Zentralwäscherei: «Wenn die Stadt nur einen Konsumtempel will, dann gehen wir»

Der Vertrag der Zentralwäscherei läuft Ende November aus, der Gemeinderat diskutiert erst kurz vorab das neue Budget. Das Geld ist knapp und das Team erschöpft, dennoch zeigen sich die Mitglieder im Gespräch kämpferisch.

Zentralwäscherei Zürich
Seit 2020 ist die Zwischennutzung in der Zentralwäscherei geöffnet, nun geht es um die Vertragsverlängerung für weitere vier Jahre. (Bild: Dominik Fischer)

Nach über fünf Jahren läuft der Vertrag der Stadt mit dem Verein Zentralwäscherei (ZW) aus. Eine Verlängerung bis 2029 ist wahrscheinlich, zunächst aber stehen neue Veranstaltungs-Richtlinien zur Debatte. Der Gemeinderat wird erst im November über den erneuten Budget-Antrag von 150’000 Franken entscheiden. Die finanzielle Lage ist angespannt, die ZW steht kurz vor dem Arbeitsstopp.

Die Mitarbeitenden des Vereins sind alle Teilzeit angestellt, trotzdem verbringen sie etliche Stunden in der ZW, oft ehrenamtlich. So wie Nicolas, Yan und Paavo. Alle drei wollen nur mit Vornamen auftreten, vor dem Gespräch mit Tsüri.ch betonen sie, dass sie für sich als Einzelpersonen sprechen und es im Verein auch abweichende Meinungen geben könne.

Dominik Fischer: Nicolas, Yan und Paavo, wie werden die nächsten Monate für Sie aussehen? 

Nicolas: Unsere Verträge laufen Ende November aus, aktuell wird neu verhandelt. Natürlich hoffen und glauben wir, dass wir weitermachen können, ansonsten müssten wir im September alle 35 Arbeitsverträge kündigen. Gleichzeitig sind schon Veranstaltungen bis in den nächsten Frühling geplant.

Das klingt nach einer ziemlich ungewissen Lage. Wie gehen Sie damit um?

Nicolas: Bei anderen Kulturinstitutionen wird weit im Voraus entschieden, ob sie weitermachen dürfen. Wir sind es uns gewohnt, kurzfristig zu wirtschaften und hoffen, dass es auch längerfristig klappt. Aber wir wollen uns nicht nur gängeln und instrumentalisieren lassen und überlegen uns, wie wir unser politisches Kapital ausnutzen können. Wenn die Stadt und die Bevölkerung will, dass hier ein Konsumtempel ohne Ecken und Kanten entsteht, dann gehen wir.

Was wird im Gemeinderat Ende November genau besprochen?

Nicolas: Es geht nicht nur um uns, sondern um die Gesamtbudgetierung vom ganzen Josef-Areal. Aber konkrete Baupläne gibt es noch nicht. Die 150’000 Franken Betriebsförderung sind das Geld, das uns jährlich fehlt. Wir haben einen Eigenfinanzierungsgrad von 85 Prozent, was im Kulturbereich sehr hoch ist.

Zentralwäscherei Kleinwäscherei
Die Kleinwäscherei dient als Restaurant, Bar, Café und gemütlicher Treffpunkt. (Bild: Dominik Fischer)

In einem Instagram-Post hat die Zentralwäscherei kürzlich geschrieben: «Sobald etwas nicht passt, werden wir von verschiedenen Seiten unter Druck gesetzt.» Wie sieht dieser Druck aus?

Yan: Es gab nicht den einen Event, aber eine Reihe von Veranstaltungen, die bei der Stadt Fragen aufgeworfen haben. Aber wir haben keine Panik. Wir glauben nicht, dass der Vertrag wegen eines einzelnen Events wie dem Palästina-Panel mit Francesca Albanese nicht verlängert wird. 

Nicolas: Uns wird nicht offen gedroht, aber von verschiedenen Stellen werden wir darauf hingewiesen, dass unser Verhalten politische Konsequenzen provozieren könnte. 

Paavo: Dieser Druck von aussen schlägt sich auch auf die Stimmung im Team nieder. Vor dem Panel mit Francesca Albanese war der Stress im ganzen Team spürbar.

Klingt, als werde jeder (Fehl)-Tritt genau beobachtet. 

Yan: Ich hatte das Gefühl, am Albanese-Panel haben einige Leute nur auf einen Fehler von uns gewartet. Als es dann reibungslos verlief, war Tsüri.ch das einzige Medium, das darüber berichtet habt, obwohl sechs verschiedene Medienvertreter:innen vor Ort waren. 

Nicolas: Am einen Tag werden wir als Vorzeigeprojekt für Schweizer Zwischennutzungen angepriesen und jeder will hinter der Idee «Zentralwäscherei» gesteckt haben. Aber sobald es eine Kontroverse gibt, heisst es: «Wir haben es ja schon immer gewusst.»   

Wie zum Beispiel nach dem kontroversen Auftritt einer Person aus dem Kollektiv Samidoun, das in Deutschland als antisemitisch eingestuft ist. Die Veranstaltung wurde von Ihnen mitorganisiert. 

Nicolas: Wir haben unsere Lehren aus der Samidoun-Geschichte gezogen. Und zwar nicht nur pro forma, sondern wir haben lange und ernste Diskussionen darüber geführt, wie wir politische Veranstaltungen handhaben und wie unser Controlling aussieht. 

Yan: Seither sind die Auflagen für Events zum Thema Palästina auch strenger geworden, zum Beispiel wird von uns eine Einschätzung oder Begründung erwartet. Deshalb haben wir noch nie so viel Zeit für einen Event aufgewendet, wie für das Panel mit Francesca Albanese. Aber wenn wir unseren Job machen wollen, brauchen wir Zeit für unsere Projekte, statt uns nur vor der Stadt oder den Medien zu rechtfertigen. 

Und wie oft müssen Sie vor der Stadt Rechenschaft ablegen? 

Nicolas: Eigentlich müssen wir nur einmal im Jahr unsere Zahlen vorweisen. Aber bei jeden medialen Aufschrei müssen wir und wieder vor der Stadt erklären.

Versteht sich der Verein Zentralwäscherei als politischer Akteur? Wie gehen Sie mit der Verantwortung um, auch in sensiblen Debatten wie rund um das Thema Palästina nicht nur Raum zu bieten, sondern auch einzuordnen?

Nicolas: Wir leisten definitiv politische Arbeit und sehen uns auch als politische Akteur:innen. Die Verantwortung dafür tragen wir durch viele Diskussionen und eine tiefe Auseinandersetzung mit den jeweiligen Thematiken. Grundsätzlich sind wir aber auch der Überzeugung, dass Diskussionen über sensible und komplizierte Themen geführt werden müssen – solange sie sich in Einklang mit unseren Vereinsrichtlinien befinden.

Zentralwäscherei innen
Rund 300 Veranstaltungen führt die Zentralwäscherei jährlich durch. Auch für das nächste Frühjahr sind schon Events geplant. (Bild: Dominik Fischer)

Dieser öffentliche Druck kommt auch daher, dass die Zentralwäscherei eine Zwischennutzung ist, und keine Besetzung wie das ehemalige Koch-Areal. Hat die Stadt Sie von Anfang an enger kontrolliert? 

Paavo: Ganz am Anfang wurde die ZW von der Stadt als Ersatz des Kochareals präsentiert. Davon haben wir uns immer distanziert. Eine Zwischennutzung kann eine Besetzung nicht ersetzen. Mit der Zeit haben wir uns mehr und mehr als eigenständige Institution etabliert, die aus meiner Sicht von vielen unterschiedlichen Menschen gerne und oft besucht wird.

Nicolas: Das Hauptproblem ist viel mehr, dass wir von Anfang an unterfinanziert sind. Viele haben das Gefühl, die Zentralwäscherei ist einfach ein linker, zugesprayter Laden, wo alle nur herumsitzen.  Aber wir alle arbeiten unter hohem Stress und Erwartungsdruck, um den Betrieb in dieser Form weiterzuführen. Vielen Menschen setzt der finanzielle Druck sehr zu. 

Was tun Sie gegen diese Überbelastung? 

Nicolas: Bei einander einchecken, zuhören und Feedback geben. Es besteht aber definitiv noch Luft nach oben. Grundsätzlich erfordert das, was wir machen, eine hohe Einsatzbereitschaft. Aber auf die Dauer ist das nicht gesund.

Wie sieht die Abmachung mit der Stadt aus? Die jährliche Miete von knapp 100’000 Franken wird dem Verein erlassen, und sonst? 

Nicolas: Zu Beginn haben wir 500’000 Franken erhalten, das ging aber mit einer riesigen Liste an Vorgaben für den Umbau einher, bevor wir eröffnen konnten. Nur dank freundschaftlichen Deals mit Lieferant:innen und anderen Partner:innen konnten wir überhaupt aufmachen. 

Paavo: Und weil sehr viele Menschen gratis Arbeit geleistet haben. 

Nicolas: Die Arbeitszeit allein hätte ansonsten etwa 150’000 Franken gekostet. Dann gab es noch 150’000 Franken Starthilfebeitrag. Wenn die Zentralwäscherei in den Medien als Millionengrab dargestellt wird, stimmt das einfach nicht.

Auch andere Kulturhäuser bekommen Subventionen in Millionenhöhe; die Oper, die Tonhalle, das Schauspielhaus.

Yan: Oder das Zurich Film Festival, das bis vor wenigen Wochen der NZZ gehört hat. 

Nicolas: Unsere 150’000 Franken im Jahr sind im Budget der Stadt eigentlich nichts. Der Rasen auf dem Sportareal nebenan kostet mehr als das. Aber es geht uns nicht darum, dass andere Kulturbetriebe zu viel bekommen, sondern wir alle zu wenig. Die eigentliche Frage ist doch, wie viel kosten die Strassen, der Autoverkehr…

Paavo: … und das Militär und die Banken. 

Wie sieht aktuell die finanzielle Lage in der Zentralwäscherei aus? 

Nicolas: Jetzt gerade ist es leider wieder zwei vor 12. Wir müssen unsere täglichen Einnahmen prüfen, um zu wissen, ob und wann der Arbeitsstopp kommt.  

Paavo: Seit Kurzem haben wir mittags nicht mehr offen, da es sich finanziell nicht lohnt. Diesen Druck bekommen alle mit. Das ist zermürbend, denn alle im Team investieren viel Zeit und Energie in diesen Ort.  

Zentralwäscherei Zürich
Aktuell bleibt die Kleinwäscherei über den Mittag geschlossen. Die finanzielle Lage im Verein ist brenzlig, auch ein Arbeitsstopp ist nicht ausgeschlossen. (Bild: Dominik Fischer)

«In meinem Kopf ist der November noch weit weg. Wir sind erschöpft, aber niemand hier drin denkt ans Ende»

Paavo vom Verein Zentralwäscherei

Sie könnten sagen: «Weniger ist mehr» und unprofitable Veranstaltungen streichen. Trotzdem wollen Sie nächstes Jahr wieder 300 Events stemmen. Warum?

Paavo: Wir wollen ein Möglichkeitsraum für alle sein, und das soll auch so bleiben. 

Nicolas: Es ist unser Auftrag, auch die unprofitablen Events möglich zu machen. Wenn es nur noch um Profit geht, werden wir unseren eigenen Anforderungen nicht gerecht. Und es ist genau das Spannende, unsere Möglichkeiten auszureizen, und möglichst viele Events zu ermöglichen, ohne bankrott zu gehen. Aber um das möglich zu machen, braucht es Kulturförderung.

Was erwartet die Stadt bis zur möglichen Vertragsverlängerung Ende November noch vom Verein? 

Yan: Es wird bald nochmals ein Gespräch mit dem Sozialdepartement geben. Darin wird es auch um die neuen Richtlinien für unsere Events gehen. 

Nicolas: Es wird sich zeigen, wie restriktiv die neuen Richtlinien sind. Wenn uns darin verboten wird, politische Events von internationalem Interesse durchzuführen, dann werden wir dagegen sein und das nicht unterschreiben. Dann wird sich herausstellen, ob wir das politische Kapital haben, um uns zur Wehr zu setzen, oder nicht. 

Geplant ist eine Vertragsverlängerung bis 2029 – haben Sie noch Energie, weiterzumachen?

Paavo: In meinem Kopf ist der November noch weit weg. Wir sind alle erschöpft, aber auch noch immer hoch motiviert, niemand hier drin denkt ans Ende. 

Nicolas: Unsere Gesichter sind müder geworden, aber die Herzen nicht. Wir werden kämpfen, damit wir offen bleiben und weiter machen können.

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