Verkehrsunfälle: Was die Stadt richtig macht – und wo Gefahren bleiben
Trotz steigender Bevölkerungszahlen verzeichnen Stadt und Kanton Zürich weniger Unfälle, Verletzte und Schwerverletzte, aber deutlich mehr Tote. Ein Verkehrsexperte ordnet die Trends ein.
Zehn Personen sind im letzten Jahr im Strassenverkehr in der Stadt Zürich tödlich verunglückt, davon sechs Personen durch eine Kollision mit einem Tram. Das sind über 60 Prozent mehr als noch im Jahr zuvor. Dies geht aus den am Mittwoch publizierten Unfallstatistiken für Stadt und Kanton Zürich hervor. Ist diese Entwicklung Anlass zur Sorge? Verkehrsexperte Kevin Riehl von der ETH Zürich ordnet ein.
Sofiya Miroshnyk: Trotz steigender Bevölkerungszahlen und zunehmendem Veloverkehr sind die Unfallzahlen in der Stadt Zürich rückläufig. Gleichzeitig gab es im vergangenen Jahr einen auffälligen Anstieg tödlicher Unfälle, insbesondere mit Trams (wir berichteten). Woran liegt das?
Kevin Riehl: Insgesamt sieht die Statistik sehr gut aus. Die ohnehin tiefe Zahl der tödlichen Unfälle in absoluten Zahlen, also 0.75 Prozent aller Unfälle, mag vielleicht zum Vorjahr etwas gestiegen sein, ist aber kein signifikanter Ausreisser im ohnehin sehr niedrigen Mehrjahresdurchschnitt.
Dennoch: Ein Anstieg von über 60 Prozent lässt aufhorchen.
Der Anstieg mag aufhorchen lassen, absolut sind die Zahlen aber immer noch sehr niedrig. Wenn man sich die Unfälle genauer ansieht, sieht man, dass diese oft unter Umständen passiert sind, die die Stadt nur schlecht beeinflussen kann. Etwa bei einem tödlichen Unfall von einem Mann, der am Central vom Tram erfasst wurde. Dieser war stark alkoholisiert, hatte Kokain und weitere Medikamente im Blut.
Zum Fall, den Sie ansprechen, hat der Tages-Anzeiger kürzlich Details publiziert. Etwa, dass das Tram 2000 nur einen rechten seitlichen Rückspiegel hat, der Mann aber von links kam. Braucht es mehr Spiegel und Kameras für Trams? Ein Blick auf die Beschreibungen der tödlichen Unfälle zeigt, dass es häufig zu tragischen Situationen kommt, in denen Menschen zwischen das Tram und die Bahnsteigkante geraten – oder sogar unter das Tram. Das zentrale Problem dabei: Der oder die Fahrer:in kann die Personen nicht sehen. Deshalb sollten zusätzliche Massnahmen erwogen werden, um die Sichtbarkeit in diesen gefährlichen Bereichen zu verbessern. Ein zusätzlicher Spiegel auf der linken Seite oder der verstärkte Einsatz von Kamerasystemen, die auch den Raum unter dem Tram erfassen, könnten sinnvolle Lösungen sein.
Die Kantonspolizei hat an der heutigen Medienkonferenz keine dieser Massnahmen angekündigt, sondern lediglich weitere Aufmerksamkeitskampagnen und Verbesserung der Infrastruktur. Reicht das?
Solche Aufklärungskampagnen können das Bewusstsein für Gefahren im Strassenverkehr schärfen, doch ihr Effekt ist begrenzt – insbesondere bei älteren Menschen, die oft eine verminderte Reaktionsfähigkeit und Wahrnehmung haben. Auch Personen unter Drogeneinfluss lassen sich durch solche Massnahmen kaum erreichen.
Laut Statistik sind 31 Prozent der verunfallten Velofahrenden auf einem E-Bike unterwegs. Besteht hier ein erhöhtes Risiko, das neue Regelungen erfordert? Sollten speziell für E-Bikes neue Regelungen kommen?
Das muss die Politik entscheiden. E-Bikes bieten besonders für ältere Menschen eine attraktive Mobilitätsoption. Allerdings haben gerade Senior:innen ein erhöhtes Unfallrisiko, deshalb lassen sich mit Kampagnen auch hier nur begrenzt Verbesserungen erzielen.
Immer wieder wird über die Gefahr des Rechtsabbiegens von LKWs für Velofahrende diskutiert. Sollte man das Rechtsabbiegen für LKWs in der Stadt verbieten? Zuerst muss man sagen: Schon heute ist die Stadt Zürich sehr Auto- und LKW-unfreundlich, was ja auch politisch gewollt ist. Ein Verbot des Rechtsabbiegens in der Stadt wäre darum nur schwer umsetzbar. Es würde durch die nötigen Umwege zu deutlich höheren Emissionen führen. Weiter ist der LKW-Verkehr in Zürich wahrlich kein Transitverkehr, sondern dient lediglich der Versorgung der Stadt. Es wäre kaum möglich, diese durch kleinere Transporter zu ersetzen. Auch hier wären die Emissionen und Kosten viel höher.
Im vergangenen Jahr waren von allen Unfällen im Stadtverkehr 38 Prozent, also 508 Personen, Velofahrer:innen. Das sind 21 weniger als im Vorjahr. Ein grosses Politikum in der Stadt sind auch die Velovorzugsrouten. Wie sinnvoll sind diese?
Solche Velovorzugsrouten sind sinnvoll, aber eben auch kein Allheilmittel. Sie haben den Vorteil, dass sie die Präsenz von Velofahrer:innen stärker für alle sichtbar machen. Allerdings fehlt gerade an verkehrsreichen Kreuzungen, wo sie besonders wichtig, oft der Platz für solche Spuren. Das liegt auch daran, dass dem öffentlichen Verkehr viel Raum eingeräumt wird – was ja grundsätzlich sinnvoll ist.
Wie schneidet die Stadt Zürich im Vergleich zu anderen Städten und Ländern in Punkto Verkehrssicherheit ab?
Zürich verfügt über eines der besten öffentlichen Verkehrssysteme der Welt und meistert das Wachstum der Bevölkerung mit durchdachten Massnahmen und einer effizienten Verkehrsplanung. Die Stadt leistet hier bemerkenswerte Arbeit, um Mobilität, Sicherheit und Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen.
In anderen Ländern gibt es Tram- und Metro-Systeme mit Barrieren oder Sensoren, die Unfälle verhindern sollen. Warum nicht in Zürich?
Barrieren sind vor allem in Metro-Systemen üblich, doch ihre Umsetzung im dichten Zürcher Tramnetz wäre nicht nur kostspielig, sondern auch raumplanerisch äusserst komplex. Stattdessen könnten einfachere Lösungen effektiver sein.
Welche?
Eine längere Wartezeit nach dem Schliessen der Türen, um Passanten die Möglichkeit zu geben, sich in Sicherheit zu bringen. Oder der verstärkte Einsatz von Sensoren zur Kollisionsvermeidung. Die VBZ fokussiert bereits auf Kollisionswarnsysteme und bessere Sensortechnologien. In Kooperation mit dem Schienenfahrzeughersteller Alstom wurden etwa Tests mit Tram-Airbags durchgeführt. Aber auch hier gilt: Ein Airbag hilft nur, wenn die Person auch wahrgenommen wird.
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Sofiya Miroshnyk begann ihre berufliche Laufbahn als Chemielaborantin mit einer Ausbildung beim Labor Spiez und anschliessender Tätigkeit bei Givaudan. Nach ihrer Weiterbildung über die BMS am Inforama Zollikofen und der Passerelle am Gymnasium Neufeld studierte sie Philosophie, Politik und Wirtschaft an der Universität Luzern.
Bereits während des Studiums entdeckte sie ihre Leidenschaft für den Journalismus und sammelte erste Erfahrungen bei Tink.ch, wo sie später als Chefredaktorin tätig war. Nach einem Praktikum bei SRF in der Sendung SRF-Schawinski war sie ein halbes Jahr Produzentin bei Schawinski, danach arbeitete sie drei Jahre als Produzentin und Redaktorin bei der SRF-Arena. Es folgten Stationen bei Blick TV und der NZZ am Sonntag. Derzeit ist sie als Redaktorin beim SRF-Club tätig und arbeitet parallel in einem befristeten Teilzeitpensum bei Tsüri.ch.