«Wie wir mit Namen umgehen, ist von rassistischen Denkmustern geprägt»

Wie wir heissen beeinflusst, wie wir von der hiesigen Bevölkerung behandelt werden. So wird unsere Kolumnistin Özge Eren aufgrund ihres Namens immer wieder diskriminiert. Weshalb gerade ein Event wie die Fussball EM dabei eine Rolle spielt.

Kolumne Mandy
(Quelle: Zana Selimi)

Die Fussball-Europameisterschaft (EM) der Männer ist in vollem Gange. Neben dem Spielfeld wird dieses Jahr, wie so oft bei der Ausführung des Turniers, ein Thema heiss diskutiert: Die Aussprache von Spielernamen. Kürzlich hat die Union der europäischen Fussballverbände (UEFA) auf YouTube ein Video mit dem Titel «EURO 2024 Player Names' Pronunciations ft. KVARATSKHELIA & SZOBOSZLAI» hochgeladen.

Falls du gerade ratlos bist, wie man diese Namen korrekt aussprechen sollte, kann ich dir den Beitrag sehr empfehlen. Besonders in Erinnerung bleibt mir die letzte Szene mit dem georgischen Fussballspieler Khvicha Kvaratskhelia. Wie geht er damit um, dass viele seinen Namen falsch aussprechen? «It’s normal because my name is a little bit difficult, so I don’t get angry but if you learn it, it’s better», sagt er verlegen und lächelt.  

«Der Vergleich von kosovarischen Namen mit westlichen Namen ist problematisch.»

Özge Eren

Auch Granit Xhaka teilt der Öffentlichkeit in besagtem Video mit, wie man seinen Namen richtig ausspricht. In der Schweiz sorgen die Namen in unserer Nationalmannschaft immer wieder für Gesprächsstoff. So behauptet das Tagblatt im November 2021, dass die Aussprache von Fussballernamen bei weitem nicht nur im Fall von Nationalspielern mit Wurzeln im Kosovo herausfordernd sei. Als Beweis nennt die Zeitung den Namen von Jérémy Guillemenot, der damals für den FC St.Gallen spielte.

Meiner Meinung nach ist der Vergleich von kosovarischen Namen mit westlichen Namen aber problematisch. Dabei wird nämlich die strukturelle Ebene ausgeblendet.

Namen entscheiden über Erfolge

Meine ersten negativen Erinnerungen im Zusammenhang mit meinem Namen reichen bis ins Kindergartenalter zurück. Mal wurde mein Vorname und Nachname verwechselt, mal kam es zu Missverständnissen bezüglich meines biologischen Geschlechts. Wegen dieser Erfahrungen habe ich mich schon früh mit Rassismus auseinandergesetzt. Insbesondere mit der Diskriminierung aufgrund von Namen.

Meine Erkenntnis dabei: Diese Benachteiligung ist strukturell bedingt. Sie betrifft also nicht nur mich, sondern praktisch alle Menschen, die keinen typisch schweizerischen Namen tragen. Und das ist wissenschaftlich belegt.  

Eine Studie aus Mannheim zeigt beispielsweise, dass Grundschulkinder mit ausländischen Wurzeln im Fach Deutsch von angehenden Lehrkräften schlechter benotet werden – bei gleicher Leistung. Doch dies ist bei weitem nicht die einzige Untersuchung, die systematische Diskriminierung aufgrund von Namen nachweisen kann. 

Im Jahr 2014 hat die Universität Bern zusammen mit dem National Coalition Building Institute Schweiz (NCBI), beweisen können, dass Menschen mit ausländischen Namen weniger häufig zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen werden als Personen mit schweizerisch klingenden Namen. Obwohl sich alle Bewerber:innen mit denselben Bewerbungsunterlagen um die Wohnung bemüht haben.

Zudem steht in der Zusammenfassung des Berichtes zur Studie «Ethnische Diskriminierung auf dem Schweizer Wohnungsmarkt» von 2019 im Auftrag des Bundesamtes für Wohnungswesen (BWO) geschrieben: «Die Auswertung der Ergebnisse zeigt, dass ethnische Diskriminierung, also Ungleichbehandlung aufgrund der Herkunft, auch auf dem Schweizer Wohnungsmarkt vorkommt.»

Die Diskriminierung hört in anderen Lebensbereichen nicht auf. Auf dem Arbeitsmarkt werden gemäss einer Auswertung des Schweizerischen Forums für Migrations- und Bevölkerungsstudien (sfm) Jugendliche aus Nicht-EU-Herkunftsländern besonders stark benachteiligt. Die Zahlen stammen zugegeben aus dem Jahr 2003, doch es gibt durchaus aktuellere Studien zur strukturellen Benachteiligung im Beruf.

Die Universität Neuenburg kam 2019 zum Schluss, dass Menschen mit ausländischen Namen im Schnitt 30 Prozent mehr Bewerbungen einreichen müssen, um für ein Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Bei Namen, die auf kosovarische Wurzeln hindeuten, sind es gar 40 Prozent mehr Bewerbungen.

Ein Stück Wahrheit

Diese Erfahrung musste auch ich machen: Nach meinem Wirtschaftsstudium an der Universität Zürich hatte ich Mühe, eine Praktikumsstelle zu finden. Als mir endlich der Berufseinstieg gelang, erlebte ich unzählige rassistische Vorfälle wegen meines Namens. Ein Beispiel ist ein Video, das wir anlässlich eines neuen Produktes bei meinem ehemaligen Arbeitsort gedreht haben. Einer der ersten Kommentare darunter lautete «Özge Eren, go to Market Managerin…oder wenn Türke Unboxing mache». Das Video war in Züri-Deutsch eingesprochen und hatte nichts mit meinen türkischen Wurzeln zu tun.

«Hätte ich einen westlichen Namen, wäre das nicht passiert.»

Özge Eren

Der kurze Augenblick, als mein Name und mein damaliger Berufstitel eingeblendet wurden, schien für den Zuschauer schon Grund genug, um mich anzugreifen. Ich war schockiert, denn egal wie oft es passiert, teilweise erwischt es mich immer noch überraschend. 

Hätte ich einen westlichen Namen, bin ich mir sicher, wäre das nicht passiert. Das schliesst nicht aus, dass es nervt, wenn ein französischer Name nicht richtig ausgesprochen wird. Dass man nicht mehr jedes Mal erklären möchte, ob es Meier oder Meyer heisst. Dass man Jeannine, oder Jeanine, oder Janine am Telefon buchstabieren muss. Der entscheidende Unterschied ist aber, dass diese Erlebnisse nicht systematisch sind und keine Benachteiligung in verschiedenen Lebensbereichen mit sich ziehen.  

Blenden wir diese strukturelle Ebene in der Diskussion um Namen bei Fussballspielern aus, dann fehlt folglich ein Stück der Wahrheit: Wie wir mit Namen umgehen, wie wir diese und die Menschen, die sie tragen, werten, ist von rassistischen Denkmustern geprägt.

Weigern sich Medien, sogenannte ausländische Spielernamen richtig auszusprechen, bestärkt dies den Status Quo, indem es – unabhängig von derer Absicht – eine Message sendet: Und zwar, dass es gewisse Menschen nicht verdienen, dass wir ihre Namen und deren Aussprache korrekt lernen.

özge
(Quelle: Elio Donauer)
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