Verletzte an feministischer Demo: Sanitätskollektiv widerspricht Polizei

In Zürich trafen am 8. März feministische Forderungen auf staatliche Repression. Eine unbewilligte Demonstration endete mit Sachbeschädigungen und Vorwürfen gegen die Stadtpolizei. Während offiziell keine Verletzten registriert wurden, musste das Sanitätskollektiv Zürich Personen mit Prellungen und Platzwunden behandeln.

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An der unbewilligten Demonstration am 8. März in Zürich nahmen nach Angaben der Stadtpolizei weit über 1000 Personen teil. (Bild: Kritisches Fotografiekollektiv / CC BY-ND 2.0)

Am 8. März 2025, dem Weltfrauentag, versammelten sich in Zürich über tausend Menschen zu einer unbewilligten Demonstration. Was als friedlicher Protest begann, endete in gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Teilnehmenden und der Polizei. Diese setzte Reizgas, Schlagstöcke und Leerschüsse aus Mehrzweckwerfern ein – Massnahmen, die eigentlich nur als letztes Mittel vorgesehen sind. Laut einer Medienmitteilung des Sanitätskollektivs Zürich vom Dienstag mussten mehrere verletzte Personen behandelt werden.

Die Kundgebung, organisiert von linksautonomen Gruppierungen, startete am Paradeplatz und zog durch die Innenstadt bis zum Helvetiaplatz. Die Demonstrierenden, überwiegend Frauen, queere oder trans Personen, forderten globale Solidarität im Kampf für Frauenrechte. 

Polizei setzte Tränengas und Schlagstöcke ein

Eine Teilnehmerin, die anonym bleiben will, beschreibt die Atmosphäre auf der Demonstration schon zu Beginn als angespannt: «Die Polizeipräsenz am Paradeplatz war massiv. Der Platz war abgesperrt, und ein Grossaufgebot der Polizei, inklusive Wasserwerfer, stand bereit. Schon da hatte ich ein mulmiges Gefühl.»

Im Verlauf der Demonstration kippte die Stimmung gänzlich: Vermummte warfen Farbbeutel auf das italienische Konsulat und beschädigten weitere Gebäude entlang der Route. Die Stadtpolizei Zürich reagierte vehement.

So habe die Teilnehmerin beobachtet, wie ein Polizist zuvorderst beim Demonstrationszug auf Personen eingeprügelt habe.

Ihre Aussagen decken sich mit Videos, die seit Samstag in den sozialen Medien kursieren. Die Aufnahmen zeigen Polizist:innen, die Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzen. Besonders brisant ist ein Clip eines freien Journalisten von «Live1TV» auf X: Ein Beamter schlägt mehrfach über Transparente hinweg auf Kopfhöhe vom Demozug ein.

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Die Polizei rückte in grosser Zahl auf der Tödistrasse vor dem italienischen Konsulat an. (Bild: Kritisches Fotografiekollektiv / CC BY-ND 2.0)

«Einer der Polizisten verlor völlig die Beherrschung», erzählt die Teilnehmerin weiter. «Er musste von seinen Berufskolleg:innen zurückgehalten werden.» Auch sie selbst sei durch Tränengas kurzzeitig ausser Gefecht gesetzt worden.

Neben Tränengas und Schlagstöcken setzte die Polizei auch Leerschüsse aus Mehrzweckwerfern ein. Nebenstrassen wurden gesperrt, der öffentliche Verkehr kam teilweise zum Erliegen.

Die Teilnehmerin kritisiert das Vorgehen der Zürcher Stadtpolizei scharf: «Man kann darüber diskutieren, dass Farbflaschen geworfen wurden und die Polizei beleidigt worden ist – aber die Reaktion der Polizei steht in keinem Verhältnis zu den Sachbeschädigungen.» Der Weltfrauentag sei ein Tag, an dem Frauen für ihre Rechte kämpfen und auf Unterdrückung aufmerksam machen wollten. Stattdessen sei die Polizei mit harten Massnahmen vorgegangen. Dies habe abschreckende Wirkung gezeigt: Eine Bekannte der Teilnehmerin habe aus Angst vor solchen Einsätzen gar nicht erst am Protest teilgenommen.

«Wenn ein Mehrzweckstock eingesetzt werden muss, gibt es grundsätzlich nie schöne Bilder. Solche sieht man bei uns selten.» 

Judith Hödl, Mediensprecherin Stadtpolizei Zürich

Sachschaden von mehreren tausend Franken 

Die Stadtpolizei verteidigt ihr Vorgehen in einem Communiqué vom Samstagnachmittag. Darin heisst es, die Einsatzkräfte hätten das italienische Konsulat schützen wollen und seien dabei von Demonstrierenden bedrängt worden. 

Judith Hödl, Mediensprecherin der Stadtpolizei Zürich, erklärt auf Anfrage: «Wir haben die Organisator:innen auf die Möglichkeit einer Spontanbewilligung hingewiesen, was sie aber abgelehnt haben.» 

Zum Einsatz der Hilfsmittel sagt Hödl: «Wenn ein Mehrzweckstock eingesetzt werden muss, gibt es grundsätzlich nie schöne Bilder.» Und weiter: «Solche Bilder sieht man bei uns selten.» 

Sie betont zudem, dass eine kleine gewaltbereite Gruppe wiederholt Sachbeschädigungen begangen habe. Der Sachschaden belaufe sich auf mehrere tausend Franken. «Unsere Einsatzkräfte versuchten in der Folge, die Personen zu stoppen, um weitere Beschädigungen zu verhindern.» Aufgrund der engen Platzverhältnisse an der Tödistrasse vor dem italienischen Konsulat seien Distanzmittel wie Gummischrot nicht einsetzbar gewesen; daher habe man auf den Mehrzweckstock zurückgegriffen.

Laut Angaben der Polizei wurden keine Verletzten registriert.

Eine Medienmitteilung des Sanitätskollektivs Zürich vom Dienstag zeichnet hingegen ein anderes Bild: Während ihres dreistündigen Einsatzes hätten medizinische Fachpersonen mehrere verletzte Personen behandelt. «Neben Augen- und Hautreizungen durch Reizstoff behandelten wir mehrere Patient:innen mit Prellungen und Platzwunden an den Extremitäten», heisst es. Diese Verletzungen seien vorwiegend durch stumpfe Gewalteinwirkung entstanden – etwa durch Schlagstöcke oder gezielte Tritte.

Insgesamt hat das Sanitätskollektiv eigenen Aussagen zufolge eine mittlere zweistellige Zahl an leicht verletzten Personen behandelt.

«Zwang und Zwangsmittel nur als Ultima Ratio»

An den feministischen Demonstrationen in Bern und Basel war ein Team der Demokratischen Jurist:innen Schweiz (DJS) anwesend. Lea Schlunegger ist Generalsekretärin und schreibt auf Anfrage: «Jeder Mensch hat das Recht, zu protestieren, sich zu versammeln und seine Meinung friedlich zu äussern.» Vom Landesstreik 1918 bis zum Frauenstimmrecht 1971 oder dem Klimastreik sei Protest ein Katalysator für Veränderungen gewesen und ein wirkungsvolles Mittel, um den Mächtigen die Wahrheit vorzuführen.

«Das polizeiliche Handeln muss immer verhältnismässig sein.»

Lea Schlunegger, Generalsekretärin Demokratische Jurist:innen Schweiz

Schlunegger weist darauf hin, dass die Bewilligungspflicht nach dem UNO Pakt II das Menschenrecht auf friedliche Versammlung untergräbt. Ob eine Demonstration bewilligt sei oder nicht, spiele rechtlich keine Rolle: «Das polizeiliche Handeln muss immer verhältnismässig sein. Zwang und Zwangsmittel, wie zum Beispiel der Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken, dürfen nur als Ultima Ratio eingesetzt werden.»

Gleichzeitig kritisiert Schlunegger den Mangel an unabhängigen Kontrollinstanzen: «Es gibt keine unabhängige Ombudsstelle in der Schweiz, welche Fälle von Polizeigewalt auf ihre Übereinstimmung mit den Grund- und Menschenrechten überprüft.» Verfahren gegen Polizist:innen würden häufig eingestellt; bestehende Beschwerdemechanismen seien in der Praxis nicht unabhängig.

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Bereits 2021 war die Polizei mit einem Grossaufgebot vor Ort. (Bild: Tsüri.ch)

Nachbereitung angekündigt

Die Stadtpolizei Zürich hat angekündigt, den gesamten Einsatz am 8. März einer internen Nachbearbeitung zu unterziehen. Dabei sollen auch alle verfügbaren Bildmaterialien gesichtet werden, um die Verhältnismässigkeit des Vorgehens zu überprüfen.

Die Ereignisse reihen sich in eine Serie von Demonstrationen in Zürich ein, bei denen das Vorgehen der Polizei in kritisiert worden war. 

In Zürich kommt es nahezu jedes Jahr bei unbewilligten Demonstrationen zum feministischen Kampftag zu Sachbeschädigungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Demonstrationen, die traditionell ohne Bewilligung stattfinden, ziehen regelmässig ein Grossaufgebot der Polizei nach sich. Wiederholt wurden dabei Farbanschläge, Sprayereien und Konfrontationen dokumentiert.

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2025-01-07 Jenny Bargetzi Portrait-23 (1)

Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in Politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.

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