Scheitert Man(n) an der Gleichstellung?

Eine Podiumsdiskussion über die Definition von Männlichkeit, «guten» Vätern und farbigen Strümpfen.

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FDP-Ständerat Caroni, Papikolumnist Antoine Schnegg, Moderatorin Franziska Schutzbach und Markus Theunert von männer.ch. (v.l.n.r.)

Am Anfang war der Tocqueville-Effekt. Jedenfalls an der Podiumsdiskussion «Scheitert Mann an der Gleichstellung?» im Karl der Grosse vergangenen Dienstagabend. «Es kommt nicht zur Revolution, wenn die Lage am schlimmsten wird, sondern wenn Reformen gebildet werden», zitierte Franziska Schutzbach den französischen Vordenker des Liberalismus.

Mit dem Zitat eröffnete die Geschlechterforscherin den Abend zur Podiumsdiskussion zum Thema Scheitern, die vom Karl der Grosse und männer.ch organisiert wurde. Anlass dafür biete der tiefe gesellschaftliche Wandel, der sich durch verschiedene Debatten wie beispielsweise den Frauenstreik, den Vaterschaftsurlaub oder Vereinbarkeitsprobleme auszeichne. Dadurch würde der Druck auf die Männer stetig wachsen. «Deshalb die Diskussionsfrage des heutigen Abends: Scheitert Mann an der Gleichberechtigung?»

Theunert ruft zum Scheitern auf

«Wir scheitern durchaus als Männer insgesamt», antwortet Antoine Schnegg, «obwohl wir uns das gar nicht erlauben können.» Zusammen mit Andrea Caroni, FDP-Ständerat und Markus Theunert von männer.ch, diskutiert der Autor der Tsüri.ch Papi-Kolumne über das Thema Scheitern. Für Theunert sei dies hingegen keine schwarz-weiss Debatte, sondern eine, die acht Millionen Schweizer Individuen betrifft. «Es gibt männliche Anforderungen und Normen, die nicht wünschbar und realistisch sind. Deshalb sehe ich mich darin verpflichtet, an diesen zu scheitern und daraus etwas fruchtbares zu ziehen», sagt er.

Kinderkriegen und Häuslichkeit sind noch immer Frauensache, Erwerbstätigkeit Männersache.

Markus Theunert, männer.ch

Auch das Ständeratsmitglied sieht das männliche Rollenbild und die damit einhergehenden Erwartungen der Gesellschaft kritisch. Insbesondere dann, wenn es um die genderneutrale Kindererziehung geht. Er fragt sich: «Was ist sozialisiert und was kann ich tun, um stereotypische Verhaltensweisen aufzuweichen?»

Eine Frage, mit der sich auch Theunert im Alltag auseinandersetzt und dies anhand einer persönlichen Anekdote seiner 6-jährigen Tochter illustriert: «Seit kurzem möchte ich keine schwarzen Socken mehr anziehen, sondern auffällige, bunte. Doch: Als ich mein Vorhaben umsetzte, lachte mich meine Tochter aus und fragte mich, warum ich denn plötzlich Mädchenstrümpfe trage. Wie positioniert man sich nun als Vater dazu?» Die Frage bleibt trotz Schmunzeln aus dem Publikum offen. Wenn es also um die Ausführung einer genderneutralen Erziehung geht, sind sich die drei Väter über deren Herausforderung der Umsetzung einig.

Noch immer klassische Rollenverteilung

Wesentlich divergenter fielen die Meinungen zum Thema Elternzeit und Vaterschaftsurlaub aus. Für Caroni braucht es weder einen vier- noch einen zweiwöchigen Urlaub. Anstatt die Allgemeinheit zur Kasse zu bitten, plädiert der FDP-Politiker für einen «Do-it-yourself»-Urlaub: Die Neoväter sollen die eigenen Ferien dann beziehen, wenn das Kind auf die Welt kommt. «Arbeitnehmer*innen haben Anspruch auf vier Wochen Ferien, viele erhalten fünf. Wenn sie diese für die Familie einsetzen, ist die Forderung nach einem vierwöchigen Vaterschaftsurlaub bereits erfüllt», sagt er.

Für Schnegg hingegen ist klar: «Nach der Geburt meines Kindes hätte ich gerne mehr Zeit mit meinem frischgeborenen Sohn und meiner Partnerin verbracht, doch die Schweizer Familienpolitik lässt das nicht zu.» Auch die Bindung von Vater und Kind werde durch einen Vaterschaftsurlaub positiv beeinflusst, meint Theunert. Und er fügt hinzu: «Kinderkriegen und Häuslichkeit sind noch immer Frauensache, Erwerbstätigkeit Männersache.»

Die Gleichstellungsdebatte darf nicht nur den Männern überlassen werden.

Antoine Schnegg, Papikolumnist

Dies bestätigen aktuelle Zahlen: So gingen im Jahr 2018 beispielsweise sechs von zehn Frauen einem Teilzeiterwerb nach – bei den Männern waren es gerade mal knapp zwei von zehn. Auch gaben 75 Prozent der Frauen aus einer Tertiärstufe an, dass sich ein Kinderwunsch negativ aus ihren Berufsaussichten ausüben würde. Im Vergleich: Bei den Männern waren es knapp 40 Prozent weniger.

Und wenn es um die Frage der Kinderbetreuung im Krankheitsfall geht, sind die Zahlen ebenfalls gegensätzlich: Nur gerade mal knapp 5 Prozent der Männer bleiben zu Hause beim Kind. Für den Autor ist klar: «Die Gleichstellungsdebatte darf nicht nur den Männern überlassen werden.» Und mit einer wichtigen Debatte wie dieser, würde er das Mann sein nicht als Scheitern betrachten.

«Solche Abende sind wichtig und dringend nötig»

Die Podiumsdiskussionsteilnehmer waren nicht die Einzigen, die sich zu diesem Thema äusserten. «Wenn es um die Gleichberechtigungsfrage und die Kinderbetreuung geht, ist die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern im Rückstand», meint die Besucherin Johanna Faust. Mit gutem Beispiel einer modernen Familienpolitik gehen die skandinavischen Länder und unser Nachbarland voran: In Deutschland beispielsweise würden Kitas vom Staat subventioniert.

«Doch um eine Gesellschaft zu schaffen, in denen Rechte von Mann und Frau gleich sind, müssen nicht nur unsere Gesetze revidiert werden. Auch die gängigen Rollenbilder, die uns die Familie mitgibt und uns seit der Kindheit prägen, müssen wir zu Gunsten einer gleichberechtigten Gesellschaft dringend überdenken», meint die 46-jährige Filmregisseurin. Der Anlass biete eine Plattform zum Austausch, die die gesellschaftlichen und strukturellen Baustellen diskutiert. Zum Abschluss meint die Baslerin: «Die Podiumsdiskussion hat gezeigt, wie sehr wir noch am Anfang dieser Gleichstellung stehen. Solche Abende sind wichtig und dringend nötig.»

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