7 Perspektiven zur Gesundheit – das war die Pitch-Night

Sie sprachen während je sieben Minuten über Krankheiten, Gesundheitskosten, Arbeitsbedingungen, Lobbyismus und eigene Erfahrungen – sieben Menschen, sieben verschiedene Blickwinkel zum Thema Gesundheit. Das war die Pitch-Night im Kosmos.

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Hat die Veranstaltung moderiert: Tsüri-Chefredaktor Simon Jacoby. Bilder: Elio Donauer

1. In Bildung investieren

Felix SchneuwlyComparis

Die Pitch-Night-Präsentationen werden von Krankenkassen-Experte Felix Schneuwly von Comparis eröffnet, den wir von Tsüri.ch bereits im Voraus der Veranstaltung interviewt haben. Laut Schneuwly schneidet die Schweiz, was das Gesundheitswesen anbelangt, in international aber auch national durchgeführten Befragungen ganz gut ab, Schweizer*innen wünschten sich jedoch tiefere Krankenkassenprämien. «Wenn man gesund ist, will man nicht zu viel zahlen und wenn man krank ist, die beste Medizin, egal was sie kostet», fasst Schneuwly zusammen. Bezüglich dem BIP-Anteil der Gesundheitskosten im Ländervergleich hält er fest: «In allen Industrieländern steigen die Gesundheitsausgaben, weil die Medizin heute Krankheiten lindert oder heilt, an denen man früher gestorben wäre.»

Er findet, dass vier Vorschläge eigentlich reichen würden, um das Gesundheitssystem zu verbessern und Kosten zu sparen. Dabei nimmt er auch Bezug zur Strategie von Gesundheitsminister Alain Berset, dem Projekt «Massnahmen 2020», deren 102 Massnahmen «kein einziges messbares Ziel vorweisen könnten». Schneuwly findet: «Wenn man Gesundheitskosten sparen will, muss man in Bildung inverstieren, denn sie ist eigenlich die beste Gesundheitsvorsorge. Menschen mit einem hohen Bildungsniveau leben gesünder, länger und besser.» Noch bevor Schneuwly zu den anderen drei Lösungsvorsätzen ausholen kann, ist die Zeit um. «Manchmal ist es vielleicht auch besser, sich auf einen Lösungsansatz zu fokussieren, als auf ein kompliziertes 4-Säulen-Modell», scherzt Tsüri-Chefredaktor Simon Jacoby, der den Anlass moderiert.

Hier geht's zum Pitch von Felix Schneuwly.

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Felix Scheuwly

2. Wenn Cannabis Medizin ist

Franziska Quadri MedCan Schweiz

Franziska Quadri ist seit einem Gleitschirmunfall Tetraplegikerin. Davor war sie kerngesund, arbeitete in einer Werbeagentur, war in einer Beziehung und lebte ein geselliges Leben. Nach dem Unfall vom 17. Mai 2009 ist die damals 34-Jährige auf der Stelle komplett gelähmt. Dem Tsüri-Publikum erzählt sie ihre Geschichte via Video-Stream: «Man kann aber nicht einfach so sterben in der Schweiz. Unser Gesundheits- und Rettungssystem hat mir vorbildlich das Leben gerettet. Die Ärzt*innen, die meine zerstöre Halswirbelsäue wieder zusammengeflickt haben, haben etwas von ihrem Fach verstanden, zwei Wochen lang haben die Pfleger*innen auf der Intensivstaion um mein Leben gekämpft.» Aus dem Koma aufgewacht, sei ihr altes Leben vorbei gewesen. «Doch sterben konnte ich auch nicht mehr. Ich hätte meinen Tod aktiv selber herbeiführen müssen, was sehr schwierig ist, wenn man gelähmt im Bett liegt. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man die Wahl hat.»

Quadris Kampf zurück ins Leben ist hart. 2,5 Jahre liegt sie im Spital. Ihr ständiger Begleiter, auch heute noch, ist der Schmerz. «Mein Körper brennt jeden Tag wie Feuer und wenn man mich berührt, verdreht sich mein ganzer Körper in spastischen Krämpfen. Ich habe Schmerzen auf einem Level, den sich ein gesunder Mensch nicht vorstellen kann.» Weil der ihr verschriebene pharmazeutische Medikamentencocktail nicht hilft, im Gegenteil lebensbedrohliche Zusatzerkrankungen hervorruft, beginnt sie irgendwann, ihre Schmerzen mit Cannabis zu behandeln und das mit Erfolg. «Mein Leben ist wieder lebenswert», erzählt sie. Mittlerweile ist Quadri Präsidentin von MedCan und setzt sich dabei für die Legalisierung von Cannabis in der Medizin ein. «Für medizinische Anwendungen von Cannabis gibt es hierzulande nur wenige Möglichkeiten. Die sind für mich aber zu teuer und helfen mir nicht.»

Nun hilft sie sich selber. Gut 100’000 andere Cannabis-Patient*innen in der Schweiz würden es ihr gleichtun, erzählt sie. «Wir alle sind nicht mehr bereit, uns zu verstecken und ruhig zu sein. Es darf nicht sein, dass kranke Menschen kriminell werden müssen, um ihre Schmerzen zu lindern. Deshalb fordern wir vom Parlament, dass der medizinische Eigenanbau erlaubt wird.»

Hier geht's zum Pitch von Franziska Quadri.

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Franziska Quadri

3. Das Roger-Prinzip

Roger StaubPro Mente Sana

Roger Staub, Geschäftsleiter von Pro Mente Sana, sagt, dass psychische Erkrankungen häufig und teuer seien. Er möchte den Fokus aber nicht auf die Kosten, sondern auf die Tabuisierung der Krankheit legen. Über 50 Prozent der Erkankungen würden vor dem 18. Altersjahr beginnen, oft aber nicht erkannt werden. «Unbehandelt werden diese aber immer schlimmer und die Behandlung kostspieliger», so Staub.

Wenn man die Betroffenen frage, was sie sich wünschen, würden sie laut Staub sagen: «Ich will mit jemanden den ich kenne darüber reden, ich will ernst genommen werden und nicht mit Sprüchen wie ‹das wird schon wieder› abgespiesen werden.» Helfen könne die Fragestellung: «Wie geht es dir?» Und das in einem Moment, in dem man auch tatsächlich Zeit hat, zuzuhören. «Ein Gespräch über Belastung entlastet», sagt Staub und verweist auf die «Wie geht’s dir-App», die es den Nutzer*innen erlaubt, die eigene Gefühlslage einzuordnen. In sogenannten Ensa-Kursen könne zudem wie in einem Erste-Hilfe-Kurs gelernt werden, bei Begegnungen mit Betroffenen richtig zu reagieren. Dafür wurde das ROGER-Prinzip entwickelt:

R steht für Reagieren, ermutigen zu professioneller Hilfe und Ressourcen aktivieren.

O für Offen und unvoreingenommen kommunizieren und zuhören.

G für Ganzeitlich unterstützen.

E für Ermutigen zu professioneller Hilfe.

R für Ressourcen aktivieren.

Hier geht's zum Pitch von Roger Staub.

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Roger Staub

4. Du bist, was du isst

Dr. Bettina IsenschmidKompetenzzentrum für Adipositas, Essverhalten und Psyche

«Der grösste Teil aller Erkankungen in der Schweiz haben mit der Ernährung zu tun», sagt Bettina Isenschmid – Chefärztin Kompetenzzentrum für Adipositas, Essverhalten und Psyche – am Anfang ihrer Präsentaion. Menschen würden zu viel, zu wenig oder das falsche essen. «Doch weshalb? Sind wir zu wenig informiert?», fragt Isenschmid in die Runde. Die Ärzt*innen der Ernährungsmedizin, die sich für eine bedarfsdeckende und ausgewogene Ernährung einsetzen, hätten mächtige Gegner*innen und zwar jene, die mit Nahrung Geld verdienen wollen. Die trichtern uns ein, dass wir mit dem richtigen Drink, der richtigen Schokolade, dem richtigen Bier oder Champagner oder den richtigen Nüssen schwupps auch gleich den*die richtigen Partner*in finden und attraktiv, schlank, durchtrainiert und beruflich erfolgreich werden.

Wenn sie sich ihre Patient*innen und Umfragen genauer betrachte, stelle sie fest, dass zumindest Menschen aus der westlichen Welt längst nicht mehr rein aufgrund eines Nährstoffmangels essen oder trinken würden. Es seien ganz andere Motivationen vorhanden. Das Probem seien aber nicht nur die Grosskonzerne und ihre Werbekampagnen, sondern auch der Fakt, dass während einer medizinischen Ausbildung dem Thema Ernährung lediglich ein geringer Stellenwert zuteil kommt. Dies führe dazu, dass Ärzt*innen oftmals unsicher seien, welche Ernährungskonzepte sie ihren Patient*innen nahe legen sollen.

Hier geht's zum Pitch von Dr. Bettina Isenschmid.

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Dr. Bettina Isenschmid

5. Wer mit wem und warum?

Otto HostettlerLobbywatch

Otto Hostettler, Co-Präsident der Plattform Lobbywatch, welche die Interessenbindungen der Mitglieder von National- und Ständerat recherchiert, nutzt seine 7 Minuten Zeit, um vom Einfluss der Pharma-Branche auf unsere Politik zu sprechen und zu zeigen, warum wir in der Politik Transparenzregeln haben, die zu wenig gut funktionieren. «Die Politik ist nicht nur auf Politik beschränkt. 2019 haben zum Beispiel die 60 Schweizer Pharmafirmen ganze 187 Millionen Franken aufgewendet, um Ärzt*innen an Jahreskongresse, Weiterbildungen oder an Sponsorings für Spitäler einzuladen», so Hostettler.

Der «Beobachter»-Journalist verweist auf unser Milizsystem, bei dem aus allen Landesgegenden Menschen zusammenkommen, sich organisieren und Kompromisse eingehen. Dabei nimmt er die Verflechtungen, die dabei entstehen, in den Fokus, spricht über Intressensvertretungen von Firmen, Verwaltungsräten und Verbänden. «Lobbyismus gehört zum Geschäft, die Lobbyist*innen sitzen im Parlament – oder im Vorzimmer. Und: Lobbyismus geht durch den Magen – oder durchs Portemonnaie» so Hostettler.

Die Pharma-Industrie sei einer der wichtigsten Exportkanäle unseres Landes, eine «ungeheure wirtschaftliche Macht». Dies zeige sich auch anhand der Organisationen, Firmen und Verbände, die durch die Pharma-Branche einen direkten oder indirekten Bezug ins Parlament haben. Obwohl Parlamentarier*innen dank eines Vorstosses von Lobbywatch neu offenlegen müssen, ob sie eine Tätigkeit ehrenamtlich oder bezahlt ausüben, würden die aktuellen Transparenzregeln nicht ausreichen.

Hier geht's zum Pitch von Otto Hostettler.

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Otto Hostettler

6. Klatschen reicht nicht

Cevincia SingletonVpod Zürich

«Dieses Jahr hat ziemlich intensiv begonnen. Eigentlich sollte es gemäss der WHO das Jahr der Nurses und Midwifes werden, doch durch die Corona-Epidemie ist das leider untergegangen», beginnt Singelton ihre Rede. Sie ist Pflegefachfrau und Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Vpod Zürich und erzählt davon, wie es an der Corona-Front war: «Ziemlich streng», auch hier in der Schweiz. In ihrem Berufsalltag begegnet Singleton oftmals lebensbedrohlich kranken Menschen, die teils nicht mehr befähigt sind, Entscheidungen zu treffen, die am Ende Leben oder eben Tod bedeuten. Es sei ein wertschöpfender Beruf aber dennoch anstrengend, «vor allem aufgrund gewisser Rationialisierungen und der geforderten Effizienzsteigerung. Das macht es nicht einfach, die Versorgung der Patient*innen zu gewährleisten.»

Das Schweizer Pflegepersonal habe klare Forderungen: «Wir fordern bessere Arbeitsbedingungen, einen fairen Lohn und Unterstützung in der Ausbildung, denn es braucht besser ausgebildetes Personal. Vor allem, um komplexe Situationen wie die aktuelle Pandemie bewältigen zu können.» Auch soll eine Ausbildung im Pflegebereich mit einer Familie vereinbar sein.

Sie findet: «Klatschen reicht nicht, wir sind systemrelevant und deshalb wollen wir systematisch in Entscheidungsfindungen einbezogen werden und das auch in der Politk. Wir wollen einen Sitz in der eidgenössischen Qualitätskomission. WIr haben keine Lobby und sind nicht sichtbar, obwohl wir die grösste Berufsgruppe im Gesundheitswesen sind. Es ist an der Zeit, dass die Pflege ein Gesicht bekommt.»

Hier geht's zum Pitch von Cevincia Singleton.

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Cevincia Singleton

7. Den Tod ausblenden

Katrin ArnoldÄrzt*innen ohne Grenzen

Mit Katrin Arnold stand am vergangenen Dienstag erneut eine Pflegefachfrau hinter dem Redner*innenpult. Sie zeigte jedoch eine andere Perspektive auf und zwar die einer Pflegerin in einer Nothilfeorganisation. Ihr erster Einsatz fand in einem Spital für mangelernährte Kinder in der demokratischen Republik Kongo statt. «Die meisten der Kinder waren unter fünf Jahre alt, hatten davor eine Malariaerkrankung erlebt und waren in einem sehr schlechten Zustand. Andere wiederum hatten bislang nur Reis als Nahrungsmittel erhalten, wodurch sich an ihrem ganzen Körper Ödeme gebildet hatten», so Arnold. Sie erzählt, wie man Mangelernährungen kuriert und auch vom Tod eines Kleinkindes, das sie behandelt hatte. «Mich hat es beeindruckt, was für eine grosse Anteilnahme die Eltern erhalten haben. Man hat gespürt, dass sie den Tod kennen und wissen, wie sie mit diesen starken Emotionen und diesem grossen Schmerz umgehen sollen.»

Man könne die Schweiz und den Kongo nicht miteinander vergleichen. «Bei uns kann man endlos therapieren. Dies führt in gewissen Fällen aber dazu, dass das Thema Tod ausgeblendet wird.» Im Kongo würden Kinder an Krankheiten sterben, die eigentlich relativ einfach zu behandeln wären. Ihr Schlusswort: «Wir sind wirklich privilegiert und dürfen das nicht vergessen.»

Hier geht's zum Pitch von Katrin Arnold.

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Katrin Arnold

Hier gibt's das ganze Video der Veranstaltung.

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Und hier gibts die Präsentationsfolien der Veranstaltungen

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