Radio, Plattenladen, Konzertbühne: «GDS.FM» kehrt in den Kreis 4 zurück
Vor eineinhalb Jahren musste die Zürcher Radiostation «GDS.FM» den «Sender» im Kreis 4 verlassen. Jetzt kehren die Betreiber:innen zurück – an einen neuen Ort und mit einem neuen Konzept.
Mascotte, Zukunft, Schickeria: Ein Club nach dem anderen musste seit der Corona-Pandemie die Türen schliessen. Auch der «Sender» im Kreis 4 stellte Anfang 2024 aus finanziellen Gründen den Betrieb ein. Seither konzentrierte sich der Betreiber Christian «Chrigi» Gamp wieder auf sein Kerngeschäft: Seine Radiostation «Gegen den Strom», kurz «GDS.FM». Gut eineinhalb Jahre lang betrieb er den Sender alleine von zu Hause aus.
Mit dem «Studio» an der Müllerstrasse kehrt er nun in den Kreis 4 zurück, keine 200 Meter vom alten Standort entfernt. «Damit die Arbeit Spass macht, braucht es einen solchen Treffpunkt. Der Austausch mit anderen Menschen kommt am Computer einfach viel zu kurz», sagt Gamp. Das neue Studio ist für ihn ein weiteres «Experiment», jedoch «überlegter und gesünder» als der vorherige Club.
Studio soll zu einer Plattform für die Musikszene werden
iMacs, Platten, Zeitschriften, zwei Regale und eine Holzbühne: Bislang ist das Studio an der Müllerstrasse 70 minimalistisch eingerichtet. Am 29. November wird die Eröffnung mit Raclette, Drinks und Konzerten gefeiert. «Dieser Ort ist perfekt für fast alles, was wir umsetzen wollen, und auch für Ideen aus der Community», schwärmt Gamp.
Fixe Öffnungszeiten sind bislang noch nicht geplant, denn anders als zuvor wird hier kein Nachtclub mit Bar-Betrieb entstehen. Statt Alkohol zu verkaufen, um Löhne und Miete zu zahlen, drehe sich hier alles um Musik, das Radio und die Förderung von Zürcher Bands.
Diese sollen künftig sogar ihre Platten und Merchandise im «Studio» verkaufen können. Gamp erzählt: «Wir können uns ein Gesamtkonzept vorstellen: lokale Bands können hier ihr Album präsentieren und ihre Produkte verkaufen. Und unsere Website und die ‹GDS.FM›-Awards werden wie bisher Reichweite verschaffen.» So könnte das Studio zu einer Plattform für lokale Musikprojekte werden. Das sei dringend nötig, denn: «In Zürich fehlt es an nicht-kommerziellen Orten, die noch unbekannten Künstler:innen eine Chance geben und zum Experimentieren einladen.»
Bereits erfolgreiche Formate würden an der neuen Adresse fortgesetzt, so etwa die monatlichen Listening-Sessions und DJ-Workshops.
Bringt das Studio die «Tiny Desk»-Konzerte nach Zürich?
Auch Filmformate seien vorstellbar, ganz nach den nordamerikanischen Vorbildern wie «KEXP» oder den «Tiny Desk Concerts». Dabei handelt es sich um eine Reihe des US-Radiosenders «NPR»: Die rund 15-minütigen Konzerte werden oft millionenfach angeschaut, berühmte Musiker:innen wie Bad Bunny, Billie Eilish, Mac Miller oder Fred Again traten schon auf und gaben ihre Songs als Akustik-Versionen wieder. Auch der Sender «KEXP» aus Seattle erreicht mit Videos von Live-Auftritten berühmter Künstler:innen ein Millionenpublikum.
Seit Anfang Juni unterstützt Nora Egli «Gegen den Strom» mit einem 40-Prozent-Pensum. Auch sie findet es «viel bereichernder, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten, statt nur digitales Feedback zu erhalten». Dennoch stellt Egli klar: «Mich ins Team zu holen, ist eine Investition, die wir uns nicht über Jahre hinweg leisten können.»
Denn um sich Löhne zahlen zu können, sind die beiden auf Mitgliedschaften angewiesen: Aktuell zahlen rund 1100 Personen einen jährlichen Beitrag von 65 Franken, was die 120 Stellenprozent der beiden finanziert. Wie es weitergehe, hänge stark von der Entwicklung der Mitgliederzahlen ab.
Trotz dieser Ungewissheit blicken die beiden optimistisch in die Zukunft. Der neue Standort bringe viel weniger Risiko mit sich als etwa der «Sender», da die Miete günstig sei und sie beide die einzigen Angestellten. Dazu kommt für Gamp: «Ich habe gelernt, mit wenig Geld auszukommen. Und die Vorstellung, nach 13 Jahren Selbstständigkeit wieder angestellt zu sein, ist gar nicht so übel.» Das Radio abschalten würde er aber auf keinen Fall: «Ich würde auch weitermachen, wenn nur eine Person zuhört.»
Menschen statt Algorithmen
Trotz des Erfolgs von Streaming-Giganten, die den Menschen über Algorithmen Musik zuspielen, glaubt Gamp an die Zukunft des Radios. «Plattformen wie Spotify betreiben die Entmenschlichung eines menschlichen Produkts», sagt er und findet: «Die Nachfrage nach menschlich kuratierten Inhalten steigt wieder.»
Mindestens acht Stunden pro Woche sucht er selbst nach neuer Musik – und setzt dabei auch auf Zeitschriften, DJ-Sets, Radiosendungen, das Zürcher Konzertprogramm oder private Empfehlungen. Denn: «Man hat einen ganz anderen Bezug zu Musik, wenn man sie mit einem Ort oder einer Erinnerung verbinden kann. Auch wenn diese Arbeit langsamer und anstrengender ist.»
Ein Treffpunkt und die Musik-Community, eine Bühne für Workshops und noch unbekannte Bands und ein Plattenladen: Was und wie viel am neuen Ort sonst noch entstehen kann, werde sich mit der Zeit zeigen und hänge stark vom Engagement der Community ab. «Wer Ideen hat, kann auf uns zukommen», betont Gamp.
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2600 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 3000 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!
Bachelorstudium in Germanistik und Philosophie an der Universität Zürich, Master in Kulturanalyse und Deutscher Literatur. Während des Masters Einstieg als Redaktionsmitglied in der Zürcher Studierendenzeitung mit Schwerpunkt auf kulturellen und kulturkritischen Themen. Nebenbei literaturkritische Schreiberfahrungen beim Schweizer Buchjahr. Nach dem Master Redaktor am Newsdesk von 20Minuten. Nach zweijährigem Ausflug nun als Redaktor zurück bei Tsüri.ch