Konzert im Kaufleuten

Ein Weihnachtsgeschenk: Dino Brandão, Sophie Hunger und Faber wärmen Zürich

Rund um Weihnachten geben Sophie Hunger, Dino Brandão und Faber fünf ausverkaufte Konzerte in Zürich. Der Auftakt zeigte: Sie bringen jegliche Distanz zum Verschwinden – und eine Person strahlt besonders.

Konzert im Kaufleuten
Vom vierten Advent bis Ende Jahr spielt das Trio insgesamt fünf Konzerte im Kaufleuten – alle restlos ausverkauft. (Bild: Kai Vogt)

Unter einem grossen Kronleuchter haben Sophie Hunger, Dino Brandão und Faber Platz genommen. Das Licht schummrig, Bühne und Saal des Kaufleutens wirken wie ein einziges grosses Wohnzimmer. Ohne Begrüssung setzen sie ein, feine Gitarrentöne, eine gesummte Melodie, dann ein dreistimmiger Satz: «Vom Himmel brännt d’Sunne und i mir brännt es Füür».  

Die Zeile stammt aus dem Album «Ich liebe dich», das ohne Vorankündigung mitten in der Corona-Zeit im Dezember 2020 erschienen ist. Es ist das erste gemeinsame Werk der drei Schweizer Ausnahmetalente, ein Album komplett auf Schweizerdeutsch, feinfühlig und sinnlich – ein «Manifest der Liebe» für eine Zeit voller Abstand.

Am Sonntagabend sang das Trio zum ersten Mal seit Jahren wieder gemeinsam auf einer Bühne. Die Pandemie hatte eine Tour zum Album verhindert; nur vereinzelt sind sie aufgetreten, etwa beim Montreux Jazz Festival.

Fünf Shows restlos ausverkauft

Mit der neuen Konzertreihe, fünf Jahre nach Albumrelease, schliessen sie diese Lücke. Zunächst waren nur drei Konzerte im Kaufleuten geplant, später wurden wegen hoher Nachfrage zwei Zusatzshows Ende des Jahres angesetzt. Alle Abende sind restlos ausverkauft.

Die Geborgenheit, die das Album ausstrahlt, erfüllte den Raum von der ersten Minute an, sogar noch vor dem Konzert des Trios. Die musikalische Eröffnung machte Lia Neff alias Follia. Die Zürcher Künstlerin stand für fünf Songs allein mit Kontrabass und Loopstation auf der Bühne 

Mit wortgewandten Texten zog sie das Publikum rasch in ihren Bann. Dieses hörte nicht nur aufmerksam zu, sondern sang beim letzten Song, von Follia dirigiert, als dreigeteilter Chor mit, und schien selbst überrascht davon, wie sehr sich dabei der Raum mit Wärme füllte. 

Faber flackert

Mit gelockerten Stimmbändern ging es hinüber zum Hauptteil. Die Stimmen von Faber, Hunger und Brandão verschmolzen zu einem harmonischen Ganzen, das je nach Lied neue Farben und Formen annahm.

So etwa bei der Zeile «Nei dihei wartet nüt uf mich» aus dem Lied «Hoffnigslos Hoffnigslos». Da sang sich Faber die Worte in der Wiederholung von der Brust, während die Stimmen der anderen beiden im Kanon einsetzten und ihn auffingen.

Die drei Musiker:innen performten nicht nur gemeinsam, sondern auch einzeln, und zuweilen wirkte es, als spielten sie sich gegenseitig Lieder vor, ein intimer Moment, dem das Publikum beiwohnen durfte.

In diesem Setting präsentierte Faber ein neues Stück, das er erst wenige Tage zuvor geschrieben habe: ein politisches Lied mit ironischen Passagen, die Reibung erzeugen. «Ich bin nicht Teil der Lösung, ich bin Ursache des Problems. Doch ich habe mich an euch gekettet, ihr werdet mit mir untergehen.»

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Sophie Hunger, die Grande Dame auf der Bühne, verknüpfte mühelos Unterhaltung mit intellektuellem Tiefgang. (Bild: Kai Vogt)

Hunger zaubert

Sophie Hunger, seit gut zwei Jahrzehnten prägende Figur der Schweizer und internationalen Musikszene, wirkte gelöst, liess Akkorde am Klavier kippen, spielte mit Rhythmen, dehnte sie, zog sie wieder zusammen und sorgte immer wieder für tanzbare Momente, etwa mit ihrem Cover von «Putain Putain», dem gesellschaftskritischen Lied des Belgiers Arno. 

Zwischendurch brachte Hunger das Publikum mit einer Anekdote über Dino Brandão zum Lachen. «Fudispalt» habe dieser das Lied «Ich liebe Dich, Dino» ursprünglich nennen wollen. Es habe einiges an sensibler Überzeugungsarbeit gebraucht, um ihn umzustimmen.

Hunger, die Grande Dame auf der Bühne, verknüpft mühelos Unterhaltung mit intellektuellem Tiefgang. Manche ihrer Texte wirken, als seien sie einem kollektiven Unterbewusstsein entsprungen. «Ich han gmeint, ich müessti mich seziere, in Machete-zarti Stückli filetiere. D’Angscht chläbt mer no am Gnick, dass es sie gar nöd git. D’Liebi, woni wett ha.» Die Betroffenheit, die sie dabei transportiert, kommt live noch stärker zur Geltung als auf dem Album.

Brandão strahlt

Dino Brandão aber war der Fixstern des Abends.

Der Brugger Musiker hat ein bewegtes Jahr hinter sich. Im November kam der Film «I love you, I leave you» von Moris Freiburghaus in die Kinos, der Brandãos bipolare Störung dokumentiert. Am Zürcher Filmfestival wurde der Film mit zwei Preisen ausgezeichnet.

Zeitgleich erschien Brandãos gleichnamiges Album, aus dem er mehrere Songs spielte, darunter «Lamento Maluco», ein portugiesisches Klagelied, in dem seine stimmliche Bandbreite deutlich wird: weite Höhen, tiefe Abgründe – Brandão beherrscht sie alle.

Was diese gesangliche Glanzleistung bei den Zuhörer:innen auslöste, liess schon an den Gesichtern auf der Bühne ablesen: Faber brachte sein Grinsen nicht weg, als er seinem ehemaligen Mitbewohner zuhörte, Hunger schloss die Augen, liess sich treiben. Die grosse Bewunderung des Publikums zeigte sich in ungewöhnlich langen Szenenapplausen und einem Meer aus Beifall zum Schluss.

Ein Geschenk

Das Album ist in einer Ausnahmesituation entstanden. Heute sind die Abstandsregeln und die Fallzahlen zwar längst passé, doch die kollektiven Sorgen nicht kleiner geworden. 

Dieser warme Abend zum Mitsingen, der die Liebe schon im Titel trägt, kann diesen Sorgen kathartisch entgegenwirken. Er ist ein Weihnachtsgeschenk für Zürich, das hoffentlich noch lange nachhallt.  

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