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Organ Tempel: «Wir übersetzen alte Rituale mit modernster Technik»

Das Kollektiv Organ Tempel ist überall zu Hause, seine Basis hat es jedoch im M.E.T.A.-Haus im Kreis 4, in dem über 50 Parteien von Kreativschaffenden arbeiten. Wir haben dem Kollektiv dort einen Besuch abgestattet. Ein Gespräch über «Techno-Paganismus» und die Spurensuche nach vergessenen Kulturen.

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Mitglieder des Kollektiv Organ Tempel. Bilder: Elio Donauer

Zürich hat unzählige Kollektive – was treibt diese an, wie sind sie organisiert und wie haben sie das Jahr 2020 erlebt? Wir haben es in dieser Serie für dich herausgefunden.

Blumen, Stoffe, Gasmasken, glänzende Halsketten, neonfarbenes Wollgarn, eine blaue Leuchtröhre – das und mehr liegt auf dem Boden des «Toxi Space» verteilt, dem Haus internen Off-Space an der Zimmerlistrasse 4. Dort, im M.E.T.A.-Haus, arbeiten über 50 Parteien von Kreativschaffenden auf insgesamt 1500 Quadratmetern über vier Stockwerke verteilt. Zu bezahlbaren Mietkonditionen. Möglich gemacht haben dies unter anderem Mitglieder des Organ Tempel Kollektivs.

Es ist ein Tag im Dezember. Der Organ Tempel nutzt den Raum bereits seit einigen Tagen als sogenannte Residency und veranstaltet dort eine Produktionswoche, während der Listening-Sessions durchgeführt und neue Masken gefertigt werden. Zwischen den Lautsprechern, Synthesizern, Mikrofonen und einer elektrischen Gong in der Mitte des Raums schlängeln sich schwarze, weisse, gelbe und grüne Kabel hindurch. Darum herum sitzen die Mitglieder des Kollektivs.

Sehen konnte man dieses in Zürich seit der Gründung vor zwei Jahren während Auftritten und Ausstellungen zum Beispiel in der Roten Fabrik, am dortigen Rhizom Festival, im Umbo, Kosmos oder im Grossmünster in «The Residency» des Cabarets Voltaire. Doch auch in anderen Städten war das Kollektiv aktiv; wie zum Beispiel am grössten Hackerkongress in Europa, dem «Chaos Communication Congress» in Leipzig.

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«Techno-Paganismus»

Wer ihre Workshops und Performances besucht, den erwartet keine durchchoreographierte Show, dafür eine Art Jam, bei dem alles möglich ist und der jedes Mal anders ausfällt. «Es passiert alles vollkommen im Jetzt. Wir arbeiten experimentell und organisch, planen nicht alles von A bis Z durch und lernen dadurch auch jedes Mal etwas dazu. Zum Beispiel, wie wir am besten zusammenarbeiten und als Kollektiv funktionieren», erzählen sie.

Ihre Musik und die dazugehörige Performance beschreibt der Organ Tempel als «tief hypnotischer, psychedelischer Drone und Hexenkunst.» Man praktiziere «Techno-Paganismus» in Form eines Geflechts aus elektro-akustischen Sounds, Visuals und Tanz. Wie früher den Heiden sind auch den Organ Tempel-Mitgliedern Rituale wichtig. Während ihren Sessions beschallen sie jeweils ihre Installation, eine fünf Meter hohe Pyramide aus Kupfer, den sie ihren Tempel nennen.

An Festivals erschaffen sie Safe Spaces, in die man vom Rave nebenan eintauchen kann. «Wir wollen mehr Awareness kreieren und das auf zeitgenössische Art und Weise, weil wir finden, dass das an gewissen Orten fehlt.» Wild zu sein, zu tanzen und sich gehen zu lassen sei wichtig, doch man könne wieder lernen, auch in ruhigen Zirkeln zusammenzufinden. «Wir folgen vergessenen Kulturen und versuchen an alte, archaische Rituale anzuknüpfen und diese mit modernster Technik für den Menschen von heute zu übersetzen.»

Dazu gehört für sie alle auch das Tragen einer selbst gefertigten Maske, die ihnen Schutz und Anonymität gewährt. «Während den Auftritten können wir dadurch ganz bei uns sein, das schätzen besonders auch Künstler*innen, die bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben und Teil des Kollektivs sind.» Man spiele jeweils mit verschiedenen Figuren und Charakteren und löse dabei auch immer wieder Gendergrenzen auf. «Sobald wir die Masken tragen, lassen wir unser Ego hinter uns und verschmelzen zu einem einzigen Kollektiv, einem neuen Schwarm, der als neues Bewusstsein funktioniert.»

Tsüri.ch: Das Jahr 2020 in drei Worten?

Organ Tempel:

  1. Im Kreis drehen
  2. Go away now!!!
  3. Innenschau mit Vergrösserungsglas
  4. Wahnsinn, Purgatorium, Veränderungsinitiative

Was für Herausforderungen hat die Corona-Krise mitgebracht – und wie seid ihr damit umgegangen?

Auftritte wurden abgesagt, es verpuffte viel Energie. Wir lernten Akzeptanz und zu kämpfen, Verbindungen zu stärken anstatt Neue zu schaffen. Und wir nutzten die Zeit fürs Backoffice und interne Weiterentwicklung.

Was ist eure Message als Kollektiv?

  1. Sich wieder mit der Natur verbinden!
  2. Das Leben kann so viel freier sein als es scheint!
  3. Es ist nur eine Frage von Perspektive, Verzerrung und Hall!
  4. Kultivierung von Awareness- und Safe-Spaces für alle.
  5. Lasst uns Kapitalismus in Techno-Paganismus transformieren.
  6. Jam!
  7. Head for freedom!
  8. Das Zelebrieren des psychedelischen Daseins und der Liebe.
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Zahlt ihr euch einen Lohn aus? Wenn ja, weshalb? Wenn nein, weshalb nicht?

Ja, weil wir sehr viel Zeit und Ressourcen in das Projekt investieren und auch Miete etc. zahlen müssen.
Nein, wenn wir wenig Geld zur Verfügung haben und das Vorhandene in die Unterhaltung und Weiterentwicklung des Projekts investieren.

Waren die Stadt und ihre Bewohner*innen bislang gut zu euch? Wo haben sie euch Steine in den Weg gelegt, wo Türen geöffnet?

Wir durften in Zürich viele positive Erfahrungen machen. Zum Beispiel am Rhizom Festival oder mit dem Cabaret Voltaire, welches uns eine Residency beim Grossmünsterplatz ermöglicht hat. Doch die Aufmerksamkeitsspanne der Zürcher*innen ist gering, einige gehen lieber weiter in einen Club, anstatt sich die Zeit zu nehmen, sich auf etwas Neues einzulassen.

Was wünscht ihr euch von Zürich?

  1. Mehr Freiraum, weniger Kapitalismus, weniger Gentrifizierung.
  2. Diese einladende Offenheit, die einige als internationale Künstler*innen erfahren haben.
  3. Mehr Offenheit, mehr Farbe. Mehr Spirit, weniger Schein – mehr einfach Sein.

Ihr seid es, die unsere Stadt zu der machen, die sie ist. Sie beleben – kulturell, aber auch politisch. Was plant ihr für das kommende Jahr?

  1. Den gesellschaftlichen Empathie-Spiegel zu erhöhen.
  2. Regionale und saisonale Bio-Kabelsalate für das Volk.
  3. Exstatische Kabelorgien und Sinuswellen-Bäder.
  4. Bedingungsloses Grundeinkommen jetzt – für bedingungslos alle, die sich auf der Erde aufhalten. Konzern-Verantwortung!
  5. LSD ins Grundwasser.
Serie «Zürcher Kollektive»
Immer mehr Menschen dieser Stadt schliessen sich zu einem Kollektiv zusammen. Für diese Serie wollten wir wissen: Was treibt diese Menschen an? Wie gehen sie mit Entscheidungsprozessen um? Wie haben sie, die das kulturelle Leben dieser Stadt prägen, das Jahr 2020 gemeistert? Und was ist trotz der widrigen Umstände für die kommenden Monate geplant?

1. Was ist eigentlich ein Kollektiv?
2. Urban Equipe
3. Ziegel oh Lac
4. Organ Tempel
5. Zentrum für kritisches Denken
6. Jungthaeter
7. Vo da.
8. Literatur für das, was passiert
9. F 96
10. Tempofoif

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