Claudia Moddelmog: «Mich nervt es, dass ich eine Melkkuh für die Eigentümer:innen bin»

In Zürich leben aktuell so viele Menschen wie zuletzt im Jahr 1963. Wir haben einige von ihnen zu Hause besucht. Claudia Moddelmog teilt ihren Balkon mit einem Vogel, wegen einer Mietzinserhöhung muss sie aber wohl bald auch eines ihrer Zimmer ausschreiben.

Claudia Moddelmog Mieter:innenserie
Auf einem der beiden Balkone von Claudia Moddelmog wachsen auch Trauben. (Bild: Ladina Cavelti)

Claudia Moddelmog vermisst die Berliner Kaltschnäuzigkeit und schätzt die nahegelegene Limmat. Vor fünfzehn Jahren kam die Historikerin der Arbeit wegen nach Zürich: Schrieb über die Habsburger im aargauischen Königsfelden und die Zerstörung der Festung auf dem Lindenhof.

Ihre Wohnung ist alt, die Hauseigentümer:innen sind Private, die laut Moddelmog nur das Nötigste machen lassen. Doch die 52-Jährige braucht keinen Luxus. Eine Herdplatte, die versagt; eine Markise, die lieber draussen bleibt; ein Lichtschalter, der einen im Dunkeln stehen lässt – Moddelmog nimmt es mit Humor. Hauptsache, sie kann noch länger in dem Haus wohnen bleiben. Gleich gegenüber werde es bald losgehen mit einer Sanierung. Dann wird sich die Pflanzenliebhaberin auf einen der beiden Balkone zurückziehen, den sie bereits zum zweiten Mal mit einer brütenden Amsel teilt.

Wo und wie wohnst du?

Im Kreis 4 in einer ruhigen Seitenstrasse beim Lochergut. Ich habe eine gut geschnittene kleine Zwei-Zimmerwohnung. Im Hof wetteifern Vögel und Studierende, die in den lauten Wohnungen an der Badenerstrasse untergekommen sind, um akustische Dominanz. Da geht es fröhlich zu und her. Vorne zur Strasse hin gewinnen die Vögel gegen alles und jede:n und ich kann vom Balkon aus sogar zwei einsame Robinien sehen. Und Parkplätze? Viele davon.

Wie hoch ist dein monatlicher Mietzins?

Die Miete ist gerade auf 1440 Franken gestiegen. Das sind etwas mehr als 40 Prozent meines Einkommens. Im nächsten Jahr wird das Geld wahrscheinlich knapper und ich werde eine Mitbewohnerin oder einen Mitbewohner suchen müssen.

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Claudia Moddelmog wuchs in Halle im Osten Deutschlands auf – ihre Kindheit in der DDR habe sie sehr stark geprägt, sagt sie. (Bild: Ladina Cavelti)

Wie bist du zu deiner Wohnung gekommen?

Ich hatte Riesenglück. Eine enge Freundin hörte von ihren Nachbarn, dass der als Nachmieter vorgesehene Freund plötzlich abgesagt hatte. Ich musste mich über Nacht entscheiden und habe schliesslich zugesagt. Die Wohnung wirkte ein wenig «oll» – mit einer Ausstattung im «Seniorenbeige» der 80er-Jahre, so bezeichnet es jedenfalls meine Mutter. Aber in den Zimmern gibt es das tolle Schweizer Parkett, breite Fensterbretter und die Wände sind tatsächlich weiss. 

Was magst du an deiner Wohnung – und was nervt?

Ich mag den Grundriss und die Nord-Südausrichtung. Ich kann gut durchlüften und habe im Sommer immer ein kühleres Zimmer nach Norden. Und ich liebe meine zwei Balkone. Im Süden wachsen Kräuter, Gurken, Kürbisse, Erdbeeren und Wein, im Norden ist mein Sommersitzplatz. Da ziehe ich Salat, Krautstiel, Minze und ein paar Blumen. Die Wohnung liegt wunderbar: lebendige Umgebung, beste ÖV-Anbindungen und eine grüne Ausflugsschneise über den Friedhof Sihlfeld bis zum Üetliberg. Ums Eck ist der Oski-Bäcker mit Sauerteigbrot, Apfelringli mit vierhörnigen Cornetti und dem besten Börek der Welt.

«Der kleine Rasenplatz im Hof ist umgeben von Parkplätzen und der Mülltonne. Da setzt sich keiner hin; da lassen manche nur heimlich ihren Hund kacken.»

Claudia Moddelmog

Mich nervt nur eines, dass ich nämlich eine Melkkuh für die Eigentümer:innen bin. Was hier irgendwann mal investiert wurde, hat sich längst amortisiert, aber solche Tatsachen berücksichtigt das Mietrecht nicht. Im Gegenteil, ich sollte mich gefälligst glücklich schätzen, so günstig zu wohnen. Als ich 2015 die Miete an den gefallenen Referenzzinssatz anpassen liess, wurden im Gegenzug die Pauschalen für Hauswart, Lift und andere Betriebskosten erhöht, sodass ich weiter auf den Rappen genau dasselbe zu zahlen hatte. Botschaft angekommen: Die nächste Zinssenkung habe ich wohlweislich nicht mehr geltend gemacht. 

Als Historikerin weiss ich, dass Menschen in den meisten Gesellschaften nach Profit gestrebt haben. Aber ich weiss auch, dass Immobilienmärkte früher ganz anders funktionierten als heute. Im Mittelalter gaben Zürcher:innen proportional zum Einkommen viel weniger Geld fürs Wohnen aus, dafür viel mehr fürs Essen und für Kleider. Und auch damals gab es eine rasante Verdichtung in Städten wie Zürich oder Basel und dauernden Zuzug. Von Armen aus dem Umland und Expert:innen aus dem Ausland.

Wie hat sich das Quartier verändert, seit du hier eingezogen bist?

Die Eckkneipe «Derby», in der früher ältere Herren mit Migrationshintergrund hockten und Karten oder Schach spielten und in der es am Wochenende manchmal Konzerte für ein gänzlich anderes Publikum gab, ist inzwischen eine angesagte Pizzeria. Ein paar Schritte weiter boomt ein Imbiss für Kebab «mit und ohne» Fleisch. Und vom Balkon aus sehe ich jetzt öfter zu, wie ein Mann mit akrobatischem Geschick E-Scooter auf seinem E-Scooter stapelt und irgendwohin fährt. Alles Zeichen von Gentrifizierung.

Gleichzeitig hat die Stadt die Fritschiwiese behutsam umgestaltet, auf dem Friedhof wird viel weniger gemäht und in der Stadtgärtnerei gibt es allerlei Experimente mit Bezug auf den Klimawandel. Es sind viele Car-Sharing-Angebote entstanden. All das ist schön, auch wenn es viel zu langsam vorangeht. Ich wüsste gern: Wie viele Alte gibt es noch? Mir scheint, weniger. Wo sind sie hin?

Claudia Moddelmog Wohnen in Zürich
«Für eine Historikerin habe ich wenig Bücher zuhause», so Moddelmog. Sie leihe die Bücher lieber aus der Bibliothek. (Bild: Ladina Cavelti)

Wie gut kennst du deine Nachbar:innen?

Mit Louis und Kathrin, mit Adam und Fabian und mit ein paar anderen plaudere ich hin und wieder. Die Amsel-Nachbarin, die sich kürzlich unter meinem Rosmarin eingenistet hatte, ist mitsamt ihrem Youngster letzte Woche ohne Dank und Gruss und Mietzinszahlung ausgeflogen. Andere Nachbar:innen kenne ich nur vom Sehen. Der kleine Rasenplatz im Hof ist umgeben von Parkplätzen und der Mülltonne. Da setzt sich keiner hin; da lassen manche nur heimlich ihren Hund kacken – mit Bereinigung danach.

Als ich 2010 mein Zimmer in Berlin gegen eins am Zürcher Röntgenplatz getauscht habe, war das anders. Da gab es zwei Familien, die fast jeden Sommerabend im Hof verbrachten, und wer Lust hatte, setzte sich dazu. Es war grossartig, so in einer fremden Stadt empfangen zu werden.

Wenn du wählen könntest: Wie und wo in Zürich würdest du am liebsten wohnen?

Zürich hat viele lebenswerte Quartiere. Mir ist wichtig, dass ich in 15-Fahrradminuten am Oberen Letten sein kann, weil dort schwimmen zu gehen, ein wichtiges Stück Lebensqualität für mich ist. Ich wohne auch gern zentrumsnah, aber das ist kein Muss.

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Keine Geschirrspülmaschine, kein Problem: Modernisiert wurde in Moddelmogs Küche schon lange nichts mehr. (Bild: Ladina Cavelti)

Clusterwohnungen stelle ich mir gut vor, aber ich höre nur von schlechten Erfahrungen damit. Auch eine Wohngemeinschaft in einem Haus mit Gemeinschaftsräumen fände ich toll, so wie in der Kalkbreite oder im Zollhaus. Aber ohne die «Balkonverbots-Ideologie», die dort herrscht und mit wirklich WG-tauglichen Grundrissen. Ein autofreies Quartier im Kreis 4 oder 5 nach dem Vorbild von «mehr als wohnen» in Oerlikon wäre ein Traum.

Das WG-Angebot für eine 52-Jährige wie mich ist aber beschränkt, weil selbst Mittdreissiger meist mit Gleichaltrigen wohnen wollen. Mit Gleichaltrigen, die vorzugsweise «aufgestellt» sind. «Aufgestellt» ist mein liebstes Schweizer Unwort und mein Alter ist auf dem WG-Markt wie die falsche Hautfarbe. Tja.

Dein ultimativer Tipp für die Wohnungssuche?

Sei besser keine Ausländerin. Habe Geld – viel davon. Oder habe Bekannte, ebenfalls viele. 

Wohnzimmer oder Balkon?

Balkon. Was für eine Frage.

Ämtliplan oder Putzpersonal?

Hä?

Mieten oder kaufen?

Ich habe nicht geerbt.

Trampelnde Kinder oder tanzende Erwachsene?

Ist mir schnurzpiepe. Wir reden darüber.

Serie «Wohnen in Zürich»

Im April 2023 lebten in Zürich 445'323 Menschen – so viele wie seit 1963 nicht mehr. Der Platz ist eng, der Bedarf nach Wohnraum hoch und die Sorge vor einer Kündigung bei vielen omnipräsent. Deshalb haben wir uns auf die Suche gemacht. Nach Städter:innen, die uns nicht nur die Tür zu ihrem Zuhause öffnen, sondern auch über ihre Zukunftsängste und Hoffnungsschimmer sprechen. Entstanden sind fünf Homestorys von Zürcher:innen, die ganz unterschiedlich mit der drohenden Wohnungsnot umgehen.

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