Zürcher Pensionskassen investieren klimaschädlich – trotz anderer Versprechen
Mit über 60 Milliarden Franken gehören die Pensionskassen von Kanton und Stadt Zürich zu den Grossen des Landes. Gehen sie mit diesen Summen auch verantwortungsvoll um? Eine glaubwürdige Klimastrategie sieht anders aus.
Leander Diener ist Gymilehrer in Zürich. Wie alle Kantonsangestellten zahlt er jeden Monat einen Teil seines Lohns an die BVK, die berufliche Vorsorge des Kantons Zürich. Diener erhält seine Rente frühestens in drei Jahrzehnten. Bis dahin soll die BVK «sein Erspartes» nicht nur sicher, sondern auch nachhaltig anlegen. Damit er dann eine Welt vorfinde, so Diener, in der er seine Pensionierung auch geniessen könne.
Besonders Sorge bereitet ihm die Klimaerhitzung. Mit 39 Milliarden Franken böte die Finanzmacht seiner Pensionskasse hier Möglichkeiten. Er will deshalb wissen: «Kommt die BVK dieser Verantwortung nach?» Die BVK verspricht auf ihrer Webseite Grosses: «Alle wollen nachhaltig sein. Die BVK ist es.» Das lässt sich jedoch nicht nachvollziehen. Auf Anfrage will die Pensionskasse ihre Investitionen nicht offenlegen – trotz Gesuch per Öffentlichkeitsgesetz. Dieses fördert die Transparenz der Verwaltung, indem Behörden sowie Unternehmen in ihrem Auftrag amtliche Dokumente aushändigen müssen.
Um die Renten ihrer Versicherten zu sichern, investieren Pensionskassen Milliarden in Immobilien oder Energieunternehmen. Obwohl Pensionskassen behaupten, nachhaltig zu sein, ist unklar, wie sie ihr Geld anlegen.
Eine Recherche vom WAV Recherchekollektiv und CORRECTIV in der Schweiz zeigt: Zürcher Pensionskassen investieren in die weltweit grössten Fracking-Unternehmen oder beharren weiterhin auf völlige Intransparenz.
1000 Franken pro Versicherte:r für Fracking
Während die BVK keine konkrete Antwort auf die Frage von Gymilehrer Diener liefert, liegen die Detail-Investitionen des anderen öffentlichen Schwergewichts im Kanton Zürich nach Anfrage zum ersten Mal vor. Die Pensionskasse der Stadt Zürich (PKZH) verwaltet rund 21 Milliarden Franken. Fast zehn Milliarden Franken in Aktien und Obligationen, sauber aufgeschlüsselt nach den investierten Unternehmen. Eine Auswertung der Investitionen zeigt, dass kein Geld in Kohleunternehmen fliesst. Auf Rückfrage stellt die PKZH klar, dass sie jegliche Kohleförderer ausschliesse. Im Öl- und Gassektor sieht es anders aus: Über 40 Millionen Franken investiert die PKZH beispielsweise in die fünf der grössten Fracking-Unternehmen der Welt. 1000 Franken macht das pro Versicherte:r.
Von vielen dieser Fracking-Giganten hält die Stadtzürcher Pensionskasse nicht nur Aktien, sondern hat in den vergangenen Jahren umfangreiche Obligationen, also Schuldpapiere, gekauft. So etwa 2022 im Wert von über einer halben Million Franken von Conoco Phillips, dem weltgrössten Fracking-Unternehmen gemäss der NGO Urgewald. Diese Schuldscheine laufen bis 2062. Das Geld darf Conoco für sämtliche Firmenaktivitäten nutzen, also auch um weiter nach Öl und Gas zu bohren.
Jedes Jahr gibt Conoco Phillips laut Urgewald über eine Milliarde Franken für die Erschliessung neuer fossiler Ressourcen aus. Damit macht der Konzern fast den gesamten Umsatz und hat weder für die nächsten Jahrzehnte noch für 2062 glaubhafte Klimaziele, wie der Investor:innen-Zusammenschluss Climate Action 100+ festhält. Auf Anfrage schreibt Greenpeace Schweiz, dass solche «ungebundenen Investitionen den Druck auf Energieunternehmen untergraben, ihre Geschäftsmodelle konsequent an den Pariser Klimazielen auszurichten.»
Viele der grossen Öl- und Gaskonzerne, in die die PKZH investiert, gehören laut dem Plastic Waste Maker Index auch zu den weltweit grössten Plastikproduzenten. So Exxon Mobil, der grösste Einweg-Plastikproduzent der Erde oder die staatlich kontrollierte China Petroleum & Chemical Corporation, die knapp hinter Exxon Mobil am zweitmeisten Plastik herstellt.
Auf Investitionen in Öl- und Gasgiganten angesprochen, schreibt die Stadtzürcher Pensionskasse, dass sie weiterhin in diese investiere. Gemessen an ihrem Vermögen jedoch deutlich untergewichte. Sie investiert also weniger, als es der Markt vorgibt. Mit ihrem Ausschluss von Kohle, der Publikation ihrer Investitionen, der Untergewichtung von Öl- und Gasunternehmen scheint die PKZH bemüht. Trotzdem investiert sie weiterhin enorme Summen in Unternehmen, die die Klimaerhitzung befeuern.
PKZH als Vorreiterin, BVK mit abenteuerlichen Ausreden
Als eine der ersten Kassen hat die PKZH ihre Detailinvestitionen dem WAV Recherchekollektiv und CORRECTIV in der Schweiz in grossen Teilen zugeschickt. Sie gewährt Einsicht in sämtliche Aktien- und Obligationen-Investitionen, was rund die Hälfte des Portfolios ausmacht. Der Rest besteht aus Immobilien sowie alternativen Anlagen. Letzteres fasst verschiedene unüblichere Investitionen zusammen, wie Beteiligungen an nicht-börsennotierten Unternehmen. Darin gewährte die PKZH keinen Einblick.
Die Investitionen der BVK dagegen bleiben intransparent. Zwar führt sie in ihrem Geschäftsbericht ein Liegenschaftsverzeichnis, doch darin fehlen Wertangaben. Sämtliche anderen Investitionsangaben verweigert sie gar gänzlich. Sie argumentiert, dass sie als privat-rechtliches Unternehmen nicht dem Öffentlichkeitsprinzip unterstehe. Das ist fraglich. So hält das entsprechende Zürcher Gesetz (IDG) fest, dass alle «Organisationen und Personen des öffentlichen und privaten Rechts» darunter fallen, «soweit sie mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben betraut sind.»
Inakzeptabel findet das Tobias Langenegger, SP-Co-Fraktionspräsident im Kantonsrat Zürich. Dass die BVK heute ein privat-rechtliches Unternehmen sei, gehe schliesslich auf einen der grössten Korruptionsskandale der jüngeren Schweizer Geschichte zurück. Millionenbeträge hätten BVK-Anlagemanager in den Nullerjahren veruntreut und Schmiergelder kassiert. Den Schaden musste die Öffentlichkeit bezahlen. «Umso mehr müsste die BVK gegenüber der Öffentlichkeit um Transparenz bemüht sein,» so Langenegger.
Profit vor Verkaufen
Die verfügbaren Dokumente deuten aber darauf hin, dass sie sogar mehr als ihr Stadtzürcher Pendant in Öl- und Gasunternehmen investiert. Im Geschäftsbericht hält die BVK fest, dass diese rund 10 Prozent ihres Aktienportfolios ausmachen. Das entspricht etwa dem, was der Markt vorgibt. Ein weiteres Prozent des Aktienportfolios geht zudem an Kohleunternehmen.
Auf Anfrage verweist die BVK unter anderem auf die Nachhaltigkeitsberichte auf ihrer Webseite. Dort hält sie fest, Verantwortung heisse nicht einfach, Investitionen in schädliche Firmen zu verkaufen, selbst, wenn der Anleger unzufrieden ist. Es bedinge auch, diese Unternehmen positiv zu beeinflussen. Ähnlich argumentiert die Stadtzürcher Pensionskasse: Gerade Erdölfirmen müssten ihr Geschäftsmodell ändern. Ein anhaltender Dialog erscheine deshalb «erfolgsversprechender als ein Ausschluss».
Für diesen Dialog gibt die PKZH jährlich 300'000 Franken aus, wie sie mitteilt. Gering wirken diese Ausgaben im Vergleich zu den Gewinnen, die sie aus Öl- und Gasinvestitionen zieht. Alleine mit den fünf grössten Fracking-Unternehmen hat die PKZH im letzten Jahr geschätzt über eine Million verdient.
«Solche Investitionen unterstützen das Fortbestehen der fossilen Geschäftsmodelle.»
Greenpeace
Auf eine Erhöhung der Nachhaltigkeits-Ausgaben angesprochen, winkt die PKZH ab. Sie schreibt, dass eine Verstärkung des Dialogs mit diesen Firmen kaum möglich sei und der nächste Schritt eher ein Verkauf wäre. Das will sie zurzeit nicht.
Laut Greenpeace Schweiz seien Unternehmen wie Conoco Phillips oder Exxon Mobil, die heute derart umfangreich neue fossile Ressourcen erschlössen, aber kaum zu beeinflussen. Anders als die beiden Zürcher Pensionskassen verlangt die Umweltorganisation als logische Konsequenz den Verkauf dieser Investitionen. Diese Unternehmen würden kaum Bereitschaft zeigen, auf Aktionärsanträge zugunsten von Klimaschutz einzugehen. Greenpeace führt aus: «Exxon Mobil ging in diesem Jahr sogar so weit, seine eigenen Investor:innen gerichtlich zu verklagen.» Somit hätten sie verhindern wollen, dass ein Klimaschutzantrag bei der jährlichen Aktionärs-Versammlung zur Abstimmung gebracht werde.
Noch kritischer betrachtet Greenpeace Schweiz die Argumentation der beiden Zürcher Pensionskassen bei Investitionen in Schuldpapiere. Die Öl- und Gasunternehmen kämen so an frisches Kapital, während die Einflussmöglichkeiten noch geringer seien. «Solche Investitionen unterstützen das Fortbestehen der fossilen Geschäftsmodelle.»
Die Genfer Pensionskasse geht einen anderen Weg
Anders als die beiden Zürcher Pensionskassen agiert jene des Kantons Genf. Mit einem Vermögen von 26 Milliarden Franken gehört auch sie zu den grössten der Schweiz. Seit 2022 knüpft sie Investitionen in Energieunternehmen an Bedingungen. So mussten sie Ende 2023 eine globale Erhitzung von maximal zwei Grad unterstützen, andernfalls verkaufte die Genfer Pensionskasse deren Aktien und Schuldpapiere. Korrigieren die Unternehmen hingegen ihren Kurs, investiert sie wieder. Dies hatte zur Folge, dass sie aktuell in kein einziges Unternehmen der fossilen Energie investiert, wie sie in ihrem Nachhaltigkeitsbericht festhält.
Dass das auch finanziell aufgeht, bestätigt der auf nachhaltige Anlagen spezialisierte Vermögensverwalter Robeco mit Sitz in Zürich. Ein Sprecher schreibt, dass ein solcher Ausschluss von Unternehmen der fossilen Industrie bei hohen Energiepreisen kurz- und mittelfristig zwar zu Verlusten führen könne, sich langfristig aber neutral auf die zu erwartenden Renditen auszuwirken scheine. Eine Studie des «Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA)» kommt gar zum Schluss, dass sich «in den letzten zehn Jahren der Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle als erfolgreiche Finanzstrategie erwiesen hat.»
Lehrer Diener bleibt irritiert zurück. Warum behauptet seine Pensionskasse, Unternehmen beeinflussen zu können, obwohl wenig darauf hindeutet? Besonders stutzig machen ihn Investitionen in Unternehmen wie die China Petroleum & Chemical Corporation, in die wohl auch seine Pensionskasse investiert. Darauf angesprochen, fragt Diener: «Wie genau soll dieser Plastikkonzern beeinflusst werden, der zu mehr als der Hälfte dem chinesischen Staat gehört?»
Transparenz als erster Schritt
SP-Co-Fraktionspräsident Langenegger verweist auf das Klimaziel des Kantons Zürich. Dieses strebt an, Netto-Null-Treibhausgasemissionen bis 2040 zu erreichen. Langenegger sagt: «Als Pensionskasse der kantonalen Angestellten ist die BVK moralisch verpflichtet, sich an die klimapolitischen Ziele des Kantons Zürich zu halten.» Alles andere sei ebenso absurd wie Investitionen in Energieunternehmen, die komplett andere Klimaziele verfolgen würden.
Die Klimastrategie der beiden grossen Zürcher Pensionskassen scheint sich in Widersprüchen zu verfangen. Gymnasiallehrer Diener ärgert die Intransparenz besonders. «Ich lehre meinen Schüler:innen, Dinge zu hinterfragen und kritische Fragen zu stellen. Ich lehre ihnen, faktenbasiert und gemeinsam Lösungen zu suchen.» Wenn dazu aber die grundlegenden Informationen fehlen würden, sei das nicht möglich. Es brauche eine öffentliche Diskussion darüber, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen und wer welchen Beitrag zu leisten hat. Die langfristige Ausrichtung von Pensionskassen, gemischt mit ihrer enormen Finanzmacht, böten hier eine einmalige Gelegenheit.
Diese Recherche wurde unterstützt durch «investigativ.ch: Recherche- Fonds der Gottlieb und Hans Vogt Stiftung»
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