Abriss, Neubau, Aufwertung: Ein Spaziergang durchs Seefeld

Im Seefeld kaufen Stiftungen, Versicherungen und Immobilienfirmen ganze Areale auf und ersetzen die alten Gebäude durch hochpreisige Ersatzneubauten. Drei Mitglieder der AG Wohnen des Quartiervereins Riesbach zeigen anhand von Beispielen, wie sich ihr Quartier verändert.

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Franz Bartl, Gaby Demme und Urs Frey vor dem Ersatzneubau der Zurich Versicherung in der Duforstrasse. Foto: Steffen Kolberg

2008 gründete sich im Quartierverein Riesbach die Arbeitsgruppe Wohnen. Sie beschäftigt sich mit den Veränderungen, die das Quartier seit Jahren durchläuft: Mit den steigenden Mieten, der Verdrängung der angestammten Bewohnerschaft und den Neubauprojekten im Hochpreissegment. Dafür hat sie ein Langzeit-Monitoring ins Leben gerufen, das die baulichen Entwicklungen im Kreis 8 dokumentiert. Bei Bauprojekten versucht sie mit offenen Briefen an die Bauherr:innen, eine Öffentlichkeit für das Thema herzustellen. Die Gruppe publiziert regelmässig im Quartiermagazin «KontAcht».

Architektin Gaby Demme, Seefeld-Bewohnerin seit zehn Jahren, Architekt Franz Bartl aus dem Vorstand des Quartiervereins, der seit 1972 im Quartier wohnt, und Urs Frey, Präsident des Quartiervereins und seit den 80er Jahren im Quartier wohnhaft, haben Tsüri.ch zum Spaziergang durch das Seefeld eingeladen. Sie wollen an einigen ausgewählten Projekten aufzeigen, wie sich das Quartier verändert und wer hinter den Neubauprojekten steckt.

Eine gemeinnützige Stiftung als Aufwerterin: Park Schönbühl

Der Park Schönbühl an der Kreuzstrasse erstreckt sich unterhalb der 1837 errichteten Villa Schönbühl. 1950 wurden an der Ecke Mühlebach- und Kreuzstrasse moderne Mehrfamilienhäuser errichtet. Nur eine Remise an der Kreuzstrasse blieb von der ursprünglichen Bebauung erhalten. Daneben entstanden damals eine Tankstelle sowie eine Tiefgarage. Letztere existiert heute noch, aber Tankstelle, Remise und ein dahinterliegendes, günstig vermietetes Mehrfamilienhaus auf dem Grundstück wurden im letzten Jahr abgerissen, um Platz für einen Neubau zu machen.

  • Schönbühl ganz früher

    1837 entsteht die Villa Schönbühl mit grosszügiger Parkanlage. Bild: Screenshot Menzi Bürgler Kuithan Architekten (mbka.ch)

  • Schönbühl 1949_2, Tiefbauamt Zürich

    Am unteren Ende des Parks, an der Ecke Mühlebach- und Kreuzstrasse, steht über hundert Jahre lang dieses Wohnhaus. Foto: Baugeschichtliches Archiv ETH, Tiefbauamt Zürich

  • Schönbühl 1950, Wolf-Bender's Erben

    Es wird 1950 ersetzt durch diese Überbauung... Foto: Baugeschichtliches Archiv ETH, Wolf-Bender's Erben

  • Schönbühl11

    ...die noch bis heute besteht. Foto: Steffen Kolberg

  • Schönbühl 1951, Wolf-Bender's Erben

    Anders als die Tankstelle, die damals an der Kreuzstrasse neu gebaut wurde. Foto: Baugeschichtliches Archiv ETH, Wolf-Bender's Erben

  • Schönbühl 2014, Google Streetview

    Sie steht 2014 noch neben der alten Remise. Foto: Screenshot Google Streetview

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    Inzwischen ist beides abgerissen... Foto: Steffen Kolberg

  • Schönbühl früher

    ...genauso wie die dahinterliegenden Gebäude und viele Bäume in der «Baumschutzzone». Foto: Gaby Demme, 2020

Die meisten Bäume auf dem Grundstück wurden gerodet, obwohl das Parkareal im städtischen Zonenplan als Baumschutzgebiet ausgewiesen ist, wie Gaby Demme betont. «Eine einzige, grosse Platane soll erhalten bleiben», schrieb sie zum Thema im September 2020 in «KontAcht»: «Dies ist aber wohlgemerkt den ehemaligen Besitzern des Grundstücks zu verdanken. Sie hatten vor dem Verkauf die Grundflächen von möglichen Neubauten auf der Parzelle bereits festgelegt und so eine noch dichtere Überbauung und komplette Rodung des parkartigen Grundstückes verhindert.»

Käuferin des Grundstücks und Bauherrin des Neubaus ist die Seewarte AG, eine Immobilien -Investmentgesellschaft der Ernst Göhner Stiftung. Diese gemeinnützige Stiftung geht auf den Seefelder Unternehmer Ernst Göhner zurück, einen Pionier des Elementbaus und damit des kostengünstigen Bauens. Sie fördert Kultur-, Umwelt-, Sozial- und Bildungsprojekte, unterstützt zum Beispiel den Erwerb und Unterhalt von günstigen Student:innenwohnungen und Altenwohnheimen, wie Urs Frey erzählt. Bauprojekte wie dieses seien jedoch trotzdem auf maximale Rendite ausgelegt: «Die Vertreter der Stiftung betonen sogar, dass sie gemäss Stiftungsreglement verpflichtet sind, mit den in der Seewarte AG zusammengefassten Immobilien der Stiftung einen optimalen Profit zu erwirtschaften, der dann für die Fördertätigkeit verwendet werden kann», schreibt Demme dazu in der «KontAcht».

Grossflächiger Ersatzneubau der Zurich Versicherung: Das Projekt «Viz-a-viz»

Die nächste Station ist eine Bebauung, die drei Strassenseiten der Färber-, Flora- und Dufourstrasse einnimmt. Hier standen bis 2015 grosse Mehrfamilienhäuser aus den 20er Jahren. Die Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG hatte sie nach und nach alle aufgekauft und dann grossflächig abgerissen. Versprochen hatte sie unter anderem eine Verdichtung, also mehr Wohnraum auf der gleichen Fläche. Wie die NZZ schreibt, hat sich die Wohnfläche mit dem Neubau zwar etwas vergrössert, die Anzahl der Wohnungen ist letztlich aber sogar gesunken.

Die Zurich Versicherung habe argumentiert, dass sich eine Sanierung der Altbauten nicht gelohnt hätte, erzählen die Engagierten des Quartiervereins. «Und man muss ehrlich sagen, in einem Fall stimmt das auch», sagt Urs Frey. Er zeigt auf ein Eckhaus des Ensembles: «Hier hatte beim Altbau das Fundament nachgegeben, es gab einen grossen Riss in der Fassade.» Doch ansonsten hättee man die Häuser durchaus erhalten können, glaubt er. Er habe einige Bewohner:innen gekannt: «Die wären gerne im Altbau zu moderaten Mieten geblieben.»

  • Färber-Dufour 1927, Tiefbauamt Zürich

    So sah es an der Ecke Färber- und Dufourstrasse 1927 aus. Foto: Baugeschichtliches Archiv ETH, Tiefbauamt Zürich

  • Färber-Dufour 2013, Thomas Hussel

    Ein Jahr später wurden diese Mehrfamilienhäuser gebaut. Foto: Baugeschichtliches Archiv ETH, Thomas Hussel

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    Heute steht hier der Ersatzneubau der Zurich Versicherung. Links ist die Seefeldstrasse 60 der Ledermann Immobilien AG zu sehen. Foto: Steffen Kolberg

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    Urs Frey zeigt den Innenhof des neuen Gebäudeensembles. Foto: Steffen Kolberg

Die Mieten im Ersatzneubau, der so leblos wirkt, als sei er geradewegs einer Architektursoftware durch den 3D-Drucker entsprungen, lagen bei Erstbezug Netto zwischen 3750 Franken für 3.5 Zimmer und 5400 Franken für 4.5 Zimmer. Sie hatten sich damit laut der AG Wohnen gegenüber dem Altbau mehr als verdoppelt. Gegenüber dem Quartierverein habe die Zurich Versicherung damals zugesagt, eine grosse Linde im Innenhof zu verschonen, so Frey. Letztlich musste aber auch sie weichen, nun stehen dort einige junge Bäumchen in der Landschaft.

Direkt neben dem Projekt weist Franz Bartl auf einen schick sanierten Altbau mit markanten Türmen, die Seefeldstrasse 60. In diesem von ihr sanierten Objekt residiert nicht nur die Ledermann Immobilien AG, sondern auch der Hauseigentümerverband (HEV) Schweiz. Der Direktor der Zürcher HEV-Filiale Albert Leiser erlangte im Abstimmungskampf zum kantonalen Energiegesetz 2021 Bekanntheit, als er sich in seiner Gegnerschaft zum Gesetz plötzlich als Verfechter von Mietier:inneninteressen gerierte.

Eine Anlagestiftung und ihr «Umnutzungsprojekt»: Das Waechter-Areal

An der Bellerivestrasse Ecke Feldeckstrasse liegt das Waechter-Areal. Anders als der Name vermuten lässt, wirkt es nicht sonderlich gewerblich geprägt. Einzig ein 60er-Jahre-Flachbau und eine auf Stelzen errichtete Holzscheune im Innenhof deuten auf die einstige Nutzung durch die Karl Waechter AG hin. Ansonsten dominiert ein buntes Ensemble aus Altbauten mit verwinkelten Innenhöfen.

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Blick auf das Waechter-Areal im jahr 1957. Foto: Baugeschichtliches Archiv ETH, Landolt-Arbenz

Erworben wurden die vier Parzellen durch eine Anlagestiftung mit dem patriotischen Namen 1291, die gleich gegenüber in einem Bürobau ihren Sitz hat. Ihr Zweck: Die Pensionskassengelder kleiner und mittlerer Unternehmen anzulegen. Im Präsidium ihres Stiftungsrats: HEV-Direktor Albert Leiser. Um die Rentengelder zu sichern, muss die Rendite ihrer Immobilienprojekte stimmen. Die Anlagestiftung plant deshalb den Abriss des Altbestands auf dem Waechter-Areal und einen Ersatzneubau. Wie Gaby Demme im «KontAcht» von November 2021 schreibt, werde eine 4.5-Zimmer-Wohnung im Neubau voraussichtlich weniger als 100 Quadratmeter gross sein, aber deutlich über 3000 Franken Miete kosten. Immerhin: Am Ende sollen dort fast zehnmal so viele Wohnungen stehen als bisher.

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    Die Innenhöfe sind verwinkelt... Foto: Steffen Kolberg

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    ...und bunt. Foto: Steffen Kolberg

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    Im Hof thront eine Holzscheune. Foto: Steffen Kolberg

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    Die 1291 Anlagestiftung hat sich direkt nebenan einquartiert. Foto: Steffen Kolberg

Das Gegenbeispiel: Seefeldstrasse 173

Auf unserem Weg die Seefeldstrasse entlang kommen wir an einem Bau aus den frühen 60er Jahren vorbei. Das Haus mit den roten Zierelementen und den Strassennummern 173 und 175 wurde hier an die Stelle des ehemaligen Rösslitram-Depots gebaut. Die Nummer 173 sei ein Positivbeispiel für den Verkauf von Häusern aus Privatbesitz, erklärt Urs Frey. Gerade im Seefeld, wo noch vergleichsweise viele Mehrfamilienhäuser in Privatbesitz sind, gehörten diese oft älteren Frauen, die ihre Männer überlebt hätten und aufgrund des Aufwands überlegten, ihre Immobilie zu verkaufen. Die ältere Frau, die die Seefeldstrasse 173 besessen habe, habe sich glücklicherweise dazu entschieden, an die städtische gemeinnützige Stiftung PWG zu verkaufen, sagt Frey: «und zwar zu einem sehr vernünftigen Preis.»

  • Seefeldstrasse 175 1947 (Rösslitramdepot), Schweiz

    Wo früher das Rösslitram-Depot war... Foto: Baugeschichtliches Archiv ETH, Schweiz. Lichtbildanstalt

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    ...steht seit den 60er Jahren dieser Bau, von dem die Hälfte zuletzt an die PWG Stiftung ging. Foto: Steffen Kolberg

Gleich gegenüber, bei der Hausnummer 176, schauen wir in das vergilbte Schaufenster eines Coiffeurs. Es sieht aus, als habe hier seit den 80er-Jahren niemand mehr umdekoriert. «Das war jahrelang mein Coiffeur», erzählt Frey: «Er wurde 101 Jahre alt und hat bis zum Schluss gearbeitet. Das Interieur im Laden ist noch aus den 30ern. Jetzt steht es schon einige Jahre leer. Keiner weiss, was damit passiert.»

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Im Schaufenster der Seefeldstrasse 176 ist die Zeit stehengeblieben. Foto: Steffen Kolberg

Der Neubau des Urs Ledermann: Seefeldstrasse 190

Einen Block weiter steht mit der Seefeldstrasse 190 ein bekannter Ersatzneubau der Ledermann Immobilien AG. Urs Ledermann, der aus dem Seefeld stammt, wurde mit seiner Firma schnell zum Gesicht des Aufwertungsprozesses namens «Seefeldisierung». Bereits seit 1979 kauft er Altbauten von privaten Eigentümer:innen, saniert sie umfangreich und vermietet danach hochpreisig. An der Ecke Seefeld- und Münchhaldenstrasse riss seine Firma jedoch gleich mehrere Altbauten ab und ersetzte sie durch einen knallroten Neubau. «Im Altbau gab es einzelne Mieter, die von dem geplanten Verkauf erfahren hatten und Angst hatten. Sie haben sich an uns gewandt», erzählt Franz Bartl: «Aber wir können in so einem Fall natürlich nichts machen. Wir haben ihnen gesagt, dass sie sich als Mieterschaft zusammentun und ihr Wohnhaus selbst kaufen sollen, zum Beispiel als Genossenschaft. Dafür gab es aber anscheinend keine Mehrheit.»

  • Seefeldstrasse 188 2008, Hanspeter Dudli

    Blick auf die Seefeldstrasse 190, 188 und 186 im Jahr 2008. Nur das Haus ganz rechts steht heute noch. Foto: Baugeschichtliches Archiv ETH, Hanspeter Dudli

  • Seefeldstrasse 190 2008, Hanspeter Dudli

    Die Nummer 190 im selben Jahr von der Kreuzung Seefeld- und Münchhaldenstrasse aus gesehen. Foto: Baugeschichtliches Archiv ETH, Hanspeter Dudli

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    Heute steht hier dieses Gebäude. Foto: Steffen Kolberg

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    Die Zukunft der Seefeldstrasse 186 ist ungewiss. Foto: Steffen Kolberg

Gegen den Verkauf an Ledermann habe sich die Besitzerin des anschliessenden Hauses in der Münchhaldenstrasse entschieden. Sie habe ihre Liegenschaft, die nun mit der Wand direkt am roten Koloss klebt, selbst renoviert. «Und das gelungen», wie Urs Frey meint. Das nächste anschliessende Haus an der Seefeldstrasse dagegen macht den Mitgliedern der AG Wohnen Sorgen. Die Nummer 186 ist nicht mehr gut in Schuss, einzelne Mieter:innen hätten sie schon kontaktiert, weil sie Angst vor einem Verkauf hätten, erzählt Frey. Das Gebäude gehöre einer Erbengemeinschaft, die sich über die weitere Zukunft uneinig sei. In solchen Fällen komme es häufig vor, dass an eine Firma verkauft werde.

Ein Immobilienunternehmen aus Zug: Die Fundamenta Group

Es wird dunkel, das Grüppchen ist durchgefroren an diesem kalten Januarabend. Wir beschliessen, den Spaziergang zu beenden. Gaby Demme erzählt noch von zwei Projekten etwas weiter draussen, die von einem Unternehmen aus Zug realisiert werden. Die Fundamenta Group bezeichnet sich auf ihrer Website als «House of Real Estate» und wirbt mit dem Versprechen «Mehr Wert aus Ihren Immobilien» zu «generieren».

  • Zollikerstrasse 229 1988, Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich

    An der Zollikerstrasse auf Höhe Tiefenbrunnen stand früher diese Villa. Foto: Baugeschichtliches Archiv ETH

  • Zollikerstrasse 227, 229, Screenshot Fundamenta Group

    Inzwischen wurden dort Mehrfamilienhäuser als «Anlageprodukt» der Fundamnta Group gebaut. Foto: Screenshot Fundamenta Group (https://www.fundamentagroup.com/de/leistungen/anlageprodukte/referenzobjekte/zollikerstrasse)

An der Altenhofstrasse 45 hat sie ein einfaches Mehrfamilienhaus abgerissen, um in einem Neubau 13 Eigentumswohnungen zu realisieren. An der Zollikerstrasse 229 wurde eine Villa durch zwei geschwungene Neubauten mit verklinkerten Fassaden ersetzt. Hier entstanden laut Firmenangaben 20 Wohnungen im Stockwerkeigentum. «Das sind reine Renditeobjekte», meint Gaby Demme, bevor sie sich verabschiedet: «Sie schaden der Vielfältigkeit unseres Quartiers.»

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