«Fledermäuse und Kleinsäuger sind auf Dunkelräume angewiesen»
Die Biologin Madeleine Geiger untersucht, wie sich die nächtliche Lichtverschmutzung auf Zürichs Wildtiere auswirkt. Wäre es nachts dunkler, würden alle Stadtbewohner:innen profitieren, sagt sie.
Was machen die kleinsten Stadtbewohner:innen, wenn es draussen dunkel wird?
Madeleine Geiger ist promovierte Biologin bei der unabhängigen Forschungsgemeinschaft «SWILD». Dabei untersucht sie die nächtlichen Wanderungen und den Einfluss der Lichtverschmutzung auf die Lebensqualität der Wildtiere in Zürich.
Nina Graf: Wenn Sie als Wildtier in der Stadt Zürich leben könnten, welches wären Sie?
Madeleine Geiger: (lacht) Gute Frage. Wahrscheinlich wäre ich am liebsten ein Fuchs.
Warum gerade ein Fuchs?
Von denen gibt es in Städten relativ viele und das ist bei Wildtieren in der Regel ein Zeichen dafür, dass sie gute Lebensbedingungen und vor allem genügen Nahrung vorfinden. Weniger gerne wäre ich eine Taube mit all den Spikes, die zur Abschreckung montiert sind.
Städte scheinen aus verschiedenen Gründen ein guter Ort für Wildtiere zu sein. Selbst in Metropolen wie Berlin sollen zwei Drittel aller Vogelarten leben, die als Brutvögel in Deutschland vorkommen.
Absolut. Gewisse Wildtiere wie zum Beispiel der Igel sind sogar häufiger in der Stadt als auf dem Land anzutreffen. Weil sie hier die Lebensbedingungen vorfinden, die es in ländlicheren Regionen aufgrund der intensiven Landwirtschaft nicht gibt. Es kommt auch vor, dass bedrohte Tierarten in Städten vorkommen.
Gilt das auch für Zürich?
Ja, vor rund einem Jahr konnten wir die Wasserspitzmaus am Rand von Zürich nachweisen. Diese Art ist aktuell als gefährdet eingestuft.
Dennoch sind Städte nicht primär auf ihre kleinsten Bewohner:innen ausgerichtet. In ihrem aktuellen Projekt untersuchen Sie den Einfluss der Lichtverschmutzung auf die Tierwelt.
Städte wie Zürich haben Wildtierkorridore. Diese führen durch die Stadt, damit sich die Populationen austauschen können. Gemeinsam mit der eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) schauen wir nun, wie gut diese Korridore bei Nacht funktionieren. Wie man entlang dieser Routen Dunkelkorridore schaffen kann.
Sie schauen also, wie man die Stadt nachts dunkler machen kann?
Wie man schauen kann, dass entlang dieser Routen das künstliche Licht möglichst reduziert werden kann. Wir haben uns auf Fledermäuse und Kleinsäuger, wie Spitzmäuse fokussiert. Die sind ein wertvoller Bestandteil in der Nahrungskette, sie sind aber nachtaktiv und auf Dunkelräume angewiesen. Haben sie die nicht, verlieren sie ihren Lebensraum.
Gleichzeitig bin ich als Frau alleine auf dem Nachhauseweg froh, wenn eine Strassenlaterne brennt. Müssen die Bedürfnisse der Tiere hier nicht jenen der Menschen zurückstehen?
Natürlich muss die Stadt in erster Linie für Menschen funktionieren. Aber der Raum gehört nicht nur uns. Wir tragen eine Verantwortung für die Tierwelt – auch aus ökologischen Gründen. Wenn es irgendwie geht, sollten wir also versuchen, einen Kompromiss zu finden. Deshalb beziehen wir immer die menschliche Sicht mit ein und schauen, welche Massnahmen für die Bevölkerung tragbar sind.
Wie schauen solche Massnahmen aus?
Indem beispielsweise Laternen mit Bewegungsmeldern ausgestattet werden. Oder dass man Lichtquellen anpasst, die wir für unsere Sicherheit und unser Wohlbefinden gar nicht bräuchten. Beispielsweise Kugelleuchten in Parks, die nicht den Weg, sondern auch in die Bäume in den Nachthimmel strahlen.
Haben Sie ein konkretes Beispiel in Zürich, wo künstliche Beleuchtung den Wildtieren in den Weg kommt?
Ein Beispiel ist der Schanzengraben, beim hölzernen Fussgängersteg am Wasser. Das ist ein zentrales Jagdgebiet und eine Flugroute für die Wasserfledermaus. Unter den Brücken ziehen sie ihre Jungen auf.
Unsere Messungen haben aber gezeigt, dass die Ausleuchtung des Fussgängerwegs die gesetzlichen Vorgaben um ein Vielfaches übersteigt. In solchen Fällen sollte das Licht so gedimmt werden, dass die Menschen sich weiterhin sicher fühlen und die Fledermäuse sich ungestört bewegen können.
Was für Reaktionen erhalten Sie im Kontakt mit der Stadtbevölkerung?
Das Interesse an Stadtwildtieren und die Wertschätzung für die Natur ist generell hoch. Und man merkt, dass einige Massnahmen beliebter sind als andere. Bewegungsmelder sind einfacher durchzusetzen, als dass man Strassenlaternen ganz abschaltet.
Und man muss sich bewusst sein, dass auch die Menschen davon profitieren, wenn die Städte nachts dunkler sind. Unser Schlaf-Wach-Rhythmus wird nicht gestört, was einen Einfluss auf unsere psychische und auch physische Gesundheit hat.
Worauf kann ich als Stadtbewohner:in achten, wenn ich beispielsweise Balkon einrichte?
Hinterfrage kurz, ob du ein fix installiertes Aussenlicht brauchst und wenn ja, wo dieses hinleuchtet. Dass es also gezielt auf den Sitzplatz scheint und nicht auch in die Hecke leuchtet. Ausserdem sollten sie bei der Lichtfarbe auf warme Töne achten. Das zieht weniger Insekten an und ist auch für uns Menschen gesünder.
Am Festival «Abenteuer StadtNatur» kannst du vom 21. bis 25. Mai Führungen, Kurse, Exkursionen und Erlebnisse zu Wildtieren in Zürich besuchen. Hier findest du mehr Infos.
Solltest du im Siedlungsgebiet Wildtiere beobachten, dann kannst du sie hier melden: StadtWildTiere.ch.
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Aufgewachsen am linken Zürichseeufer, Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft an den Universitäten Freiburg (CH) und Basel. Sie machte ein Praktikum beim SRF Kassensturz und begann während dem Studium als Journalistin bei der Zürichsee-Zeitung. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin untersuchte sie Innovationen im Lokaljournalismus in einem SNF-Forschungsprojekt, wechselte dann von der Forschung in die Praxis und ist seit 2021 Mitglied der Geschäftsleitung von We.Publish. Seit 2023 schreibt Nina als Redaktorin für Tsüri.ch.