Zürcher Bauarbeiter:innen rufen zur Demo auf
Am Samstag protestieren hunderte Bauarbeiter:innen für bezahlte Reisezeit, mehr Pausen und besseren Lohn. Einer von ihnen ist der Strassenbauer Emanuel Trüeb.
Die Bagger stehen still, der Presslufthammer ruht. Auf einer Baustelle im Kreis 8 ist Mittagspause. Doch am Samstag wird es alles andere als ruhig: Dann zieht eine Protestwelle aus orangen Schutzwesten durch die Stadt. Bauarbeiter:innen aus der ganzen Schweiz demonstrieren für bessere Arbeitsbedingungen. Einer von ihnen ist Emanuel Trüeb.
Trüeb arbeitet seit zehn Jahren als Bauarbeiter im Tiefbau. Er verlegt Rohre, asphaltiert Strassen, setzt Schächte. Seine anfängliche Begeisterung für den Beruf trifft täglich auf die harte Realität. «Wir sind anscheinend die, die nur Lärm machen, rauchen und Frauen nachschauen», sagt er. Dabei geht es ihm um weit mehr: Die Arbeit auf dem Bau sei körperlich anstrengend, gefährlich und oft ungerecht entlohnt.
«Das Einhalten der Termine hat absolute Priorität. Wie es den Bauarbeiter:innen geht, interessiert niemanden.»
Sheqir Berisha, Teamleiter Bauteam der Gewerkschaft Unia
Hintergrund der Demo ist der Landesmantelvertrag (LMV), der Löhne und Arbeitsbedingungen im Baugewerbe regelt. Ende 2025 läuft der Vertrag aus. Die Verhandlungen über eine Neuauflage laufen und die Arbeitnehmer:innen wollen mitreden.
«Wie es den Bauarbeiter:innen geht, interessiert niemanden»
In den letzten Jahren habe sich viel verändert «und nicht im Positiven», sagt Trüeb. Als er seine Lehre begann, war er mit rund zwölf anderen Lernenden unterwegs. Dieses Jahr sind es gerade mal zwei. «Eigentlich wäre es eine schöne Arbeit», meint er. Doch für junge Menschen sei der Beruf kaum noch attraktiv. Das führt ihm zufolge dazu, dass mit weniger Fachkräften meist die gleichen, wenn nicht sogar bessere Leistungen erzielt werden müssen.
«Das Einhalten der Termine hat dabei absolute Priorität. Wie es den Bauarbeiter:innen geht, interessiert niemanden», kritisiert Trüeb. Auf Schlechtwetter oder extreme Hitze werde keine Rücksicht genommen. Unter anderem, weil «es keine gesetzliche Regelung gibt, ab wann es zu kalt, zu heiss oder zu stürmisch ist, um auf der Baustelle zu arbeiten», erklärt Sheqir Berisha, Teamleiter Bauteam der Gewerkschaft Unia. Die Verantwortung liege beim Bauleiter und dieser stehe ebenfalls unter Zeitdruck.
Zwar sei die Planung oft alles bis ins letzte Detail ausgerechnet, doch der Faktor Mensch gerate dabei aus dem Blick, kritisiert Berisha. Aspekte wie krankheitsbedingte Ausfälle, Kommunikation im Team, fehlende Erfahrung, weil zunehmend mit ungelernten Arbeitskräften gearbeitet wird oder schlicht die Motivation der Arbeiter:innen wird in diesen Berechnungen kaum berücksichtigt.
Auch Emanuel Trüeb kennt das: «Motivation macht 50 Prozent der Leistung aus. Wer das ganze Wochenende im strömenden Regen geschuftet hat, erscheint am Montagmorgen kaum mit einem Lächeln im Gesicht.»
Viele seien körperlich und psychisch ausgelaugt. Ein Privatleben? «Gibt es kaum. Wir sind für unsere Chefs immer erreichbar», sagt der Bauarbeiter. Früher hätten Vorgesetzte oft selbst einmal auf dem Bau gestanden, heute fehle dieses Verständnis. «Manche wissen nicht, was es bedeutet, Strassen zu bauen, trotzdem planen sie unsere Tage.»
Bezahlte Reisezeit, mehr Pausen, besserer Lohn
Ein zentraler Streitpunkt: Reisezeiten. Aktuell gilt erst eine Reisezeit von über 30 Minuten als Arbeit. Muss morgens auf dem Weg noch Material geholt oder aufgeladen werden, passiert das unbezahlt, obwohl der Arbeitstag faktisch längst begonnen hat. «Oft sind wir an einem normalen Arbeitstag zehn bis dreizehn Stunden unterwegs», sagt Trüeb. Bezahlt werden aber nur neun – inklusive Mittagspause.
Gleichzeitig sind die Löhne seit zehn Jahren kaum gestiegen – trotz Inflation. Heisst: «Die Häuser, die sie bauen, können sich die Bauarbeiter:innen selbst nie leisten», sagt Berisha. Dabei würden Bauarbeiter:innen eine tragende Rolle in der Gesellschaft spielen. «Ohne uns gäbe es keine Strassen, kein Wasser, keinen Strom. Aber die Wertschätzung ist gleich null», sagt Emanuel Trüeb.
Gerade ausländische Arbeiter:innen kennen ihre Rechte in der Schweiz meistens nicht oder trauen sich nicht, diese einzufordern. Einige fürchten, etwas falsch zu machen oder ihren Job zu verlieren – auch beim Thema Streik. Trüeb versucht, sie zu motivieren: «Wir müssen gemeinsam auftreten und für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen.»
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Ausbildung als Polygrafin EFZ an der Schule für Gestaltung in Bern und aktuelle Studentin Kommunikation mit Vertiefung in Journalismus an der ZHAW Winterthur. Einstieg in den Journalismus als Abenddienstmitarbeiterin am Newsdesk vom Tages-Anzeiger, als Praktikantin bei Monopol in Berlin und als freie Autorin beim Winterthurer Kulturmagazin Coucou. Seit März 2025 als Praktikantin bei Tsüri.ch