Wieso nervt euch #metoo? Ein Gespräch zwischen Frauen und Männern

Ist #metoo Männer-Bashing? Warum denunzieren Frauen ihre Belästiger nicht öffentlich? Ist es nicht möglich, sich mit dem anderen Geschlecht einfach nett zu unterhalten, ohne falsche Signale zu senden?

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Dem Aufruf zu einer geschlechterübergreifenden Diskussionsrunde über sexuelle Belästigung bzw. den Hashtag #metoo sind vier Leute aus meinem erweiterten Freundeskreis gefolgt. Wir sind eine Runde von drei Frauen und zwei Männern im Alter von 25 bis 33 Jahren. Ich öffne eine Flasche Wein und wir erzählen reihum, weshalb wir hier sind. Anna und Larissa sprechen in ihrem Freundeskreis immer nur mit Frauen über dieses Thema und wünschen sich, mal die Männerseite zu hören. Patrick* diskutiert gerne und wurde von mir nach einer Podiumsdiskussion angesprochen. Mike fand die Idee spannend und nervt sich ein bisschen, dass seit der #metoo-Kampagne nonstop Männer-Bashing betrieben wird. Aus einer Diskussionsrunde über sexuelle Gewalt wird ein Gespräch über Geschlechterstereotypen, Erziehung, Liebe und Zivilcourage.

Was wollen Frauen mit #metoo erreichen?

Die #metoo-Beiträge haben mehrheitlich andere Frauen geliked und es ist eine rege Diskussion in den Medien entstanden. Von Männern in meinem Umfeld habe ich jedoch weder ein Statement gehört noch gelesen. «Viele Männer sind verunsichert», meint mein Bekannter Patrick*. «Sie haben Angst, dass sie, was auch immer sie sagen, als Täter angesehen werden und ihre Aussagen generell weniger Gewicht haben, als die der Frauen». Dazu würden auch Männer gehören, von denen man das nicht erwarten würde. Tsüri.ch-Redaktor Mike findet es furchtbar, «dass so viele Frauen in ihrem Leben bereits einmal belästigt wurden. Aber als ein Mann, der nie in seinem Leben eine Frau belästigt hat, geht es mir einfach echt auf den Wecker, jeden Tag von Neuem zu lesen, wie böse und gefährlich wir Männer sind.»

Wir anwesenden Frauen sind uns einig, dass irgendetwas mit unserer Gesellschaft nicht stimmt, wenn Mädchen vorbehaltlos beigebracht wird, vor Männern Angst haben zu müssen. Meine Freundin Anna wünscht sich dennoch, dass von Männern endlich anerkannt wird, dass es ein grosses Problem in unserer Gesellschaft gibt. Ein Problem, das mit Männlichkeit zu tun hat. «Es wäre schön, wenn ihr diese Tatsache akzeptieren und euch eingestehen könntet, dass ihr als Männer sowohl Teil dieses Problems, aber auch Teil von dessen Lösung seid, selbst wenn ihr weder sexistisch seid, noch jemals jemanden belästigt habt». Sie sollten es nicht persönlich nehmen und nicht gleich in eine Verteidigungshaltung verfallen, wenn Frauen die Themen Gleichberechtigung und Sexismus ansprechen. Sie sollten zuhören und die Frauen ernst nehmen. Dies würde eine wichtige Basis für alles Weitere werden.

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Ich selber war sehr erleichtert, als der Hashtag #metoo aufkam. Wie vielen anderen Frauen in meinem Umfeld ist es mir darum gegangen, aus der Opferrolle herauszukommen, zu sehen, dass ich mit diesem Problem nicht alleine bin und anzuprangern, dass in unserer Gesellschaft etwas falsch läuft. Nicht im Entferntesten dachte ich an Männer-Bashing oder daran, dass sich ein Mann bei mir für Übergriffe anderer oder pauschal für die Männerwelt entschuldigen müsse.

Geschlechterstereotypen und falsch verstandene Männlichkeit

«Männer, die sich über #metoo aufregen, fühlen sich oft deshalb angegriffen, weil sie sich über ihre Männlichkeit definieren», sagt Patrick*. Diskussionen wie #metoo brauche es, um in unserer Gesellschaft etwas zu verändern. Aber sich damit zu befassen, sei unangenehm.

Mike entgegnet: «Ich würde nicht sagen, dass ich mich primär über meine Männlichkeit definiere, aber ich glaube viele Männer haben nicht begriffen, dass ihr euch mit dieser Aktion vor allem wünscht, gehört zu werden. Aber auch wir Männer wünschen uns, gehört zu werden». Des Öfteren habe er im privaten Gespräch mit Frauen versucht, Schwierigkeiten in seinem Leben anzusprechen. Daraufhin wurde das Gespräch jeweils ganz schnell auf etwas anderes gelenkt. Das sei enttäuschend. Einerseits soll man einfühlsam sein und andererseits darf man keine Schwächen zeigen.

«Viele dieser Geschlechterstereotypen haben wir durch unsere Erziehung verinnerlicht», meint meine Bekannte Larissa und wir stimmen ihr zu. «Ich wünsche mir, dass in unserer Gesellschaft zwischen den Geschlechtern kein Unterschied mehr gemacht wird». In der Schule und in der Familie würden viele Geschlechterstereotypen reproduziert, aber gleichzeitig könnte genau dort etwas verändert werden, sage ich aufgrund meiner Erfahrungen als ehemalige Primarlehrperson. Patrick* stimmt zu. Er habe während seiner Tätigkeit als Zivilschutzleistender festgestellt, dass es den Buben an männlichen Vorbildern fehle, die nicht den gängigen Geschlechterstereotypen entsprechen.

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Wer sind die Männer, die so etwas tun?

«Viele Männer haben ein gestörtes Männerbild und wissen nicht mehr, was in der heutigen Gesellschaft von ihnen verlangt wird», sagt Patrick*. «Viele Männer sind Single und sehr verzweifelt. Dieses Bild vom frustrierten Typen, der Frauen belästigt, wäre allerdings eine zu einfache Antwort auf das Problem.

«Ich habe mich aber auch schon gefragt, welcher meiner Freunde so etwas getan haben könnte», sagt Patrick*. «Meine Mutter hat mich bereits im Alter von sieben Jahren aufgeklärt. Im Zuge dessen hat sie mir erklärt, dass wenn ein Mädchen Nein sage, das auch Nein heisse». Mike ergänzt, seine alleinerziehende Mutter habe ihm von Anfang an Respekt vor Frauen beigebracht.

Ich nehme wahr, dass Mädchen und Frauen von den Eltern oder den Medien der böse Mann in der dunklen Gasse auf dem nächtlichen Heimweg als Aggressor verkauft wird. Uns werden Massnahmen wie Selbstverteidigungskurse und Pfeffersprays empfohlen. Dabei ist es nicht so, dass die Mehrheit der Belästigungen und Vergewaltigungen durch Fremde an abgelegenen Orten begangen wird. Wie wir dem alltäglichen, unterschwelligen Sexismus sowie sexueller Belästigung am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Verkehr begegnen können, das wird in der Erziehung und in der öffentlichen Debatte oft vernachlässigt.

Patrick* versteht indes nicht, warum Frauen im Rahmen von #metoo oder in Offline-Diskussionen die Namen dieser Männer nicht nennen. «Warum prangert ihr sie nicht an?» Er wisse aus Erzählungen von einigen Männern, die sich der sexuellen Belästigung schuldig gemacht hätten. «Müsstet ihr die nicht öffentlich denunzieren, um etwas zu erreichen?», sagt Patrick*. Mike wiederum sagt, ihm würde richtiggehend schlecht, wenn er lese, wie viele junge Menschen innerhalb der Familie oder Verwandtschaft missbraucht würden. «Warum wird das totgeschwiegen?», fragt sich Mike. «Warum werden Täterinnen und Täter gedeckt?»

Hat sich in der öffentlichen Debatte etwas verändert seit #metoo?

Es wird weiterhin nicht darüber gesprochen, was wir als Gesellschaft gegen sexuelle Gewalt und Sexismus tun können. Insofern hat #metoo aus meiner Sicht bisher nicht viel verändert. Ich für meinen Teil versuche mit Männern zu sprechen, doch sie weichen meinen Fragen zu Sexismus meist aus. In solchen Situation rege ich mich dann unglaublich auf. Dabei weiss ich, dass das zu nichts führt, wenn die Thematik in einen Kampf zwischen den Geschlechtern ausartet. Denn ich finde Männer grundsätzlich toll. «Je mehr ich mich mit dem Thema auseinandersetze, umso mehr Missstände fallen mir auf. Es fällt mir manchmal wirklich schwer, nicht auf die gesamte Männerwelt wütend zu sein», fügt Anna an. Grundsätzlich sage sie fast immer etwas, wenn jemand sexistisch sei. Aber sie habe das Gefühl, die meisten Leute sagten nichts, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. So seien es immer die gleichen, die etwas sagten und die würden dann als die «mühsamen, anstrengenden, humorlosen Feminist*innen» gelten.

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«Die Wut von euch Frauen ist absolut berechtigt. Sexuelle Belästigung und Sexismus sind völlig daneben.» Er nehme den Sexismus gegenüber Frauen auch als Mann oft wahr. «Wir haben ein komplett falsches Männerbild, das dieses Verhalten bestärkt. Als Mann wird dir das Gefühl gegeben, du müsstest immer stark und laut sein». Larissa fügt an: «Deshalb wünsche ich mir nicht nur von euch, sondern auch von uns Frauen, dass wir aktiver und ehrlicher über die Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft sprechen, um mit Missverständnissen aufräumen zu können».

Wie sollen wir mit Sexismus umgehen?

Larissa war kürzlich alleine in Berlin. Ein spontanes, kurzes und auch angenehmes Gespräch mit einem Mann endete damit, dass es als Einladung für mehr verstanden wurde. Ihr Nein wurde dann erst beim dritten Mal akzeptiert. «Leider habe ich diese Erfahrung nicht zum ersten Mal gemacht», sagt Larissa. «Ich fühlte mich unwohl. Ist es denn nicht möglich, sich mit dem anderen Geschlecht einfach nett zu unterhalten, ohne falsche Signale zu senden?». Sollte lieber grundsätzlich auf eine Begegnung mit einem fremden Mann mit Ablehnung reagiert werden? «Es macht mich wütend, dass ich mir diese Fragen überhaupt stellen muss», sagt Larissa.

«Ja, viele Männer können nicht gut mit einem Nein umgehen», antwortet Patrick*. «Aber ihr müsst es Männern beibringen, indem ihr immer wieder darauf hinweist», sagt er. «Ich weiss, es ist doof, auch die Frauen in die Pflicht zu nehmen, aber ich sehe nicht, wie es sich sonst ändern sollte. Wir leben nun mal in einer patriarchalen Gesellschaft». Er sei übrigens ebenfalls nicht gefeit vor Mansplaining. Einmal habe ihn eine Freundin darauf aufmerksam gemacht und er habe sich total dafür geschämt. Seitdem achte er viel mehr darauf. «Sagt es uns», fordert er.

Was wir Frauen von euch Männern erwarten

Sie wünsche sich mehr Solidarität von Männern, sagt Anna. Dass sie aufstehen und etwas sagen, wenn sich einer daneben benimmt. «Ich wünschte mir, dass ihr euch mit uns solidarisiert, auch wenn der Betreffende ein Freund von euch ist.» Im Moment fühle sie sich von ihrem männlichen Umfeld ziemlich allein gelassen. «Es wäre wirklich schön, zu spüren, dass wir nicht alleine sind».

Ich stimme Anna zu: «Schaut nicht verstohlen weg, wenn wir uns verbal gegen einen Übergriff oder Seximus wehren! Ich wünsche mir, dass ihr zu Verbündeten werdet, wenn ihr seht, dass Ungerechtigkeit geschieht».

«Ihr habt recht, Sexismus ist sogar unter meinen linken und intellektuellen Freunden ein Problem», meint Patrick*. «Das ist ein gesellschaftliches Problem, das wir so schnell nicht lösen werden. Wenn wir genauso weitermachen wie bis jetzt, wird es noch ewig dauern, bis wir die Gleichstellung erreicht haben.

«Wir müssen alle gemeinsam arbeiten, damit sich etwas ändert», gibt Patrick* zu denken. «Immer dranbleiben und mehr solche Gespräche führen – auch in unserem Freundeskreis, und auch dann, wenn es die Leute nervt».

*Name der Redaktion bekannt.

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