Hohe Gewerbemieten setzen Pop-up in Altstetten unter Druck
Wie schwierig es ist, in Zürich kreative Projekte voranzutreiben, zeigt ein Beispiel in Altstetten. Im Little Brick Lane soll Lifestyle und Vintage zusammenkommen, doch die Inhaberinnen finden keine Ladenfläche, die sie sich leisten können.
Mit «Vintage, Beauty, Lifestyle und Musik» beschreibt die Co-Geschäftsleiterin Stefanie Gubser das Little Brick Lane. Doch Ende Juni ist erstmal Schluss und das Pop-up in Altstetten muss sich eine neue Bleibe suchen. Denn das Kapital siege immer über die Kreativität – «das kotzt mich richtig an». Momentan zahlt Gubser für das Ladenlokal nur die Hälfte der eigentlichen Miete, weil sie sich die Kosten mit der Vormieterin teilt, deren Vertrag im Juni jedoch ausläuft. Wie es danach mit dem Little Brick Lane weitergeht, steht noch in den Sternen. Denn eine Ladenfläche zu finden, die sie sich leisten können, sei in Zürich wie die Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen.
Hier an der Baslerstrasse in einer Industriehalle soll entstehen, was Altstetten bisher fehlte: ein Treffpunkt, ein Ort zum Verweilen. Kleiderstange reiht sich an Kleiderstange. Jeansjacken, bunte T-Shirts und Schmuck füllen die riesige Industriehalle. Von der Decke baumeln Discokugeln in allen Grössen. Im hinteren Teil des Raumes steht eine Tischtennisplatte, daneben lädt ein grosser Turm aus blauen Bauklötzen zum Sitzen ein. Ihr Geschäft ist in erster Linie ein Indoor Vintage und Flohmarkt Pop-up. Hin und wieder finden verschiedene Kurse statt. Etwa ein Twerk-Workshop, ein Sextoy-Kurs oder ein High-Heel-Tanzkurs. Am Wochenende können sich Besucher:innen zudem tätowieren lassen.
Stefanie Gubser ist seit über 20 Jahren im Kreativbereich tätig. Vor 15 Jahren gründete sie das Outlet Atelier Kalk. Das Prinzip: Sie mieten Räume für vier bis sechs Wochen, die sonst leer stehen würden und betreiben ein Pop-up. Sie macht ausserdem Musik und ist an verschiedenen anderen Projekten beteiligt. Der bunte Flohmarkt ist vor allem ein Herzensprojekt von Gubser und ihrer Geschäftspartnerin Martina Wismer. Finanziell lohne sich das Pop-up noch nicht, die beiden Macherinnen querfinanzieren das Little Brick Lane mit anderen Projekten.
Mit dem Pop-up in Altstetten betritt Gubser Neuland. «Was wir in Altstetten schaffen wollen, gibt es in dieser Form in Zürich noch nicht», sagt sie. Obwohl das Projekt nach den ersten sechs Wochen noch rote Zahlen schreibt, ist sie von ihrem Konzept überzeugt: «Wir brauchen einfach noch etwas Zeit.»
14’000 Franken pro Monat
Zeit, die sie eigentlich nicht haben. Denn Ende Juni läuft der befristete Untermietvertrag aus. Gerne hätten sie den Vertrag übernommen und aus dem dreimonatigen Pop-up ein längerfristiges Projekt gemacht. Doch die volle Miete beträgt laut Gubser brutto knapp 14’000 Franken pro Monat – für ein junges Start-up kaum zu stemmen. Gubser rechnet vor: Um die Kosten zu decken, müsste der Laden einen monatlichen Umsatz von 150’000 Franken erwirtschaften. «Davon sind wir noch weit entfernt», sagt sie.
Eine Herausforderung, vor der viele Gründer:innen stehen, die etwas Neues ausprobieren wollen: «Die Fixkosten in Zürich sind einfach so hoch, dass es ohne finanzielle Unterstützung von aussen kaum geht.» Gerade für unkonventionelle Projekte, die nicht in erster Linie gewinnorientiert sind, sei es schwierig, das nötige Kapital aufzutreiben. Denn: Für Investor:innen seien Projekte wie das Little Brick Lane uninteressant, weil der wirtschaftliche Erfolg nicht an oberster Stelle stehe. Eine andere Möglichkeit, an Geld zu kommen, seien Förderungen. «Dafür sind wir wieder zu kommerziell», beschreibt Gubser das Dilemma.
Dabei sei gerade das Ausprobieren, das Querdenken zentral, um etwas Kreatives, etwas Neues zu schaffen. «Wenn du aber immer im Hinterkopf hast, dass du Gefahr läufst, die Miete oder deine Mitarbeiter:innen nicht mehr bezahlen zu können, überschattet das unsere Arbeit.» Am Ende entscheide immer das Geld. Da könne die Idee noch so innovativ sein – «das hindert viele neue Ansätze».
Tatsächlich sind die Gewerbemieten in Zürich europaweit am zweitteuersten, wie eine Studie des Fintech-Unternehmens Sumup aus dem Jahr 2019 zeigt. Dabei wurden 100 Städte auf ihre Bedingungen für Kleinunternehmen untersucht. Neben Zürich gibt es nur noch eine Stadt mit schlechteren Bedingungen: London.
Zukunft noch ungewiss
Gubser möchte mit ihrem Projekt zeigen, dass es Mut braucht, in Zürich etwas auf die Beine zu stellen und wie schwierig es ist, ein Start-up ohne Kapital so weit zu bringen, dass es profitabel wird. Dennoch halten sie und ihre Partnerin weiterhin an ihrer Idee fest, wenn auch die Zukunft des Little Brick Lane momentan noch ungewiss ist.
Wäre die Miete günstiger, würde Gubser gerne in der Halle in Altstetten bleiben. Doch alle Verhandlungsversuche mit der Liegenschaftsbesitzerin sind gescheitert. Und das, obwohl bisher keine Nachmieterin gefunden werden konnte. Der Quadratmeter kostet an der Baslerstrasse laut Ausschreibung 250 Franken netto im Monat. Die durchschnittliche Angebotsmiete im Quartier liegt gemäss Wüest und Partner bei 205 Franken.
Damit steht fest: Ende Juni ist Schluss für das Little Brick Lane in Altstetten. Das Projekt ganz aufzugeben, kommt für Gubser und ihre Geschäftspartnerin aber nicht infrage. «Wir verfolgen derzeit mehrere Ansätze, wie es weitergehen könnte», sagt sie. Man sei im Gespräch mit anderen Kreativschaffenden, die ähnliche Projekte verfolgen, um sich eventuell zusammenzuschliessen.
Gleichzeitig lägen mehrere Angebote für neue Zwischennutzungen auf dem Tisch; unter anderem eine im Niederdorf, die bis Mitte September laufen würde. Zudem arbeiten sie derzeit Konzepte aus, wie sie Geld verdienen können, planen ein Crowdfunding und überlegen sich, wie das Little Brick Lane von Mitgliedern getragen werden könnte. «Ich stelle mir zum Beispiel vor, dass unsere Mitglieder einen bestimmten Jahresbeitrag zahlen und dafür das ganze Jahr über kostenlos auf unserem Flohmarkt verkaufen können», sagt Gubser.
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