Gemeinderats-Briefing #12: Das Züri Fäscht bleibt auf dem Boden

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Keine Flugshow beim Züri Fäscht, keine Doppelgebühren für homosexuelle Paare, keine Änderung der Öffnungszeiten beim Friedhof Sihlfeld

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Illustration: Zana Selimi

Manchmal bleibt einem nur die Verwunderung. Zum Beispiel darüber, welche Aufmerksamkeit manchen Geschäften im Gemeinderat zuteil wird – und anderen im Umkehrschluss nicht. Fast eineinhalb Stunden diskutierten die Ratsmitglieder gestern über Mehrweggeschirr, Flugshow- und Feuerwerksverbot beim Züri Fäscht. Die wochenlang ersehnte Debatte füllte erwartungsgemäss die Medienpulte – und sorgte dafür, dass andere spannende Themen wie der Stopp eines Ausbaus von Werbeflächen oder die Schaffung einer polizeiunabhängigen Kontrollinstanz bei der Ausschaffung von Menschen am Flughafen gar nicht erst zur Diskussion kamen.

Das Züri Fäscht soll nach seiner pandemiebedingten Pause also nachhaltiger werden. So wollen es fast alle Gemeinderatsmitglieder, so will es der Stadtrat und scheinbar auch das Organisationskomitee (OK) des Fests. In einer entsprechenden Weisung des Stadtrats, in der dieser einen jährlich wiederkehrenden Beitrag für das Züri Fäscht von 1,25 Millionen Franken beantragt, sagt das OK jedenfalls Anstrengungen insbesondere im Bereich Abfall und Recycling zu. So soll die Abfallmenge im Vergleich zum letzten Fest halbiert und ein Depotsystem für PET und Alu eingeführt werden. Den Grünen im Gemeinderat ging das gestern allerdings nicht weit genug: In einem Änderungsantrag forderte eine Minderheit aus Grünen-, SP- und AL-Vertreter:innen in der entsprechenden Kommission ein Verbot der Flugshows auf dem Stadtfest. In einem begleitenden Postulat forderten die Grünen Balz Bürgisser und Markus Knauss ausserdem «innovative Konzepte und Prozesse», um das Fest mit den Stadtzürcher Klimazielen zu vereinbaren. Zuammen mit Liv Mahrer (SP) hatte Bürgisser zudem ein Postulat eingereicht, das eine baldige Umsetzung einer Mehrwegpflicht auf dem Züri Fäscht fordert. AL, Grüne und SP gemeinsam wollten in einem weiteren Postulat ausserdem, dass der Stadrat eine umweltfreundliche Alternative zum Feuerwerk prüft.

Während Yasmine Bourgeois (FDP) als Kommissionspräsidentin darlegte, welchen Aufwand die Einführung von Mehrwegbechern inklusive eines festweiten Depotsystems bedeute, versuchte Bürgisser in seinen Begründungen die Vorstellungskraft der Anwesenden anzuregen: Er sprach von Türmen an CO2, die am Festwochenende entstünden, von Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent, den der Flugverkehr weltweit jährlich produziere und von einem zusätzlichen Klimaeffekt von Kondensstreifen. «Wir Grünen wollen das Züri Fäscht erhalten und zukunftsfähig machen», erklärte er. Gegner:innen der grünen Anliegen wie Bourgeois oder Stefan Urech (SVP), aber auch Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) erklärten, der CO2-Ausstoss sei beim Züri Fäscht sogar niedriger als an einem normalen Wochenende in Zürich. Christine Huber (GLP) sagte, ihre Partei unterstütze die drei Postulate, lehne ein Verbot der Flugshow aber ab: «Wir befürchten, dass das Fest dadurch massiv an Attraktivität verlieren würde.» Bernhard im Oberdorf (SVP) sprach von einem «Plädoyer der Askese», David Garcia Nuñez (AL) bezog sich explizit auf die gegenwärtige Klimakrise: Während es bei dieser Debatte um unser aufgebrauchtes CO2-Budget gehe, sehe die rechte Ratsseite wiederum beim städtischen Budget kein Problem in der Forderung nach der Kürzung selbst kleinster Beträge, verglich er.

«Die Holzklasse steht unter Wasser, in der 2. Klasse brennt es. Aber es gibt hochgeborene Herrschaften in diesem Rat, die wollen, dass die Flugzeuge in die Höhe steigen und der Himmel zu Händel-Tönen in Brand gesetzt wird.»

David Garcia Nuñez, AL, über die Klimakrise und das Züri Fäscht

In den Abstimmungen zum Züri Fäscht zeigte sich wiederum, wie knapp die linke Ratsmehrheit ist und welchen Einfluss Abwesenheiten damit haben. Das Verbot der Flugshows fand mit den Stimmen von Grünen, SP und AL eine Mehrheit von 59 zu 55 Stimmen, die noch kleiner hätte ausfallen können. Der Forderung nach einer Verträglichkeit mit den Klimazielen stimmten bis auf SVP und FDP alle Fraktionen zu, gegen Feuerwerksersatz- und Mehrwegforderungen stellte sich zusätzlich noch die Mitte- / EVP-Fraktion gegen die Ratsmehrheit. Die Finanzierung gönnte der Rat dem Stadtfest fast einstimmig: Nur Michael Schmid (AL) zeigte sich mit einem Nein als einsamer Rebell.

Keine doppelten Gebühren bei der Ehe für Alle

Lisa Diggelmann, Anna Graff (beide SP) und weitere Unterzeichnende aus SP, Grünen und AL forderten gestern in einem Postulat eine Übernahme der Gebühren, die bei der Umwandlung eingetragener Partnerschaften in Ehen anfallen. Hintergrund ist die in diesem Sommer inkraft getretene Ehe für Alle: Homosexuelle Paare, die bislang nur den Zivilstand der eingetragenen Partnerschaft eingehen konnten, dürfen inzwischen heiraten. Die Gebühren von 105 Franken, die bei der Zivilstandsänderung anfallen, haben sie allerdings schon bei der ursprünglichen Eintragung der Partnerschaft entrichtet, sie fallen also im Endeffekt doppelt an. Samuel Balsiger (SVP) stellte den Ablehnungsantrag für das Postulat. Er argumentierte, homosexuelle Paare seien meist Gut- und Doppelverdiener:innen, oft auch ohne Kinder: «Für was setzt man hier mit 100 Franken ein Zeichen?», fragte er. Diggelmann entgegnete, dass die Gebühren nicht die einzige Diskriminierung für homosexuelle Paare seien. Wolle eine Frau ohne männlichen Partner eine künstliche Befruchtung machen, koste sie das pro Versuch 1500 bis 2000 Franken, bei heterosexuellen Paaren mit Kinderwunsch zahle die Krankenkasse die ersten drei Versuche.

Severin Pflüger (FDP) meinte, die Ungleichbehandlung sei nicht neu, es fielen immer Gebühren an, wenn sich durch Grundsatzentscheide Änderungen ergeben. Seine Parteikollegin Martina Zürcher erläuterte dies genauer: Bis 2013 hätten Frauen ihren Namen nach der Heirat nicht behalten dürfen, könnten ihn aber inzwischen ändern. Auch hier werde eine Gebühr fällig, «aber es hat keinen Aufschrei gegeben». Stadtpräsidentin Mauch wiederum erklärte, sie «teile die Beurteilung der Postulantinnen, dass es störend und ungerecht ist». Da die Gebühren im Bundesrecht geregelt seien, sei der Handlungsspielraum begrenzt, doch man werde sehen, was man machen könne. Bei der Abstimmung stimmte eine deutliche Mehrheit aus AL, SP, Grünen und GLP gegen SVP, FDP und Mitte für die Forderung nach einem Gebührenerlass. Aus der Mitte stimmte allerdings David Ondraschek mit der Mehrheit und damit gegen seine Frakton.

Nutzungskonflikte auf dem Friedhof Sihlfeld

Nachdem in der letzten Woche ein Postulat der FDP zur Trennung der verschiedenen Nutzungen auf dem Friedhof Sihlfeld keine Mehrheit bekommen hatte (wir berichteten), war gestern der SP-Vorstoss zum Thema dran. Reis Luzhnica stellte das Postulat von ihm und Marco Geissbühler vor, das fordert, dass der Stadtrat allfällige Nutzungskonflikte so lösen solle, «dass der Friedhof Sihlfeld auch zukünftig der Quartierbevölkerung als Freiraum zur Erholung zur Verfügung steht». Teil der Forderung ist auch eine Beibehaltung der 24-stündigen Öffnungszeit und die Erhaltung der räumlichen Einheit des Friedhofs. Die Debatte zum Thema ähnelte derjenigen von letzter Woche: Derek Richter (SVP) sprach nochmals von einer Störung der Totenruhe und einer «Ghettoisierung» angesichts der Berichte über nächtlichen Alkohol- und Drogenkonsum sowie Partys auf dem Friedhofsgelände. Josef Widler (Die Mitte) fragte sich abermals, was die Leute nachts auf einem Friedhof wollen, Beat Oberholzer (GLP) stellte wieder einen Textänderungsantrag, die Bedingung der 24-stündigen Öffnung zugunsten einer ergebnisoffenen Lösungsfindung zu streichen.

FDP und SP wechselten allerdings die Rollen: Flurin Capaul, mitverantwortlich für das letztwöchige Postulat, warf der SP vor, lediglich Recht haben zu wollen, während Luzhnica entgegnete, das FDP-Postulat sei ein Profilierungsinstrument aus dem Wahlkampf. Er lehnte den Textänderungsantrag ab, womit noch einmal nur eine knappe Mehrheit von SP, Grünen und AL übrigblieb, die das Postulat annahm.

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(Quelle: Steffen Kolberg)



Gemeinderätin der Woche: Tiba Ponnuthurai (SP)

«Eine politisiertere Generation wächst gerade heran», sagt Tiba Ponnuthurai,«denn junge Menschen sehen, dass das aktuelle System nicht funktioniert.» Ponnuthurai gehört zu der Riege junger Menschen, die in dieser Legislatur neu in den Gemeinderat gewählt wurden. Und von denen einige in den Reihen von Grünen und SP die Forderung nach Klimaschutz mit radikaler Systemkritik verbinden. Um dauerhaft etwas im Rat verändern zu können, sei es wichtig, dass möglichst viele von ihnen lange dabei blieben, meint sie. Denn in der Vergangenheit seien gerade jüngere Gemeinderät:innen nach einiger Zeit wieder zurückgetreten. Die 26-Jährige ist gerade in den letzten Zügen ihres Masters in Sozialwissenschaften und Kulturanalyse, den sie in London absolviert. Den Aufenthalt dort hat sie wegen des politischen Engagements vorzeitig beendet. Sie ist Gewerkschaftsmitglied, trat mit 15 in die Juso ein, war in den Jahren 2015 und 2016 Präsidentin der Stadtzürcher Juso und Teil des feministischen Kollektivs aktivistin.ch. Die SP sei für sie immer die interessanteste Partei in Zürich gewesen, erzählt sie: «Partei und Fraktion sind gross, viele Meinungen sind vertreten. Das hilft auch dabei, eigene Anliegen umzusetzen.» Bei der diesjährigen Gemeinderatswahl hat Ponnuthurai in ihren Wahlkreisen 4 und 5 drei Leute auf ihrer Liste überholt. Das habe sie schon überrascht, wie sie erzählt: «Ich war gar nicht sicher, wie ich als Kandidatin mit migrantisch gelesenem Namen ankomme. Weil vielen Tiba als weiblicher Name kein Begriff ist, habe ich für die Wahlunterlagen extra meinen Zweitnamen Selina angegeben.»

Warum sind Sie Gemeinderätin geworden?

Vor 20 Jahren kostete eine 3-Zimmer-Wohnung in Zürich im Schnitt 1300 Franken. Heute sind es 2500 Franken, also fast doppelt so viel. Tun wir nichts, wird sich dieser Trend verschärfen. Stadt und Genossenschaften sollen mehr Wohnungen kaufen und bezahlbar vermieten. Gleichzeitig setze ich mich für einen stadtweiten Ausweis für alle ein. Eie «City Card» wird das Leben von Sans-Papiers hier verbessern. Und eine schnelle Umsetzung von Netto-Null kann ich in der Gesundheits- und Umweltkommission vorantreiben. Dafür will ich mich im Gemeinderat einsetzen.

Mit welche:r Ratskolleg:in der Gegenseite würden Sie gerne mal ein Bier trinken gehen?

Mit Patrik Brunner (FDP).

Welches Abstimmungsergebnis hat Sie bisher am meisten geärgert?

Dass die AL den Kauf des Uetlihof-Areals verhindert hat, war sehr ärgerlich. Wir brauchen Boden, um städtische oder genossenschaftliche Wohnungen zu bauen. Bezahlbaren Wohnraum wollen Wähler:innen von AL, Grünen und SP doch alle. Dass wir uns hier nicht finden, ist bedenklich. Im Juli wurde spekuliert, dass ein südkoreanisches Unternehmen das Uetlihof-Areal kaufen wird: Wohnraum wird so wohl nicht entstehen – bestimmt nicht günstiger. Eine verpasste Chance.

Weitere Themen der Woche

  • Eine Motion von Jehuda Spielman (FDP), Walter Angst (AL) und weiteren Unterzeichner:innen, die die dauerhafte Existenzsicherung des Museums «Schauplatz Brunngasse» fordert, wurde gestern diskussionslos an den Stadtrat überwiesen. Das Museum im Niederdörfli zeigt Wandmalereien mit Szenen jüdischen Lebens im Mittelalter, die erst gegen Ende der 90er Jahre entdeckt wurden.
  • Ebenso diskussionslos überwiesen wurde gestern ein Postulat von Samuel Balsiger und Johann Widmer (beide SVP). In diesem fordern sie die Unterstützung der von ukrainischen Geflüchteten in Zürich gegründeten Schule «Mriya» durch den Stadtrat.
  • AL-Fraktionspräsidentin Tanja Maag verlas gestern eine Erklärung ihrer Fraktion, die sich mit dem Widerstand von Pflegepersonal des Triemli-Spitals gegen die Zusammenlegung zweier Stationen befasst. Sie forderte, auf die Betroffenen zu hören und die Pflege zu stärken. Zugleich reichte sie mit Co-Fraktionspräsident David Garcia Nuñez eine Dringliche Schriftliche Anfrage zum Thema der Stationszusammenlegung ein.
  • Gestern war die letzte Sitzung von Regula Fischer (AL), an deren Stelle nächste Woche Moritz Bögli nachrückt. Matthias Probst verlas ihr Rücktrittsschreiben, in dem sie ausführte, dass sie sich die parlamentarische Arbeit schlicht nicht mehr leisten könne. Sie gehe ausschliesslich wegen der Arbeitsbedingungen, schloss Probst: «Das sollte uns zu denken geben.»
  • Gedanken zu diesem Thema gemacht haben sich scheinbar die Fraktionen SP, Grüne, GLP, Mitte/EVP und AL: Sie reichten gestern einen Beschlussantrag ein, der eine Überarbeitung der Entschädigungsverordnung des Gemeinderats fordert. Unter anderem fordern sie eine «angemessene Erhöhung der Entschädigung», den Anschluss an die berufliche Vorsorge, die Vergütung der Kinderbetreuung bei Sitzungen sowie die Zurverfügungstellung eines ZVV-Jahresabonnements für das Stadtgebiet.

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