Fortschrittliche Verkehrspolitik: Dem Ölminister die Quittung geben

Seit Albert Rösti von der SVP im Bundesrat sitzt, sei die Schweizer Verkehrswende blockiert, schreibt unser Kolumnist Thomas Hug. Denn: Anstelle den Schienenverkehr zu fördern, setzt Rösti auf den Ausbau von Autobahnen. Zeit für eine Abrechnung.

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Sind Autobahnen die Zukunft der Mobilität? Wohl kaum, findet unser Kolumnist. (Foto: Unsplash)

In den letzten Tagen habe ich mir die Finger wund geschrieben: Denn bald sind Wahlen. Und ich möchte, dass diese Wahlen auch zur gesalzenen Rechnung für den Bundesrat und Ölminister Albert Rösti (SVP) werden. Obwohl das Klimaschutzgesetz vergangenen Juni klar von der Schweizer Stimmbevölkerung angenommen wurde, stellt er die Weichen in Richtung vorgestern: Autobahnen ausbauen, so viel es geht. Und am liebsten würde er auch noch Geld von der Eisenbahn zur Autobahn rüberschaufeln.

Seine Devise lautet: Wo die Züge heute stark ausgelastet sind, sollen diese durch neue Autobahnen entlastet werden. Also genau da, wo die Bahn konkurrenzfähig zum Auto ist, soll sie nun wieder geschwächt werden. Im Klartext: Er möchte eine Verlagerung von den Schienen auf die Strasse fördern.

Vor der Wahl in die Schweizer Regierung war Rösti sieben Jahre lang Präsident bei Swissoil. Diese Vereinigung steht so ziemlich für alles ein, was wirksamen Klimaschutz behindern kann. Also eigentlich kein Wunder, dass Rösti nicht der grösste Befürworter der fossilfreien Eisenbahn ist. Trotz seines neuen Amtes scheint er im Herzen doch Öl-Lobbyist geblieben zu sein.

Leider scheint auch das Parlament die Leier von Rösti zu übernehmen. Es investiert fleissig weiter in fossile Infrastrukturen. Der Ständerat hat gerade kürzlich über fünf Milliarden für neue Autobahnen gesprochen. Der Nationalrat hat eine Motion von SVP-Querschläger Erich Hess angenommen, um die Strecke zwischen Zürich und Bern auf mindestens sechs Spuren auszubauen. Und am Gotthard fordern erste Politiker von FDP und SVP bereits die Eröffnung von vier Spuren, noch bevor die zweite Röhre überhaupt fertig gebaut ist. 

Auf die aktuell amtierenden Politiker:innen ist also kein Verlass in Sachen Verkehrswende. Der letzte Strohhalm: Die Verwaltung. Doch auch da sieht es schwierig aus. Der Chef des Bundesamts für Strassen (ASTRA) forderte bereits 2018 doppelstöckige Autobahnen im Limmattal. Von Tempo 30 hält er nicht viel – am liebsten wären im grosse Einfallsachsen für Autos in die Städte, damit der Verkehr möglichst schnell von den Autobahnen in die Städte fliessen kann. Wer widerspricht solchen kruden Ideen, wenn der Strassenchef und Bundesrat gleichermassen in Verkehrsfragen völlig abgedriftet sind?

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Bundesrat Rösi, ASTRA-Chef Röthlisberger und SVP-Nationalrat Hess legen der Verkehrswende grosse Steine in den Weg. (Fotomontage: Thomas Hug)

Ich weiss es nicht. Und diese Zukunft macht mir wenig Hoffnung. Die Mobilität ist für über ein Drittel der Schweizer Klimaemissionen verantwortlich. Einfach die Augen vor diesen Tatsachen zu verschliessen, ist fahrlässig. Lange lebte ich im Selbstverständnis, dass ich diese Fahrlässigkeit in Fachkreisen am direktesten bekämpfen kann. Aber immer mehr musste ich lernen: Die Verkehrswende ist politisch. Wo die Politik mutig ist und Projekte fördert, da geht etwas – wenn die Politik bremst, helfen auch die besten abgestützten Fakten nichts dagegen. Das kennen wir ja auch in Zürich gut, wo sich Parlament, Regierung und Verwaltung gegenseitig mit ihren eigenen Vorstellungen blockieren. Es fehlt der pragmatische Wille in der Exekutive, wirklich etwas am Status Quo ändern zu wollen. 

Als Fachperson fühlt sich dieser Stillstand lähmend an – gerne würde ich diese Stadt voranbringen, aber die Strukturen sind dafür zu festgefahren. Wer wirklich etwas daran ändern will, welche Infrastrukturen wir bauen und wie wir unterwegs sind, kann dies nur über den Hebel der Politik tun.

Und alle vier Jahre ist der grosse nationale Zahltag. Schicken wir dem Verkehrsminister Rösti, den bürgerlichen Parlamentarier:innen und dem Astra-Chef am 22. Oktober die Rechnung auf dem Wahlzettel: Diese Verkehrspolitik könnt ihr für euch behalten.

Thomas Hug

Thomas Hug ist Verkehrsplaner und Stadtentwickler bei urbanista.ch und engagiert sich für zukunftsfähige Lebensräume – stets auf der Suche nach dem richtigen Gleichgewicht von Arbeit, Aktivismus und Politik. Als Experte für Verkehrswende und nachhaltige, inklusive Mobilität versucht Thomas eine menschenzentrierte Sicht auf die Mobilität zu fördern. Er ist eher Generalist mit dem Blick auf das Ganze wie Spezialist mit dem Auge fürs Detail.

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