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Von Isabel Brun

Redaktorin

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1. Januar 2021 um 07:00

Urban Equipe: «Die Zukunft der Stadt geht uns alle etwas an»

Die Urban Equipe ist kein 0815 Planungsbüro: Das Kollektiv setzt sich für mehr Partizipation in der Stadtentwicklung ein. Dazu gehört auch, dass sich Menschen von sich aus engagieren. Wie das gehen soll, erzählen sie im Gespräch mit Tsüri.ch.

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«Equip yourself», lautet der Leitspruch des Kollektivs: Sabeth Tödtli, Lars Kaiser, Anna Brückmann und Antonia Steger (v.l.n.r.). (Fotos: Elio Donauer)

Zürich hat unzählige Kollektive – was treibt diese an, wie sind sie organisiert und wie haben sie das Jahr 2020 erlebt? Wir haben es in dieser Serie für dich herausgefunden.

«Etwas chaotisch» trifft es wohl ganz gut – die Tische im Raum sind vollgestellt, das Wandregal ist bis zum Bersten mit Büchern gefüllt. Das Atelier an der Erismannstrasse in Zürich ist das Zuhause der Urban Equipe und anderen Kulturschaffenden. Hier hirnen, verwerfen und realisieren Sabeth Tödtli, Anna Brückmann, Antonia Steger und Lars Kaiser. Ein bisschen Chaos herrscht bei den vieren vermutlich auch im Kopf, obwohl ihr Schaffen von der Planung lebt: Die Urban Equipe will Stadtentwicklung neu denken; Verwaltung, Politik, Planungsbüros und Städter*innen an einen Tisch bringen.

Weg von starren Abläufen, hin zu mehr Partizipation, könnte man das Motto der vier Zürcher*innen zusammenfassen. «Ziel ist es, dass alle Stadtbewohner*innen frühzeitig am Entwicklungs-Prozess teilhaben und ihre Ideen und Wünsche einbringen können», sagt Sabeth Tödtli, ein Viertel der aktiven Mitglieder. Wer jetzt aber denkt, mit der Möglichkeit zur Mitwirkung sei es getan, täuscht sich gewaltig: «Partizipation beinhaltet viel mehr als das, es bedeutet auch, dass Menschen ihre Stadt eigeninitiativ mitgestalten können – auch wenn sie nicht dazu gefragt wurden», so Sabeth.

Das zivilgesellschaftliche Engagement, welches der gemeinnützige Verein heute fördern möchte, war einst auch der eigenen Gründung zentral. Die Urban Equipe entstand im Jahr 2018 aus Personen von verschiedenen Initiativen – beispielsweise aus Nextzürich, eine Initiative, die sich bereits seit 2013 mit partizipativen Projekten beschäftigt.

Seither hat sich einiges getan. Nebst der Unterstützung von Gemeinden und Genossenschaften in Sachen Partizipation, publizierte die Equipe in diesem Jahr das Handbuch «Organisiert euch!», welches praktisches Wissen für engagierte Gruppen liefert. Auch das Projekt «Quartieridee» entstand in den Köpfen der vier Visionär*innen: Bei ebendieser konnte Wipkinger Bevölkerung ihre Ideen für die Nutzung öffentlicher Räume im Quartier eingeben. Ein aktiver Teil unserer Zukunft sein, das wollen die Urban Equipe nicht nur selber leben; sie wollen auch andere dazu ermächtigen.

Tsüri.ch: Das Jahr 2020 in drei Worten?

Urban Equipe: Verunsichernd, aufregend, improvisiert.

Welche Herausforderungen hat die Corona-Krise mitgebracht – und wie seid ihr damit umgegangen?

Was wir lernen mussten, nennt sich «rollende Planung» – also immer nur gerade für den nächsten Schritt zu entscheiden. Irgendwann haben wir akzeptiert: Alles ändert sich ständig, und alles, was wir weit im Voraus vorbereiten, müssen wir im letzten Moment wieder über Bord werfen und radikal umdenken. Also haben wir irgendwann aufgehört, irgendwas im Voraus zu tun und angefangen, einfach Schritt für Schritt vorwärts zu gehen. Das ist spannend, macht aber auch nervös, weil man keine wirkliche Kontrolle mehr hat über den Verlauf von Projekten.

Was ist eure Message als Kollektiv?

Die Zukunft der Stadt geht uns alle etwas an! Wir halten vielstimmige, zugängliche und lernfähige Städte für zukunftsfähig. In solchen Städten wollen wir persönlich leben. Und wir sind überzeugt: Solche Städte entstehen nicht top-down, sondern in einem Prozess, bei dem unterschiedlichste Stimmen gehört und Bedürfnisse berücksichtigt werden. Bestenfalls ist die Entwicklung unserer Städte sogar ein kollaborativer Prozess, an dem wir alle mitschaffen. Für solche Prozesse setzen wir uns ein.

Wer oder was inspiriert euch?

Optimistische, hoffnungsvolle Menschen, die sich eigeninitiativ für das engagieren, woran sie glauben. Davon gibt es viele.

Weshalb tut ihr das, was ihr tut in Zürich – und nicht in einer anderen Stadt?

Weil wir hier leben und uns hier kennengelernt haben. Reiner Zufall also. Allerdings: Anna ist extra wegen der Equipe hergezogen.

Zahlt ihr euch einen Lohn aus?

Ja, weil wir es uns leisten können, dank Fördergeldern und teilweise auch Einkommen. Und ja, weil uns sonst längst die Energie ausgegangen wäre. Unsere Erfahrung ist: Nach einer gewissen Zeit muss man entweder anfangen, ehrenamtliche Arbeit zu entschädigen oder sie etwas zurückschrauben, sonst brennen die Leute aus. Wir haben uns für ersteres entschieden, weil wir uns 100% auf das konzentrieren möchten, was wir machen und woran wir glauben.

Zeit ist Macht, Wissen ist Macht, Netzwerk ist Macht.

Urban Equipe

Waren die Stadt und ihre Bewohner*innen bislang gut zu euch? Wo haben sie euch Steine in den Weg gelegt, wo Türen geöffnet?

Was das angeht sind wir sehr privilegiert und haben eine gehörige Portion Glück. Was wir uns in den Kopf setzen, wird früher oder später Wirklichkeit – sei es eine Zwischennutzung in einem alten Kiosk, ein digitales Pilotprojekt, ein Fokusmonat zum Thema Aktivismus, ein Buch darüber, wie wir uns als Kollektive besser organisieren können, ein Podcast zum Thema #ankommen... wir finden die richtigen Kompliz*innen dafür, den richtigen Ort und das nötige Geld. Das liegt sicher auch an Zürich, dieser reichen Stadt in einem reichen Land. Aber es liegt auch an den vielen coolen Menschen, die an uns glauben und uns Türen öffnen.

Was war euer schönster Moment seit der Gründung?

Kein einzelner. Aber viele kleine Glücksmomente: Grundsätzlich haben wir es immer wieder sehr lustig zusammen, das ist viel wert. Und wir haben immer wieder Grund auf etwas Tolles anzustossen: Ein neues Projekt, ein frisch gedrucktes Buch, eine erfolgreich gemeisterte Krise. In Erinnerung bleiben ausserdem oft die Momente, wo wir vom Laptop weg und ins physische Machen kommen: ins Gespräch mit anderen, in die Werkstatt, an den Suppentopf, aufs Velo, ins Quartier.

Wie geht ihr als Gruppe kollektiv mit Entscheidungsprozessen um?

Wir haben irgendwann gemerkt, dass diejenigen, die sich Vollzeit bei der Equipe engagieren, mehr wissen und mehr entscheiden als diejenigen, die nur Teilzeit oder am Rande dabei sind. Das ist ein übliches Phänomen bei Kollektiven: Zeit ist Macht, Wissen ist Macht, Netzwerk ist Macht. Das abzustreiten oder zu ignorieren wäre naiv. Stattdessen haben wir entschieden, damit proaktiv umzugehen und denen, die Vollzeit da sind, auch tatsächlich die Erlaubnis zu geben, mehr zu entscheiden. Komplette «Basisdemokratie» braucht viel Zeit und Nerven und bremst meistens diejenigen aus, die Vollgas geben wollen.

Wir haben uns gegen Basisdemokratie und für Vollgas entschieden. Eine Entscheidung, die nicht leicht war, und auch nicht allen gegenüber fair. Aber wir bereuen sie nicht, denn sie lag auch im Zusammenhang mit einer gewissen Professionalisierung, die uns erlaubt, vielleicht wirklich langfristig von dem leben zu können, was wir machen.

Nach wie vor können aber in den einzelnen Projekten in der Regel diejenigen entscheiden, die am nächsten dran sind, die das Projekt initiiert haben oder vorantreiben. Auch da nach dem Prinzip: Motivierte, eigeninitiative Menschen möglichst machen lassen.

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Die Ideenschmiede der Urban Equipe ist eines nicht: Durchstrukturiert.

Was wünscht ihr euch von Zürich?

Mehr Freiräume, günstigere Miet- und Bodenpreise, eine glaubhafte Klimapolitik. Oh, es gibt viel, was wir uns wünschen. Aber wünschen allein bringt natürlich nichts. Wir wollen auch unseren Teil dazu beitragen, dass die Zukunft so wird wie wir sie uns wünschen.

Ihr seid es, die unsere Stadt zu der machen, die sie ist. Sie beleben – kulturell, aber auch politisch. Was plant ihr für das kommende Jahr?

Wie bereits angetönt: Ein Fokusmonat zum Thema Aktivismus, in Kooperation mit Tsüri.ch und teilweise basierend auf dem Buch «Organisiert euch!», welches wir gerade herausgegeben haben. Dann vielleicht eine Forschungsreise zu leerstehenden Gebäuden schweizweit, um zu erforschen, wie die lokale Bevölkerung konstruktiv damit umgehen kann, welche Taktiken es dafür gibt. Auch planen wir diverse Spaziergänge und Erkundungen, auf die wir euch gerne mitnehmen möchten. So zum Beispiel Spaziergänge rund um die alte Zentralwäscherei in Zürich. Auch haben wir einige Online-Partizipationsprojekt im Sinne, dazu dürfen wir aber noch nichts sagen. Psst.

Serie «Zürcher Kollektive»
Immer mehr Menschen dieser Stadt schliessen sich zu einem Kollektiv zusammen. Für diese Serie wollten wir wissen: Was treibt diese Menschen an? Wie gehen sie mit Entscheidungsprozessen um? Wie haben sie, die das kulturelle Leben dieser Stadt prägen, das Jahr 2020 gemeistert? Und was ist trotz der widrigen Umstände für die kommenden Monate geplant?

1. Was ist eigentlich ein Kollektiv?
2. Urban Equipe
3. Ziegel oh Lac
4. Organ Tempel
5. Zentrum für kritisches Denken
6. Jungthaeter
7. Vo da.
8. Literatur für das, was passiert
9. F 96
10. Tempofoif

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