«Ich bin Marta und ich streike!»

Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen leiden stärker unter der Wohnungsnot als Durchschnittsmänner. Wie genau der Feminismus mit dem Kampf um Wohnraum zusammenhängt, darum geht es in der aktuellen Kolumne von Mieten-Marta.

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Foto: zVg

Wo Quartiere aufgewertet werden, werden sie lebenswerter und sicherer. Das klingt ja erstmal gut, gerade auch für uns Martas, die in der Stadtplanung lange zu kurz kamen. Aber wer hat etwas davon? Die Antwort ist einfach: Diejenigen, die trotz Aufwertung noch wohnen bleiben können. 

Auf den offensichtlichsten Zusammenhang zwischen Feminismus und Wohnungskrise kommt ihr vermutlich selbst: Da wir
Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen, kurz FLINTA-Personen, weniger verdienen und weniger Rente bekommen, können wir uns die immer steigenden Mieten noch weniger leisten als der statistische Durchschnittsmann. Damit einher geht, dass wir eher aus unserem Zuhause und unserer Stadt verdrängt werden.

Wen trifft die Wohnungskrise am ärgsten?

Gerade kürzlich hat eine neue Studie der ETH endlich knallharte Zahlen geliefert für das, was wir aus unserer Erfahrung in der Stadt längst ahnen: Besonders betroffen von Verdrängung sind Menschen mit tiefem Einkommen, «ausländische» Bewohner:innen und Alleinerziehende. 

Also ausgerechnet diejenigen, die im Tieflohnsektor die Grundversorgung unserer Stadt sicherstellen, die unsere Häuser bauen, unsere Büros putzen oder unsere Kranken pflegen. Diejenigen, die ganz viel Care Arbeit leisten – und das auch weiterhin tun (weil deine Care Arbeit will die Stadt ja behalten, auch wenn sie dich als Bewohner:in nicht mehr will). Sie übernehmen insbesondere auch die Care Arbeit, die andere auslagern müssen, um Vollzeit arbeiten und sich die teure Wohnungen leisten zu können. Ein Teufelskreis.

Wenn wir das ganze intersektional betrachten, ist der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum nochmal schwieriger für diejenigen, die sowieso schon mehrfach diskriminiert werden – denn beispielsweise rassistische Vermietungspraktiken sind leider keine Seltenheit.

Wer Kinder hat, hat es doppelt schwer

Ich selbst habe ja keine Kinder. Und ich bin froh darüber wenn ich daran denke, wie viel mühsamer es mit Kindern ist, aus seinem Zuhause verdrängt zu werden: Betreuungspersonen verlieren ihre Support-Strukturen, ihre Kita-Plätze, ihre helfenden Nachbar:innen oder eventuell auch die Nähe zur Familie. All das muss neu gefunden und aufgebaut werden, vermutlich an einem Ort, wo das Angebot dafür dürftiger ist. Hinzu kommt: Alles, was ein Wohnungswechsel beinhaltet – von der Wohnungssuche bis zum neuen Ankommen, Einrichten und neue Nachbarschafts-Netzwerke aufbauen – ist klassische Care Arbeit. Also unbezahlter Mehraufwand für uns. 

In Städten wäre es zudem einfacher, sich die Haushalt- und Familienarbeit gleichberechtigt oder gar in alternativen Familien- und Lebensentwürfen aufzuteilen: auch dies dank der kurzen Arbeits- und Care-Wege, der besseren Kinderbetreuungsangebote, der vielfältigen Wohnformen, der grundsätzlich sozialeren, progressiveren Politik.

Alleinerziehende sind also besonders drastisch von der Wohnungskrise betroffen und alleinerziehend sind statistisch mehrheitlich «Mütter». Hand auf's Herz, das hätten wir auch ohne Statistik gewusst. Sollten wir also aus purer Wohnungsnot in einer Beziehung bleiben? Was absurd klingt, ist leider manchmal Realität. Die Leiterin eines Frauenhauses erzählte kürzlich dem Chefredaktor dieser Zeitung: Viele Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, kehren nach dem Aufenthalt im Frauenhaus wieder in den gewaltvollen Haushalt zurück, weil sie keine Wohnung finden. 

Und wenn ich dann mal alt bin?

Sorry für die vielen schlechten Nachrichten! Was also tun? Unterstützen wir uns gegenseitig. Bauen wir in unserer Nachbar:innenschaft solidarische Strukturen mit auf, um Betroffene im Widerstand zu unterstützen. Supporten wir bei Abstimmungen und Wahlen diejenigen Vorstösse und Politiker:innen, die sich für uns Mieter:innen einsetzen – wenn wir dürfen. Und streiken wir am Mittwoch! 

Achtung, zum Schluss packe ich doch noch die grossen Wörter aus: Lasst uns streiken gegen das Patriarchat, welches sich durch unseren Lebensalltag zieht in all seinen Facetten und bis hin zur Wohnungsfrage. Und gegen die Tatsache, dass die Rendite unsere Städte regiert. Wir müssen die Dinge beim Namen nennen: Das kapitalistische System, in dem wir leben, funktioniert nur, weil es auf ausbeuterischen Strukturen basiert: Dank sehr viel un- oder unterbezahlter Sorge-Arbeit können wenige ganz viel Gewinn generieren und diesen dann beispielsweise in Immobilien investieren. Durch die Aufwertung dieser Immobilien werden dann ausgerechnet diejenigen verdrängt, die diese Sorge-Arbeit leisten, auf der alles basiert. Das ist kein nachhaltiger Zustand. Das müssen wir ändern. Sehen wir uns am Mittwoch auf der Strasse?

PS: Falls du dich mehr mit feministischem Urbanismus beschäftigen willst, hier ein paar Empfehlungen:

Mieten-Marta

Hinter der Figur steckt ein Kollektiv von Mieter:innen. Diese Tsüri-Kolumne schrieben heute Anna Brückmann und Sabeth Tödtli im Namen der Mieten-Marta. Kontaktieren kann man sie via [email protected].

Die Mieten-Marta steht für das Recht auf Wohnen. Sie ist eine Figur, die sich für bezahlbaren Wohnraum in Zürich und gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung einsetzt. Auf ihrem Blog und unregelmässig auch auf Tsüri.ch veröffentlicht sie Recherchen, Analysen und manchmal auch einfach hässige Kommentare.

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