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Von Sonya Jamil

Praktikantin Redaktion

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5. Januar 2021 um 12:30

Jungthaeter: «Theater lebt von körperlicher Nähe»

Sandwiches aus dem Migrolino, weisse alte Männer und das Chaos im Proberaum: Das alles inspiriert die Zürcher Jungthaeter. Zwischen der Planung eines geheimnisvollen neuen Projektes treffen sie sich mit Tsüri.ch bei einem Feierabendbier via Zoom.

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Die Jungthaeter bei ihrer «Dosenfleisch»-Aufführung. (Foto: Michael Meili)

Zürich hat unzählige Kollektive – was treibt diese an, wie sind sie organisiert und wie haben sie das Jahr 2020 erlebt? Wir haben es in dieser Serie für dich herausgefunden.

Die Jungthaeter sind wie der Name schon sagt jung. Die 18- bis 30-Jährigen stehen auf und hinter der Bühne für authentisches, freches und spannendes Theater in Zürich. Sie lernen alle mit- und voneinander; die Hierarchien sind flach, sich einbringen und mitreden kann jedes der 50 Mitglieder. Für einen umfassenden Einblick in die Theaterwelt übernehmen alle Teilnehmenden einer Produktion nicht nur die klassischen Rollen der Schauspieler*innen, sondern auch alle anderen Aufgaben rund um die Entwicklung einer Theaterproduktion, das heisst die Bühne wird gebaut, die Kostüme ausgesucht und die Öffentlichkeitsarbeit und Sponsorensuche getätigt.

In ihren aufgeführten Theaterstücken setzen sich die Jungthaeter mit aktuellen und gesellschaftskritischen Themen auseinander. So ging es in ihrem Stück «Albtraum vom Glück», welches im Oktober 2020 in der Zentralwäscherei aufgeführt wurde, um Glück und Unglück. In ihrem Autobahnraststättenthriller «Dosenfleisch» ging es da schon dramatischer zu. Aber was immer die Jungthaeter aufführen: Sie wollen mit ihren Stücken nicht nur unterhalten, sondern auch mit kritischen Fragen das Publikum zum Denken anregen.

Vor etwa zwei Wochen war ein typischer Jungthaeter-Tag: Der «messy» Proberaum wurde da mal wieder entrümpelt und in Ordnung gebracht. Im Sommer und Herbst 2020 trat das Kollektiv trotz Lampenfieber noch mit ihren zwei oben erwähnten Stücken vor Publikum auf; darüber sind sie froh. Mittlerweile schieben sie eher eine ruhige Kugel, aber wer weiss, was 2021 für die Jungthaeter bereit hält?

Tsüri.ch: Das Jahr 2020 in drei Worten?

Jungthaeter: Entwicklungen am Rand. Es gab viele interne Umstrukturierungen und Fragen, die dieses Jahr aufgekommen sind. Wie zum Beispiel, ob der Name Jungthaeter mit dem provozierenden Wortspiel noch zeitgemäss ist. «Am Rand» soll heissen, dass alles immer ein wenig auf der Kippe stand. Die Pandemie war so existenziell, da fragt man sich im ersten Moment, ob das Theater spielen gerade Priorität hat. Dann merkt man, dass das Leben trotzdem weiter geht.

Was für Herausforderungen hat die Corona-Krise mitgebracht – und wie seid ihr damit umgegangen? Brachte die Krise auch positive Veränderungen mit sich?

Theater lebt in unseren Augen grundsätzlich von körperlicher Nähe. Die diesjährigen Massnahmen haben uns den vereinsinternen Austausch und Theateralltag erschwert. Dies hat die Dynamik und die Wandlung der internen Strukturen gebremst. Ausserdem mussten wir Premieren verschieben und Schutzkonzepte erstellen. Durch das Setzen von neuen Prioritäten hat das Theater ein neues Gesicht bekommen und als der Lockdown kam, hatten auf einmal ganz viele Zeit zum Proben, das waren positive Veränderungen.

Was ist eure Message als Kollektiv?

«Ist noch Gegenstand der nächsten Generalversammlung».

Wer oder was inspiriert euch?

Ketamin, Depressionen, Wörter, Menschentrauben, Nightlife, Sandwiches aus dem Migrolino, das Chaos im Proberaum, Züri, Shakespeare, weisse alte Männer, Sex, Macht, Geld, Karl Marx, fette Gagen, Hörnli aus der Mikrowelle, Farbe, Tattoos, Schimmel, Energydrinks, Chips, Schopenhauer, Fette Beats, Fussabtretersprüche, Impfungen, Rosa von Luxemburg, Brüste, Diego Maradona, Maria.

Weshalb tut ihr das, was ihr tut in Zürich – und nicht in einer anderen Stadt?

Weil wir hier wohnen.

Zahlt ihr euch einen Lohn aus?

Das kommt auf die Produktion an. Grundsätzlich ist den Produktionen frei gestellt, über ihr Geld zu verfügen. So schütten manche Produktionen den Gewinn (wenn es denn einen gibt) nach gewissen Verteilschlüsseln wie Zeitaufwand, Verantwortung, oder Expertise an die Mitwirkenden aus. Einzelne Produktionen haben auch schon mit unverzichtbaren Funktionen wie z.B. Lichttechnik im Vorhinein eine Gage ausgemacht. Grundsätzlich kann jedoch gesagt werden, dass die Löhne/Gagen sich stets weit unter dem branchenüblichen Niveau bewegen und eher einen symbolischen Charakter haben.

Waren die Stadt und ihre Bewohner*innen bislang gut zu euch?

Seit fünf Jahren kommen die Bewohner*innen dieser Stadt an unsere Aufführungen und schenken unserem Output Gehör. Wir konnten an diversen Aufführungsorten spielen, bekamen von verschiedenen Institutionen finanzielle und infrastrukturelle Unterstützung. Dafür sind wir sehr dankbar. Wir wollen jedoch auch anmerken, dass unser Kollektiv aus einem städtischen Unterangebot an Jugendtheaterclubs entstand, wie sie in anderen Städten anzufinden sind. Das merken wir an vielen Anfragen von Zürcher Bewohner*innen, welche gerne bei uns mitwirken wollen.

Was war euer schönster und/oder prägendster Moment seit der Gründung?

Jeder gemeinsame Moment bringt uns weiter.

Wie geht ihr als Gruppe kollektiv mit Entscheidungsprozessen um?

Das Kollektiv besteht insgesamt aus 50 Köpfen, davon aktiv waren dieses Jahr etwa 20. Als offene inklusive Gruppe haben wir immer wieder Schwierigkeiten damit, Neuzugänge nachhaltig zu integrieren, ohne dass die alten Hasen zu viel bestimmen. Neu sind alle Sitzungen offen und es diskutieren und bestimmen die Anwesenden. So werden wir der Fluktuation in unserem Kollektiv gerechter, auch wenn dann manchmal zwei Mal die gleichen Fehler gemacht werden. Diese Fragen beispielsweise wurden von fünf Kollektivist*innen zusammen beantwortet.

Was wünscht ihr euch von Zürich?

Mehr Raum und Unterstützung für Projekte junger Kunstschaffender. Und mehr Fame.

Ihr seid es, die unsere Stadt zu der machen, die sie ist. Sie beleben – kulturell, aber auch politisch. Was plant ihr für das kommende Jahr?

Die Übernahme des Schauspielhauses Zürich.

Serie «Zürcher Kollektive»
Immer mehr Menschen dieser Stadt schliessen sich zu einem Kollektiv zusammen. Für diese Serie wollten wir wissen: Was treibt diese Menschen an? Wie gehen sie mit Entscheidungsprozessen um? Wie haben sie, die das kulturelle Leben dieser Stadt prägen, das Jahr 2020 gemeistert? Und was ist trotz der widrigen Umstände für die kommenden Monate geplant?

1. Was ist eigentlich ein Kollektiv?
2. Urban Equipe
3. Ziegel oh Lac
4. Organ Tempel
5. Zentrum für kritisches Denken
6. Jungthaeter
7. Vo da.
8. Literatur für das, was passiert
9. F 96
10. Tempofoif

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