Gemeinderats-Briefing #22: Das non-binäre Geschäft ist nicht sein Thema - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Lara Blatter

Co-Geschäftsleitung & Redaktorin

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24. November 2022 um 08:00

Gemeinderats-Briefing #22: Das non-binäre Geschäft ist nicht sein Thema

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Die «Netto-Null Zürich-Charta», Dolmetscher:innen im Spital, regionale Lebensmittel und Schutzunterkünfte für non-binäre Personen.

(Foto: Zana Selimi)

Im Sommer war es der Fächer, im Winter ist es die Mütze. Immer wenn ich Kollege Steffen im Gemeinderat vertrete, überrascht mich der werte Gemeinderatspräsident Matthias Probst mit seinen Accessoires. Jedenfalls sind diese den klimatischen Bedingungen in der Halle 9 angepasst. 

Die Schwerpunkte der gestrigen Sitzung lagen auf dem Gesundheits- und Umweltdepartement und dem Sozialdepartement. Starten wir bei der Umwelt.

In der Halle 9 ist es kalt – Matthias Probst weiss sich zu helfen. (Foto: Screenshot gemeinderat-zuerich.ch)

«Netto-Null Zürich-Charta»

Wie gern würde ich eine Charta entwerfen. Einfach weil es episch klingt. Der Begriff kommt aus dem Verfassungswesen und heisst eigentlich so viel wie «Verfassungsurkunde». Und so eine Urkunde wollen die beiden grünen Gemeinderätinnen Julia Hofstetter und Anna-Béatrice Schmaltz. Sie fordern eine «Netto-Null Zürich-Charta». Dieser sollen Zürcher Institutionen und Unternehmen angehören, die durch ihre Geschäfte relevante CO2-Emissionen ausstossen. Ziel ist es, dass sie sich verbindlich zum Netto-Null Ziel 2040 verpflichten. Die Charta soll aber schlussendlich allen Firmen zur Mitunterzeichnung offenstehen.

«Sie betont das Prinzip der Eigenverantwortung. Die Charta ist freiwillig für die Zürcher Wirtschaft», betont Julia Hofstetter. Es sei ein wichtiges Zeichen von Firmen, sie würden zeigen, dass sie Teil der Lösung sein wollen und Netto-Null akzeptieren. Warum sich die FDP mit ihrem Ablehnungsantrag gegen ein freiwilliges Engagement der Wirtschaft stelle, versteht die grüne Gemeinderätin nicht.

Përparim Avdili (FDP) gibt sogleich Antwort, die Charta sei «reines Polit-Marketing der Grünen». Der Finanzplatz sei nicht so schlimm, wie er dargestellt würde: «Er ist schon längst auf dem Weg zu Netto-Null.» Als Beispiele bringt Avdili die beiden Grossbanken UBS und CS. Letztere sei seit 2010 operativ klimaneutral und die UBS auf dem besten Weg dazu. Zudem würden die globalen Anstrengungen riechen, es brauche keine Zurich-Charta. Die FDP soll sich lieber mal mit der Klimapolitik von Grossbanken auseinandersetzen, kontert Dominik Waser (Grüne). Solange Banken in Kohle oder Erdgas investierten, könne man nicht von Klimaneutralität sprechen. 

Ähnlich wie die FDP positionieren sich die SVP und Die Mitte und lehnen das Postulat ebenfalls ab. «Im Alleingang schaffen wir Netto-Null nicht, wir brauchen die Allianz zwischen Stadt und Firmen», sagt Nadina Diday (SP). SP, AL und GLP unterstützen den Vorstoss. Mit 77 Ja-Stimmen zu 41 Nein-Stimmen wurde das Postulat an den Stadtrat überwiesen.

Die SVP will regionale Lebensmittel 

Nur noch regionales Essen für städtische Verpflegungsbetriebe. Diese Forderung kommt von den beiden SVP-Gemeinderäte Walter Anken und Samuel Balsiger. «Die Welt, die Menschen, das Klima gehen nicht an uns vorbei», sagt Anken. Darum dieses Postulat. «Wenn der Import von Lebensmitteln wegfällt, können Millionen von gefahrenen Kilometern vermieden und so der Austoss reduziert werden.»

Martina Zürcher von der FDP zeigte wenig Freude an dem Vorstoss. Was sei denn mit Kaffee oder Tee? Diese Lebensmittel wachsen nicht in der Schweiz und «ein Curry ohne Curry wäre fad». Die Grünen sahen diesen Punkt ebenfalls und haben darum einen Textänderungsantrag gestellt, der ökologisch hergestellte Lebensmittel ebenfalls mit einbezieht und Ausnahmen zulässt. Ausnahmen für Lebensmittel, die aus klimatischen Gründen nicht in der Schweiz angebaut werden können.

Flurin Capaul (FDP) zeigte sich besorgt um die Vielfalt. «Was essen die Insassen der Altersheime?» Er habe diverse Menükarten von Heimen studiert: Lachs, Safran, Banane, Brie, Parmesan zählt er als Beispiele auf und korrigiert sich selbst, natürlich keine Insassen – «Pensionäre». Kulinarik sei international und darum lehnt die FDP im «Sinne der Kulinarik» den Vorstoss ab. Stadtrat Andreas Hauri als Vorsteher der Gesundheitszentren sei bereit, den Vorstoss entgegenzunehmen. Wichtig sei aber vor allem der Verzicht auf eingeflogene Produkte und auf fossil beheizte Gewächshäuser – solche Lebensmittel kämen auch aus der Schweiz, merkte er an.  

Die Mitte beschloss die Stimmfreigabe. Mit AL, SP und Grüne fand der SVP-Vorstoss mit der Änderung der Grünen eine Mehrheit mit 90 zu 27 Stimmen.

Schutzunterkünfte und Wohnheime für queere Menschen

Wohin sollen non-binäre Menschen, die häusliche Gewalt erfahren – ins Frauen- oder ins Männerhaus? Dieser Frage soll sich der Stadtrat widmen. Anna Graff (SP), Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne) und David Garcia Nuñez (AL) haben gemeinsam einen Vorstoss über Schutzunterkünfte für non-binäre Personen eingereicht. Sie fordern den Stadtrat auf, Schutzunterkünfte und Kriseninterventionsstellen für gewaltbetroffene Personen so weiterzuentwickeln, damit auch Personen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren, spezifischen Schutz bekommen. «Queere Menschen sind zusätzlichen Gewaltformen ausgesetzt. Diese Lücke müssen wir schliessen. Eine non-binäre oder agender Person, die Schutz braucht, passt weder ins Frauen- noch ins Männerhaus», sagt Graff.

«Ich stehe als queerer Mann vor ihnen, denn ich fühle mich als Mann und erst noch als SVPler.»

Sebastian Zopfi, SVP

Mit «das Geschäft ist nicht mein Thema, relativ fern von meinem menschlichen Horizont» startete Sebastian Zopfi (SVP) die Debatte. «Ich stehe als queerer Mann vor ihnen, denn ich fühle mich als Mann und erst noch als SVPler», machte er sich weiter lustig über das Anliegen. Die SVP würde Gewalt aber in allen Formen verurteilen. Es gelte, niemanden auszuschliessen, darum müssten Minderheiten in Mehrheiten integriert werden und deswegen brauche es keine eigenen Unterkünfte – alles andere sei ein «künstlich geschaffenes Problem, eine Wohlstandsverwahrlosung».

Yasmine Bourgeois (FDP) meinte: «Akzeptanz erreichen wir nicht, wenn wir separieren.» Die FDP schlug eine Textänderung vor, die sich nur auf die Anpassung oder Weiterentwicklung von bestehenden Angeboten konzentrierte – von neuen Angeboten wollen die Freisinnigen absehen. Dies begrüsste auch Karin Weyermann (Die Mitte): «Es soll nichts Neues entstehen, wir wollen keine Häuser für jede Kategorie.»

Die Postulant:innen lehnten den Textänderungsantrag ab. Das Postulat fand auch ohne Die Mitte, SVP und FDP eine Mehrheit von 71 Stimmen.

Ein weiteres Postulat von den drei Gemeinderät:innen Schmaltz, Graff und Garcia Nuñez fordert, dass der Stadtrat das Gebäude des ehemaligen Alterszentrum Doldertal schutzbedürftigen, queeren Jugendlichen zur Verfügung stellt. Ein LGBTIQ*-spezifisches Wohnangebot soll entstehen. «Das Angebot soll die Möglichkeit eröffnen, dass LGBTIQ* Personen in akuten Situationen oder während längerer Krisen an diesem Ort Zuflucht finden können», heisst es im Postulat. 

Die Debatte verlief ähnlich wie die vorhergehende. Die Mitte und die FDP stellten sich erneut dagegen mit den Argumenten, Separierung löse das Problem nicht. «Es geht nicht darum, Jugendliche abzuschotten. Wir wollen einen Ort, wo sie Unterstützung finden, damit sie ihren Alltag meistern können», betont Anna Beatrice Schmaltz (Grüne).

Die SVP schrieb die Problematik, dass queere Jugendliche häufiger schikaniert werden, zudem der linken Politik zu: Ihre Migrationspolitik sei Schuld am Mobbing von queeren Kids, sagt Stefan Urech. Garcia Nuñez bestritt nicht, dass Menschen aus anderen Kulturen ein Risikofaktor sein können, aber im Postulat ginge es um die Betroffenen. Zudem doppelte der AL-Gemeinderat nach: In den meisten Fällen seien konservative, rechte Männer die Aggressoren, «sind jetzt alle Männer schlecht?»

Mit 71 Ja-Stimmen zu 41 Nein-Stimmmen schickte der Gemeinderat den Vorstoss zur Prüfung zum Stadtrat.

Weitere Themen der Woche

  1. Pilotprojekt Dolmetscher:innen im Gesundheitsbereich: Damit Menschen, die kein Deutsch sprechen, bei gesundheitlichen Anliegen besser informiert und verstanden werden, startet die Stadt Zürich in den eigenen Gesundheitsbetrieben ein Pilotprojekt. Für das vierjährige Projekt bewilligte der Gemeinderat gestern dem Stadtrat 2,4 Millionen Franken. Dieser Pilot ist auf einen Vorstoss der AL zurückzuführen. David Garcia Nuñez (AL) erzählt im Rat, wie er als Kind seiner Mutter erklären musste, dass sie Krebs hatte. Weil seine Mutter kein Deutsch sprach, musste er dem Spital helfen, zu übersetzen. Walter Anken von der SVP widersprach Garcia Nuñez, seine Geschichte sei uralt, die Spitäler seien mittlerweile an einem anderen Punkt und der Vorstoss demnach überflüssig. Doch die SVP hatten zusammen mit der FDP keine Chance – der Pilot wurde mit 82 zu 35 Stimmen gutgeheissen.

  1. Energie-Coaching: Wer ein Haus besitzt und dieses klimaneutraler machen will, kann ein sogenanntes Energie-Coaching besuchen. Dieses Angebot gibt es zwar schon seit 2009, die Nachfrage steigt aber stetig, für 2022 rechnet die Stadt mit etwa 730 Coachings. Und darum beantragt der Stadtrat, die Ausgaben von 970’000 Franken auf 2 Millionen Franken zu erhöhen. Diesem Zusatzkredit stimmte der Gemeinderat mit grosser Mehrheit zu. Ebenfalls zur Debatte rund um diese Coachings standen zwei Vorstösse: Der eine von SP und AL fordert, dass in der jährlichen Berichterstattung zu Netto-Null 2040 auch über das Coaching geschrieben werde. Auch wenn sich Stadtrat Andreas Hauri dagegen stellte, fand das Postulat eine knappe Mehrheit, der Stadtrat muss nun prüfen, wie sie das Coaching in ihrer Berichterstattung erwähnen. Der andere Vorstoss kam von Die Mitte, sie wollen, dass sich die Kund:innen dieser Coachings mehr an den Kosten beteiligen – denn wer Wohneigentum habe, habe auch Geld für Beratung. Dieser Vorstoss scheiterte. «Es wäre ein komisches Zeichen, jetzt wo der Bedarf nach den Coachings steigt, die Kosten zu erhöhen», sagt Hauri.

  1. Bioabfall: Als ich nach Zürich gezogen bin, lernte ich schnell: Kompostieren ist hier nicht so einfach. Da aber in der erweiterten Nachbarschaft immer irgendwo eine Tonne rumlungert, unternahm ich wöchentlich einen Kompost-Spaziergang. Das Motto «help yourself» hat ausgedient: Ab 2023 plant die Stadt eine flächendeckende Bioabfallsammlung, wie es in einer Mitteilung vom August heisst. Die Grünen gehen noch weiter. Sie wollen in einem Vorstoss, dass der Stadtrat prüft, wie erreicht werden kann, dass die flächendeckende Einführung des Bioabfalls zu einer breiten Akzeptanz und Nutzung durch die Bevölkerung führt. Samuel Balsiger (SVP) findet das wohl überflüssig, er hat einen Ablehnungsantrag gestellt. Über die Kompost-Sensibilisierung wird in einer späteren Sitzung diskutiert.

  1. Einfaches Verfahren für Quartierfeste: Martin Bürki und Flurin Capaul von der FDP wollen, dass kleine Quartierveranstaltungen, die nicht gewinnorientiert sind oder ehrenamtlich organisiert werden, das Fest nur noch mittels einfachem Formular melden müssen. Vom Bewilligungsverfahren soll in Zukunft abgesehen werden. Das fanden alle gut, der Vorstoss wurde dem Stadtrat überwiesen. In einem weiteren Postulat verlangen die beiden Postulanten ebenfalls, dass besonders Quartierveranstaltungen, die es seit Jahren gebe, formlos und ohne weitere Auflagen die nötige Bewilligung erhalten. Michael Schmid (AL) stellte sich dagegen und stellte einen Ablehnungsantrag. Auch dieses Geschäft wird also in einer späteren Sitzung besprochen.

  1. Digitales Velo-Parkleitsystem: GLP und SP wollen, dass es in den zukünftigen, grösseren Velostationen ein digitales Velo-Parkleitsystem gibt. Dieses System soll Velofahrenden helfen, freie Plätze zu finden oder sie davon abhalten, dass sie gar nicht erst an eine volle Velostation fahren. Ich stelle mir das etwa wie bei Parkhäusern vor: Eine Anzeige, die mir grün-leuchtend zeigt, dass es aktuell 3 verfügbare Plätze gibt. Samuel Balsiger (SVP) stellte einen Ablehnungsantrag, der Vorstoss wird ein anderes Mal im Rat diskutiert werden.

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