man sich weg von der befahrenen Hauptstrasse, würde man zahlreiche Genossenschaftssiedlungen, ruhige Ecken und Grünflächen entdecken.

Städtische Stiftung plant günstiger Wohnungen

Die Chance, dass Siegfrieds Wunsch nach Quartiertreffs Wirklichkeit werden könnte, steht indes nicht schlecht. Denn nebst dem Quartierpark und der Schulanlage soll auf einem rund 8000 Quadratmeter grossen Teil des städtischen Guggach-Areals die Stiftung «Einfach Wohnen» eine Wohn- und Gewerbesiedlung erstellen. Die Stadt Zürich überlässt der Stiftung das Land im Baurecht. Schwerpunkt der autoarmen Siedlung wird das Wohnen in der Vor- und Nachfamilienphase sein. Neben Familienwohnungen sind Kleinwohnungen, Studios, zumietbare Zimmer und Grosswohnungen vorgesehen.

Mit dem Neubau soll nicht nur mehr Wohnraum, sondern auch ein neues Stück Stadt erschaffen werden. Dies vor allem durch den geplanten Quartierplatz zur Strasse hin mit Gewerbe und Publikumsverkehr. «Es wäre schön, wenn man irgendwann sagen würde, dass man sich ‹am Guggach› trifft», so Mira Porstmann, Geschäftsführerin der Stiftung.

Im Vergleich zu den beiden Guggach-Siedlungen sollen günstige Wohnungen entstehen, die zu einem Drittel subventioniert sein werden. «Wir streben eine heterogene Mieterschaft an. Es soll für unterschiedlichsten Bewohner*innen Platz haben», so Porstmann. Ein klares Vermietungskonzept steht noch nicht, doch allenfalls soll es in gewissen Räumen möglich sein, dank Ateliers Wohnen und Arbeiten zu verbinden. Da «Einfach Wohnen» eine städtische Stiftung ist, werden die Belegungsvorschriften sowie die Einkommensbegrenzungen an die Richtlinien von städtischen Wohnungen angelehnt sein.

Die Siedlung soll etwas Anderes bieten. Porstmann: «Die Wohnungen werden effiziente Grundrisse aufweisen, ein Klientel ansprechen, das vor allem bezahlbar und dennoch bei einem begrenzten Flächenverbrauch auch attraktiv wohnen will, und die sich für verschiedene Lebensformen und -phasen eignen.» Sie ist davon überzeugt, dass das Projekt für das Quartier eine positive Entwicklung darstellt – auch, um das Drittelsziel (bis 2050 sollte jede dritte Zürcher Wohnung gemeinnützig sein) zu erreichen. Die Brachennutzung sei wunderbar gewesen, doch man sei überzeugt, dass die geplanten Projekte das Quartier ebenfalls beleben werden.

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Ramon Cassells. Bild: Rahel Bains

Läuft alles nach Plan, sollen bereits Ende Sommer die Bagger auffahren, die Brache muss dann geräumt sein. Bis dahin ist es nicht ausgeschlossen, dass auf dem Areal – je nach epidemischer Lage – der eine oder andere Anlass stattfinden wird. «Unser Konzept steht, wir können den Betrieb jeweils spontan wieder aufnehmen», erzählt Cassells. Ob er mit seinem Zirkuswagen weiterziehen wird, weiss er noch nicht. Er fände es zwar schön, das Projekt an einem neuen Platz weiterzuführen, gibt aber zu bedenken: «Auch unsere Welt hat sich verändert, wir konnten Anlässe nicht durchführen oder nur mit Auflagen.» Soziokultur brauche indes immer Zeit. Die habe man sich hier auf diesem Platz nehmen können. Auf einer der letzten Brachen dieser Stadt.

Alle Infos zu den städtischen Abstimmungen vom 7. März findest du hier.

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