Serie von Tramunfällen in Zürich wirft Fragen zur Verkehrssicherheit auf

Eine Woche, vier Tramunfälle und drei Todesopfer in Zürich – erneut ist die Diskussion um den Schutz der schwächsten Verkehrsteilnehmer:innen entfacht. Die aktuelle Statistik zeigt: Zwar gab es im letzten Jahr weniger Unfälle, doch die Zahl der Schwerverletzten stieg.

Der Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Initiative für eine zukunftsfähige Mobilität» hat laut der Tsüri.ch-Community gute Chancen
In Zürich verkehren Trams, Autos, Velofahrer:innen und Fussgänger:innen auf wenig Platz. (Bild: Noëmi Laux)

Gleich vier Tramunfälle ereigneten sich innerhalb von fünf Tagen auf Zürcher Strassen. Am Montag wurde in Oerlikon eine 56-jährige Frau von einem Tram erfasst und starb später im Spital. Zwei Tage später kollidierten in Stadelhofen zwei Trams, wobei eine Person verletzt wurde. Am Freitag ereigneten sich gleich zwei Unfälle: Am Abend erfasste ein Tram einen 27-jährigen Velofahrer, der dabei ums Leben kam. Nur 45 Minuten später wurde zwischen Central und Hauptbahnhof ein Fussgänger von einem Tram mehrere Meter mitgeschleift. Er verstarb noch am Unfallort.

Die Stadt kann auf Anfrage keine Angaben zur jüngsten Unfallserie geben, da «die Ermittlungen noch laufen». Sie verweist jedoch auf ihr zwei-Säulen-Prinzip, um derart schwerwiegende Unfälle zu vermeiden: Analyse der Verkehrsunfälle und Behebung von Defiziten sowie Präventionsarbeit. «Zur Förderung der Verkehrssicherheit analysiert die Stadt Zürich Unfallschwerpunkte im Strassennetz und verbessert Defizite in der Infrastruktur, die Unfälle begünstigt haben», schreibt die stellvertretende Kommunikationsleiterin Katharina Schorer des Sicherheitsdepartements auf Anfrage. 

«Europaweit ist in den Städten eine gewisse Ratlosigkeit spürbar, wenn es um diese schweren Tramunfälle geht.»

Verkehrsexperte Thomas Hug

Solche schweren Tramunfälle seien kein spezifisch Zürcher Problem, schreibt Verkehrsexperte Thomas Hug auf Anfrage. «Europaweit ist in den Städten eine gewisse Ratlosigkeit spürbar, wenn es um diese schweren Tramunfälle geht.» Dennoch drängt sich die Frage auf: War die Unfallserie der letzten Woche eine unglückliche, aber zufällige Häufung oder muss sich die Stadt der Tatsache stellen, dass sie zu wenig für die Sicherheit von Fussgänger:innen und Velofahrenden tut?

Tatsächlich zeigt ein Blick in die aktuelle Unfallstatistik der VBZ, dass die Unfälle mit Personenschaden seit 2021 stetig zunehmen. 2023 waren es insgesamt 675 Fälle, 96 mehr als im Vorjahr. Dabei handelt es sich beispielsweise um Auffahrunfälle und Unfälle mit Fussgänger:innen – aber auch um Vorfälle, bei denen sich Fahrgäste im Tram selbst verletzen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die am Mittwoch veröffentlichte Verkehrsunfallstatistik der Stadt. Demnach sank die Anzahl polizeilich gemeldeter Unfälle im letzten Jahr um etwas mehr als vier Prozent. Jedoch ist die Zahl der Schwerverletzten von 158 auf 178 deutlich gestiegen. Drei Personen verloren bei Verkehrsunfällen ihr Leben.

«Deuten nicht auf strukturelle Fehler hin»

Die Stadt verfolgt verschiedene Ansätze, um die Sicherheit der nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmer:innen zu verbessern. So wurde bereits mit dem Design von Fahrzeugen experimentiert, um die Unfallschwere zu reduzieren. Zudem wurden in Zürich an neuralgischen Stellen wie Fussgängerstreifen Piktogramme angebracht, die auf die Gefahr hinweisen. Für Anna Graff von der Zürcher SP reicht das nicht. Viele Kreuzungen seien nach wie vor sehr gefährlich, zudem müssten die Velowege vor allem an Tramhaltestellen ausgebaut werden. 

Dass die Bürgerlichen immer wieder versuchen, Anliegen für mehr Velosicherheit zu verhindern, stösst bei Graff auf Unverständnis. Sie schreibt auf Anfrage: «Mein Eindruck ist, dass im Gemeinderat gerade die bürgerlichen Parteien, die sonst überall im Namen der Sicherheit nach mehr Polizei rufen, bei den Velounfällen die Augen vor den Problemen verschliessen und die Einsprachen gegen mehr Velosicherheit sogar noch unterstützen». 

Auch dass die Bürgerlichen ihrer Meinung nach «auf allen Ebenen versuchen, die unbestrittenen Tempo-30-Bemühungen der Stadt, die massiv zur Velo- und Fussgängersicherheit beitragen, zu torpedieren», hält Graff für verantwortungslos. 

FDP-Gemeinderat Jehuda Spielman sieht keinen grundsätzlichen Handlungsbedarf, wie er auf Anfrage schreibt. «Nach unserem derzeitigen Kenntnisstand scheinen diese Vorfälle in dieser Häufung eher zufällig zu sein und deuten nicht auf strukturelle Fehler in der Stadtplanung hin.» Er hält jedoch fest, dass die genauen Ursachen der letzten Unfallserie noch genauer analysiert werden müssten, um konkrete Schlussfolgerungen über Massnahmen ziehen zu können.

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Velofahrer:innen leben in Zürich gefährlich – 2023 erreicht die Anzahl Unfälle mit Schwerverletzten einen neuen Höchststand. (Bild: Noëmi Laux)

In der Schweiz ist seit Anfang 2023 das Veloweggesetz in Kraft, das den quantitativen Ausbau und die qualitative Verbesserung der Infrastruktur für den Veloverkehr vorsieht. Dabei ist die Diskussion um die Sicherheit im Stadtverkehr nicht neu. Ende 2022 erschütterten zwei tödliche Unfälle die Stadt. Im Oktober 2022 wurde eine 25-jährige Frau auf einer Kreuzung beim Lochergut von einem abbiegenden Betonmischer erfasst und getötet. Nur drei Monate später wurde ein fünfjähriger Knabe auf dem Escher-Wyss-Platz von einem Auto angefahren und tödlich verletzt.

Tempo 30 als möglicher Lösungsansatz

Im Dezember letzten Jahres hat der Stadtrat eine Temporeduktion rund um den Escher-Wyss-Platz beschlossen. Tempo 30 sei eine gute Sofortmassnahme, um weitere Todesfälle zu verhindern, sagt Verkehrsexperte Thomas Hug – «aber wir können derzeit auch beobachten, wie die Politik auf kantonaler und nationaler Ebene genau solche einfachen Lösungen verhindern will», fügt er an und nennt ein Beispiel: Mit einer baulichen Sofortmassnahme habe die Stadt kürzlich die Situation für den Fuss- und Veloverkehr an der Hardturmstrasse «verschlimmbessert», indem sie die Veloführung von einem abgesetzten Zweirichtungsweg in einen markierten Einrichtungsweg umgewandelt habe. «Eine Veloführung stadtauswärts fehlt nun völlig.» Da die Strasse zu gefährlich sei, würden nun viele Leute auf dem Trottoir fahren, was auch nicht im Sinne der Fussgänger:innen sei.

Trotz der Bemühungen der Stadt sitzen die Fussgänger:innen und Velofahrer:innen in Zürich in puncto Sicherheit am kürzeren Hebel. Dabei hat sich der Stadtrat bereits im November 2018 mit «Sicher Velofahren» als einen von sechs Strategie-Schwerpunkten zum Ziel gesetzt, die Sicherheit im Langsamverkehr zu erhöhen. Mit gezielten Massnahmen und Projekten sollen Velounfälle verhindert werden. Im Vordergrund stehen Anpassungen der Signalisation und Markierung sowie, wo nötig, bauliche Massnahmen. Die Stadt verweist hierbei auf «eine Reihe von Massnahmen zugunsten der Velosicherheit», die im letzten Jahr umgesetzt wurden. Konkret nennt sie Sofortmassnahmen, wie Roteinfärbungen des Belags, Veloampeln mit Vorstart, Neuaufteilung von Strassen zugunsten eines Velostreifens, Randsteinabsenkungen und die Umsetzung der ersten Velorouten.

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