Antimuslimischer Rassismus: Der Fall SRF und die anhaltende Stigmatisierung nach 9/11

Vor 24 Jahren ereignete sich 9/11. Der Anschlag wurde als Rechtfertigung für Militäreinsätze in Afghanistan und Irak herangezogen. Und er hat auch in der Schweiz antimuslimischen Rassismus befeuert. Dazu trug zuletzt auch das SRF seinen Teil bei. Ein Gastbeitrag.

SRF Gebäude Zürich
Seit 9/11 hat antimuslimischer Rassismus in der Schweiz zugenommen. Ein Beitrag in der «Late Night Switzerland»-Comedyshow des SRF schlug in die gleiche Kerbe. (Bild: Roland Fischer, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Heute jähren sich die Anschläge vom 11. September 2001, bei denen mehr als 3’000 Menschen ums Leben kamen. Die Bilder der einstürzenden Türme gingen um die Welt und prägten das kollektive Gedächtnis.

Daraufhin wurde der «Krieg gegen den Terror» ausgerufen, der zunächst zu einer Militäroffensive in Afghanistan, später auch zur Invasion des Irak führte. In den Jahren danach kam es nicht nur zu weiteren militärischen Interventionen, etwa in Libyen und Syrien, sondern auch zu schweren Anschlägen in europäischen Städten wie Madrid, London, Paris, Brüssel, Nizza und Berlin.

Erinnerung ist allerdings nie eindimensional. In einer pluralistischen Gesellschaft hat der 11. September 2001 daher unterschiedliche Bedeutungen. Für viele muslimisch gelesene Menschen in Zürich markierte das Ereignis den Beginn einer Phase, in der sie verstärkt unter Generalverdacht gestellt wurden. Auch wurde zunehmend von ihnen erwartet, sich öffentlich in Bezug auf «den Islam» zu positionieren und sich klar von «Terrorismus» zu distanzieren.

Während Muslim:innen in Europa bereits vor 9/11 häufig mit Stereotypen wie Rückständigkeit oder Gewaltbereitschaft konfrontiert waren, verstärkten sich diese Zuschreibungen nach den Anschlägen. Sie wurden vermehrt als potenzielles Sicherheitsrisiko wahrgenommen. Knapp 25 Jahre später sind Muslim:innen immer noch und zunehmend von antimuslimischem Rassismus betroffen, wie eine jüngste Studie des Bundes zeigt.

Während die stereotype Figur des «Terroristen» in der öffentlichen Wahrnehmung meist männlich geprägt ist, werden auch muslimische, insbesondere kopftuchtragende Frauen in einen problematisierenden Zusammenhang mit «Terrorismus» oder dessen Unterstützung gebracht.

Die 19-jährige SP-Politikerin und Nils Fiechter

So geschah es auch der Zürcherin Vera Çelik. Die 19-jährige SP-Jungpolitikerin und Gemeinderatskandidatin aus Zürich wurde Gegenstand der SRF-«Late Night Switzerland»-Comedyshow vom 13. April 2025.

Darin zeigte Stefan Büsser einen Videoausschnitt von ihr, mit der Bemerkung, man wisse nicht, «ob es sich bei dieser Frau um eine echte Muslimin handelt, oder wieder um den Jung-SVP-Präsidenten Nils Fiechter beim Demonstrieren». Zugleich wurde ein Bild von Fiechter als Selbstmordattentäter eingeblendet. Der «Witz» griff damit weit verbreitete Stereotype auf, indem er das Kopftuch mit Terrorismus in Verbindung brachte.

Auf den Beitrag folgten über 500 Beschwerden bei der Ombudsstelle SRG Deutschschweiz.

Diese bestätigte am 20. Mai 2025 die Kritik: Die beanstandete Sequenz der Sendung sei diskriminierend und verletze die Menschenwürde. Vera Çelik machte den Vorfall publik und suchte das Gespräch mit dem SRF, was eine breite Debatte über antimuslimischen Rassismus auslöste. In den folgenden Monaten wurden die Vorwürfe von der zuständigen Redaktion jedoch relativiert, Gespräche verzögert und Forderungen nach einer öffentlichen Aufarbeitung abgelehnt.

Auch schriftliche Interventionen der Autor:innen dieses Beitrags, die auf eine ernsthafte Aufarbeitung des Vorfalls abzielten, blieben ohne Wirkung. Vorschlägen für konkrete Massnahmen, etwa Redaktionsrichtlinien oder interne Weiterbildungen zur Vermeidung von Rassismus in Themenwahl, Sprache und Bildwahl wurden mit Nonchalance begegnet, mit dem Verweis auf bestehende Leitlinien und dem Einsatz für Diversität.

Damit verfehlten die Verantwortlichen des SRF ihre Pflicht, als öffentlich-rechtliche Institution das Diskriminierungsverbot zu achten. Die Reaktion des SRF zeigt dabei vier typische Abwehrstrategien, die bei Rassismusvorwürfen häufig angewendet werden und die Diskriminierung nicht selten verfestigen.

Strategie Nr. 1: Leugnung

Konfrontiert mit den negativen Reaktionen auf die Sendung veröffentlichte Stefan Büsser auf Instagram am 16. April 2025 eine klassische «Nicht-Entschuldigung», indem er sich verteidigte, man habe seinen Witz einfach nicht verstanden.

Im Antwortschreiben an die Autor:innen vom 4. August 2025 argumentiert SRF zudem, die Szene habe zum Ziel gehabt, die «gezeigte Interviewsituation in Verbindung mit dem Auftritt von Nils Fiechter satirisch zu hinterfragen» und verweist auf die publizistischen Leitlinien, gemäss welchen «diskriminierende Zuschreibungen» vermieden werden.

Strategie Nr. 2: Passivität

Die SP-Jungpolitikerin erhielt am 17. April 2025 die Bestätigung seitens SRF, dass der Vorfall «intern aufgearbeitet» werde. Am 8. Mai 2025 traf sie sich mit SRF. Aus dem Gespräch ergab sich, dass sich die Parteien einig waren über eine gemeinsame, öffentliche Aufarbeitung.

Çelik zog ihre Beanstandung im Gegenzug zu diesem Versprechen zurück. Danach erfolgte keinerlei Initiative seitens SRF, bis die Autor:innen dieses Beitrags SRF schriftlich kontaktierten. Im Antwortschreiben vom 4. August 2025 bestätigte SRF schliesslich, dass keine öffentliche Aufarbeitung stattfinden werde.

Strategie Nr. 3: Ablenkung

SRF zögerte in den Gesprächen mit der SP-Jungpolitikerin die konkrete Aufarbeitung immer wieder hinaus. Irgendwann teilte SRF ihr mit, die Aufarbeitung solle auf einer anderen Plattform stattfinden und die Çelik solle sich mit der Rüge der Ombudsstelle doch «zufriedengeben». Konkrete Vorschläge für eine Aufarbeitung auf einer «anderen Plattform» wurden nie gemacht.

Schliesslich zeigt auch das Antwortschreiben des SRF vom 4. August 2025, wie im Einklang mit klassischen rassistischen Abwehrmustern auf die «Absicht» verwiesen wird, was ebenfalls der Ablenkung von der inhaltlich und förmlich eindeutig rassistischen Szene dienen soll: «Es ist uns wichtig zu betonen, dass zu keinem Zeitpunkt die Absicht bestand, jemanden zu verletzen oder rassistische Stereotype zu reproduzieren.»

Weitere Ablenkungsmanöver beinhalten auch das Herunterspielen und ins Lächerliche ziehen. Laut Vera Çelik scherzte Büsser im Gespräch zwischen ihr und SRF: «Ich schulde dir noch einen Döner» als Wiedergutmachung.

Diese Aussage bedient sich wiederum rassistischer Narrative, indem sie muslimische oder migrantische Identität auf «typische» Essgewohnheiten reduziert.

SRF Gebäude Zürich
Nach dem Vorfall hatte SRF eine interne Aufarbeitung versprochen und es kam zu einem Treffen zwischen SRF, Stefan Büsser und Vera Çelik. (Bild: Megalesius, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Strategie Nr. 4: Individualisierung

Statt Rassismus als erwiesenermassen strukturelles Phänomen zu verstehen und zu behandeln, bedient sich SRF zudem typischer Prozesse der Individualisierung.

Rassismus wird auf die persönliche Sensibilität der Person zurückgeführt: «Gleichzeitig verstehen wir [...] wenn die beanstandete Sequenz aufgrund ihrer Pointe und der verwendeten Bildsprache als diskriminierend empfunden wird. Das bedauern wir sehr».

Mehr als ein Einzelfall

Der Vorfall selbst sowie die darauffolgenden Strategien der Leugnung, Passivität, Ablenkung und Individualisierung sind Ausdruck desselben strukturellen Problems. Rassistische Denkmuster – insbesondere die Assoziation zwischen Islam und Terrorismus – sind in weiten Teilen der Schweizer Gesellschaft und in öffentlichen Diskursen verankert und tragen zur Stigmatisierung und Diskriminierung muslimisch gelesener Personen bei.

Als öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der die Interessen der gesamten Bevölkerung vertreten und Diskriminierung und Rassismus nicht nur unterbinden, sondern aktiv bekämpfen muss, kommt SRF dieser Verantwortung nicht nach.

Die bewusste Vermeidung einer fundierten und öffentlichen Aufarbeitung des Vorfalls vom 13. April 2025 stellt ein klares Versäumnis dieser Pflicht dar. Eine pluralistische Schweiz, in der sich muslimisch gelesene Menschen gesehen und zugehörig fühlen sollen, kann sich Rassismus im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den wir alle mitbezahlen, nicht leisten.

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