Edi’s Weinstube: «Wenn kein Wunder passiert, müssen wir bald schliessen»
Edi’s Weinstube im Zürcher Niederdorf steckt in der Krise. Nach über 20 Jahren steht das Kultlokal mit erotischer Kunst und Billigwein vor dem Aus – die Einnahmen brechen weiter ein.
Am Montag kurz nach 14 Uhr sitzen die ersten Stammgäste am Tresen. Den Namen Edi’s Weinstube nehmen sie ernst: Sie trinken ein Glas Wein und plaudern wie alte Freunde in der eigenen Wohnstube – einer Stube, in der überall an den Wänden Bilder von nackten Frauen hängen. Die pornografische Kunst gehört zum Lokal wie der billige Wein. Für die Stammgäste wäre die Schliessung ein harter Verlust.
Seit der Pandemie kämpft das Lokal mit massiven Einbussen. Zeitweise seien die Umsätze um bis zu 30 Prozent eingebrochen, erzählt Geschäftsführerin Zoë Stähli. Zusammen mit Caroline Stirnemann führt Stähli das Lokal.
Dass die Einnahmen in diesem Jahr nochmals um ein Viertel zurückgehen würden, haben sie nicht erwartet. Die Gründe seien vielfältig: Junge Leute gingen seltener aus, für alles brauche es eine Bewilligung, und generell sei «alles teurer geworden», klagt Stähli.
Zur Identität der Weinstube gehören die tiefen Getränkepreise. Den Hauswein gibt es für 4 Franken pro Deziliter, die Flasche kostet «über die Gasse» einheitlich 9.90 Franken. «Hier kann man sich auch mal einen Schaumwein fürs Date leisten», meint Stähli. Doch mit den fehlenden Gästen gehe die Rechnung nicht mehr auf. «Wenn kein Wunder passiert, müssen wir wahrscheinlich bald schliessen.»
«Museum of Porn in Art»
Edi’s Weinstube ist nicht nur Bar, sondern auch Galerie: Unter dem Label «Museum of Porn in Art» werden hier regelmässig Werke internationaler Künstler:innen gezeigt.
Viele stammen aus einer eigenen erotischen Sammlung, die seit Jahren kontinuierlich wächst. «Galerien gibt es wie Sand am Meer – aber überall wird zensiert», meint Stähli. In der Weinstube sei das anders: Hier finden Performances, Shows und Ausstellungen statt, die explizite Kunst zeigen. Einen vergleichbaren Ort gebe es in Zürich nicht.
Unterirdischer Gang zum Pornokino
Als ihr Vater Edouard «Edi» Stöckli vor 21 Jahren die Idee hatte, die Weinstube zu eröffnen, gab es im Niederdorf noch keine Kioske, Spätis oder Migrolinos. Aus dem Lager des legendären Pornokinos Stüssihof verkauften sie Wein zum Einheitspreis – so erfolgreich, dass bald eine Bar eingebaut wurde.
Die Bar hatte aber auch noch eine zweite Funktion. Über einen unterirdischen Gang konnten Gäste diskret von der Weinstube zum Pornokino gelangen. Denn das Geschäft mit den Pornofilmen wurde immer schwieriger.
Das Kino Stüssihof ist heute längst Geschichte. Seit über zehn Jahren laufen dort keine Pornos mehr. Zwischendurch wurden Kinder- und Schweizer Filme gezeigt. Heute sind die Kinosäle noch für Privatevents oder Pop-ups zu mieten. Doch die alte Klientel hat sich in der Weinstube gehalten. «Wir sind keine Szenebar – jeder kann hierherkommen», meint Stähli. Von der Strassenprostituierten bis zum Polizisten finde hier jeder Platz.
Für viele Stammgäste und für die Betreiber:innen ist die Weinstube mehr als ein «Chnelle». Das Lokal und sein Publikum erinnern an ein Niederdorf, das immer mehr verschwindet. Ein Quartier, in dem einst Geld für Frauen und Alkohol verprasst wurde, wird zunehmend zum Raclette-Stübli für Tourist:innen. «Alles gleicht hier immer mehr Disneyland», meint Stähli.
Ganz aufgegeben wollen sie jedoch noch nicht. Sie hätten schon manch kreative Ideen gehabt.
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Yann hat an der Universität Zürich einen Master in Germanistik, Sozialwissenschaften und Philosophie abgeschlossen. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er bei 20Minuten, Tsüri.ch und der SRF Rundschau. Beim Think & Do Tank Dezentrum war Yann als wissenschaftlicher Mitarbeiter und in der Kommunikationsleitung tätig. Seit 2025 ist er Teil der Tsüri-Redaktion. Nebenher ist er als Freelancer im Dynamo Zürich und bei Dachsbau Sounds unterwegs.