Luxusgut Gesundheit? Wie Zürcher Unternehmen Wellness neu denken

Vom Eisbad bis zur Rotlichttherapie – Zürichs Wellness-Angebote sind teuer. Während einige Unternehmen versuchen, Erholung zugänglicher zu machen, treiben andere das Streben nach Langlebigkeit ins Extreme.

Das Unternehmen «KEEN» will sich als finanziell zugänglich platzieren.
Das Unternehmen «KEEN» will sich als finanziell zugänglich platzieren. (Bild: Muriel Florence Rieben)

In der Stadt türmen sich neue, noch innovativere Angebote rund um das Wohlergehen und die Gesundheitssteigerung. Neben klassischen Spa-Angeboten boomen Konzepte wie Biohacking-Studios, Kältetherapie, Klangbäder und Floating-Tanks. 

Neu auf dem Markt ist seit Februar auch der Active-Recovery-Club «KEEN» im Zürcher Viadukt. Statt auf Yoga und Pilates setzen die Betreiber:innen auf Atemarbeit, Eisbäder, Infrarot-Sauna und sogenannte Sober-Social-Events. Zwischen 20 und 45 Franken kosten die Angebote. Die hohe Nachfrage legitimiert die Preise. 

Doch anders als sonstige Unternehmen in der Gesundheitsbranche will «KEEN» eigenen Aussagen zufolge Entspannung finanziell zugänglicher machen. «Der Preis ist für viele Menschen eine Hürde. Deshalb ist unser Ziel, ‹KEEN› langfristig mit niedrigeren Preisen in den Alltag der Menschen zu integrieren – und nicht nur als einmaliges Erlebnis», so Franzisca Gartenmann, Mitgründerin des Unternehmens.

Während ihres Aktionsmonats beträgt der Einzeleintritt für den gesamten Space im März 20 Franken. Danach steigen die Preise zwar wieder auf 25 bis 27 Franken, doch mit dem Ziel, längerfristig unter 30 Franken zu bleiben. Wie ist das in einer Stadt wie Zürich überhaupt kostendeckend möglich?

Laut Gartenmann profitiert «KEEN» von einem Standort, der mit der «Philosophie des Konzepts» harmoniert. «Unsere Mission ist es, Erholung im Alltag zugänglich zu machen. Eine reine Gewinnorientierung würde diesem Anspruch widersprechen.

«Biohacking beginnt erst nach dem Heilungsprozess.»

Eric Laudet, Geschäftsleiter von «Holistiq»

Stattdessen geht es uns darum, einen Raum für hochwertige Erholung zu schaffen.» Nichtsdestotrotz sei «KEEN» ein Premiumprodukt, sagt die Betreiberin. Es bleibe ein Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Zugänglichkeit. 

Das eigene Ego als Motivation

Was für die einen eine Wohltat nach einer anstrengenden Woche ist, ist für einen anderen ein Streben nach einem besonders gesunden Lebensstil. Saunieren, Rotlichttherapie, Kältekammern, strenge Trainingsroutinen, tägliche Schwimmzüge im See, klare Ernährungsvorgaben, Schlaftracking. 

Alles, um die eigene Gesundheit zu optimieren. Bekannt ist dieses Phänomen unter dem Begriff Biohacking. 

Doch das Streben nach dem Ideal birgt auch Gefahren. «Man muss sich die Frage stellen, warum man seinen Lebensstil ändern möchte. Was ist das Ziel?», gibt Eric Laudet Geschäftsleiter von «Holistiq» zu bedenken. Er gründete das Unternehmen mit der Absicht, chronische Beschwerden zu heilen. Dabei liegt der Fokus vor allem auf der Frauen- und Darmgesundheit sowie der Gewichtsabnahme. 

Oft sei das eigene Ego die Motivation – oder einfach, weil es gerade im Trend liege, so Laudet. «Dabei habe das gar nichts mehr mit Medizin oder Wissenschaft zu tun und ist dementsprechend nicht effizient.»

Anders als bei «KEEN» werden die Behandlungen von der Grund- und Zusatzversicherung übernommen. Laudet erklärt: «Biohacking beginnt erst nach dem Heilungsprozess.» Zuerst müssten die Ursachen bekämpft werden, bevor über eine weitere Optimierung des Lebensstils gesprochen werden kann.

Junge Menschen wollen gesund leben

Als besonders gesundheitsbewusst gilt die Generation Z. Laut einer Umfrage der deutschen Krankenkasse, der Pronova BKK im November 2021 achtet fast jede zweite Person zwischen 16 und 29 Jahren auf ausreichend Schlaf, jede vierte auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung und dabei auch auf den Verzicht von Alkohol.

 Das Unternehmen «KEEN» will sich als finanziell zugänglich platzieren.
Was für die einen eine Wohltat nach einer anstrengenden Woche ist, ist für einen anderen ein Streben nach einem besonders gesunden Lebensstil. (Bild: Muriel Florence Rieben)

Noch gibt es keine vergleichbaren Untersuchungen in der Schweiz, aber die Vermutung liegt nahe, dass die Entwicklung auch hierzulande in diese Richtung geht. Eric Laudet bestätigt: «Wir beobachten, dass immer mehr junge Menschen nach personalisierten Lösungen suchen und den Wunsch nach einer selbstbestimmten Gesundheit entwickeln.»

«Es ist schön zu sehen, dass immer mehr Menschen sich mit ihrer Gesundheit beschäftigen.»

Franzisca Gartenmann, Mitgründerin von «KEEN»

Doch was treibt dieses Streben an? Ist es die Angst vor dem Älterwerden? Die Vorstellung, dass unsere Existenz begrenzt ist? Oder schlicht der Wunsch, die bestmögliche Version seiner selbst zu sein?

Der Kult um das ewige Leben

Selbst die Schweiz investiert in die Unsterblichkeit. Seit 2024 hat die Stadt Zürich ein eigenes Longevity-Zentrum und im Spätsommer findet die jährliche Longevity Investors Conference in Gstaad statt. Die Teilnahme an der Konferenz mit Unterkunft im Le Grand Bellevue Hotel ist für einen besonders elitären Kreis vorgesehen. Selbst Frühbucher:innen müssen bei der niedrigsten Preiskategorie, 4800 Franken auf den Tisch blättern. 

Eric Laudet kritisiert solche Events: Ihm zufolge sollte es darum gehen, die Gesundheitsspanne zu verlängern, nicht die Lebensspanne. «Ich denke, es gibt echt viel Bullshit in dieser Industrie. Viele Firmen machen nur Marketing mit dem Versprechen, dass man länger lebt. Das ist aber aktuell unmöglich zu überprüfen», so der Unternehmer.

Er rät Kund:innen zur Vorsicht: «Ein grosser Teil der Industrie, auch der Nahrungsergänzungsmittelindustrie, macht Geld mit den Ängsten der Menschen.» Die Longevity-Bewegung in der Schweiz sei ein Luxus – «und das ist traurig zu sehen.»  

Franzisca Gartenmann sieht in diesem Hype ein zweischneidiges Schwert: «Es ist schön zu sehen, dass immer mehr Menschen sich mit ihrer Gesundheit beschäftigen. Aber es darf nicht sein, dass Wohlbefinden zu etwas wird, was sich nur wenige leisten können.» Genau hier wolle «KEEN» ansetzen – nicht mit Versprechen auf ein ewiges Leben, sondern mit einem Raum für Erholung im Alltag.

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Sophie Wagner

Ausbildung als Polygrafin EFZ an der Schule für Gestaltung in Bern und aktuelle Studentin Kommunikation mit Vertiefung in Journalismus an der ZHAW Winterthur. Einstieg in den Journalismus als Abenddienstmitarbeiterin am Newsdesk vom Tages-Anzeiger, als Praktikantin bei Monopol in Berlin und als freie Autorin beim Winterthurer Kulturmagazin Coucou. Seit März 2025 als Praktikantin bei Tsüri.ch

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Kommentare

Leo
25. März 2025 um 10:32

Super Bericht!

Ein sehr interessantes Thema und toll geschrieben :)