Das Ende der Zukunft: Abschied von einem Kultort

Der Club Zukunft wollte Innovation für Zürichs Nachtleben. Zwei Jahrzehnte später wird er abgerissen – ein Opfer von Gentrifizierung und Wandel in der Partykultur. Philipp Meier, eine prägende Figur der Zürcher Clubszene, blickt auf den Abschied des Kultclubs.

Technoclub Zukunft Zürich Closing März
Nach 7085 Tagen und über 10'000 DJs ist Schluss. Der Club Zukunft schliesst am Sonntag für immer. (Bild: Jenny Bargetzi)

Es war der 29. Oktober 2005, als an der Dienerstrasse 33, mitten im damaligen Zürcher Rotlichtviertel, ein neuer Club eröffnete. Die Langstrasse galt damals als Schandfleck der Stadt, geprägt von Prostitution, Drogen und heruntergekommenen Gebäuden. Hier wollten sechs junge Männer aus der alternativen Partyszene – Michael Vollenweider, Markus Ott, Alex Dallas, Sacha Winkler (DJ Kalabrese), Miguel Castro und Dominik Müller – einen Ort schaffen, der musikalisch überzeugt, innovativ bleibt und gleichzeitig Nähe schafft.

Seither tanzen im Keller des unscheinbaren Gebäudes die Jungen unter einem Himmel aus Discokugeln, im ersten Stock hören Ältere Vinyl in der Waxy Bar. Seit 2009 mischen sich die Generationen im Erdgeschoss in der Bar 3000.

Über zwei Jahrzehnte hinweg haben mehr als 10'000 DJs aufgelegt, lokale Bekannte ebenso wie internationale Grössen. Allein in den letzten 33 Tagen sind 333 Künstler:innen fast durchgehend aufgetreten, um die Schliessung des Clubs am 23. März gebührend zu feiern.

Philipp Meier Zürich
Philipp Meier: «Mich interessiert einfach die junge Generation, die junge Clubkultur.» (Bild: Jenny Bargetzi)

Die Langstrasse verliert ihr Herzstück

Die «Zuki», wie sie bald genannt wurde, ist mehr als ein Club. Sie wurde zum Herzstück der Zürcher Technokultur und veränderte das Quartier mit. «Der Club ist über die Landesgrenzen bekannt als Home of Good Music», sagt Alexander Bücheli von der Bar und Club Kommission Zürich (BCK). «Die Zuki war der erste ernstzunehmende legale Club an der Langstrasse und macht sie zu einem nächtlichen Hotspot.»

Heute, 20 Jahre später, ist die Langstrasse gentrifiziert, mit schicken Bars und Restaurant-Ketten, die alle nur wenige Schritte voneinander entfernt sind. Arbeiter:innenwohnungen weichen Luxusapartments, aus Kleinbetrieben werden grosse Detailhändler. Die Zukunft selbst ist nun Opfer dieser Entwicklung. Das Gebäude wird abgerissen, an seiner Stelle soll in einem Jahr ein Coop Pronto stehen.

Doch wie wirkt sich das Ende der Zukunft auf die Zürcher Nachtkultur aus? Philipp Meier, seit drei Jahrzehnten eine prägende Figur der Zürcher Club- und Kulturszene, hat die Veränderungen miterlebt und ordnet sie ein. Im Interview spricht er über die Bedeutung der Zukunft, die Entwicklung der Clubkultur und die Frage, warum Zürich heute noch Clubs braucht.

«Ich finde es gut, wenn ein Club weiss, wann es genug ist.»

Jenny Bargetzi: Die Zukunft ist bald Vergangenheit. Was dachten Sie, als Sie das erste Mal vom Club Zukunft hörten?

Philipp Meier: Ich war vor allem skeptisch wegen des Namens «Zukunft». Ich traute ihnen nicht zu, die Zukunft der Clubkultur zu repräsentieren. Es ist ein sehr aufgeladener Begriff und ich hatte hohe Erwartungen an einen Ort, der sich Zukunft nennt.

Mit der Zukunft kam ein neuer Techno-Club an die Seite von Dachkantine und Rohstofflager, zwei Techno-Clubs auf dem Gelände der ehemaligen Tonimolkerei. Wie passte die Zukunft in die damalige Clublandschaft?

In den 90er-Jahren war die Technoszene in Zürich noch stark im Underground verankert. Damals entstand auch die Street Parade, die 1992 erstmals stattfand und schnell zu einem Symbol dieser Bewegung wurde. Mit der Zeit wurde die Szene jedoch legaler und sichtbarer. Clubs wie das Rohstofflager und die Dachkantine auf dem Toni-Areal prägten diesen Wandel und markierten den Höhepunkt einer Ära, in der Techno Zürich eroberte. Die Schliessungen dieser Clubs in den 2000er-Jahren standen sinnbildlich für das Ende dieses intensiven Aufbruchs. Der Club Zukunft repräsentiert schliesslich den Höhepunkt der Etablierung der Zürcher Technokultur.

«Die Clubkultur, wie wir sie kannten, geht zu Ende. Und das ist eigentlich gut so.»

Philipp Meier

Nun schliesst auch die Zukunft. Was bedeutet das?

Ich finde es gut, wenn ein Club weiss, wann es genug ist. Das zeugt von Qualität. Im Zweifel bin ich immer für Veränderung und Neues. Es ist spannend, am Beispiel der Zukunft über die Zukunft der Clubkultur in Zürich nachzudenken.

Gibt es diese Clubkultur überhaupt noch?

Die Clubkultur, wie wir sie kannten, geht zu Ende. Und das ist eigentlich gut so.

Wie meinen Sie das?

Es fehlt oft eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der aktuellen Relevanz von Clubs. Die Bar und Club Kommission argumentiert, man müsse die Clubkultur retten, liefert aber kaum überzeugende Gründe dafür. Die Frage «Warum braucht Zürich heute noch Clubs?» wird selten diskutiert.

«Es fehlt eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Nachtlebens für die Stadt.»

Philipp Meier

Was macht denn die Clubkultur für eine Stadt wie Zürich relevant?

Die Clubkultur ist mehr als Feiern. Sie entstand parallel zum Internet und verkörpert dessen Prinzipien im realen Raum. Ein Club ist ein Ort der Partizipation. Eine Party funktioniert nur, wenn Menschen mitmachen – wie das Internet durch Interaktion lebt. Man kann sich zurückziehen, beobachten oder Teil des Geschehens werden.

Welche Rolle spielt dabei die Nacht in der Stadt?

Die Nacht hat oft ein schlechtes Image: Lärm, Abfall, Drogen, Gewalt. Dabei wird ihre eigene Dynamik unterschätzt. Sie bietet einen Gegenpol zur Leistungsgesellschaft, ist für viele ein Ventil und Ort der Entspannung – ähnlich wie der Sport. Diesbezüglich fehlt eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Nachtlebens für die Stadt.

Wie unterscheidet sich das Clubverhalten der jüngeren Generation von der älteren?

Die neue Generation feiert anders. Viele trinken vor dem Clubbesuch Alkohol aus 24-Stunden-Shops. Outdoor-Raves ausserhalb der Stadt und illegale Partys am Stadtrand boomen. Partygänger:innen entscheiden sich bewusst, dort hinzugehen, was viele wiederum schätzen.

Zukunft Bar 3000 Waxy Bar
Die Dienerstrasse 33 mit dem Club, der Bar 3000 und der Waxy Bar. (Bild: Jenny Bargetzi)

Alternative Orte werden wichtiger.

Es ist faszinierend, wie sich junge Leute dem Kommerziellen entziehen wollen. Das ist hart für die Clubs, aber auch ein Statement. Denn in vielen Clubs, auch in der Zukunft, merkt man oft nur das Abspulen eines Businessmodells.

Trotzdem ist die Zukunft auch jenseits der Stadtgrenzen bekannt und beliebt.

Der Club Zukunft bedient nicht ausschliesslich das, was den Laden füllt und Umsatz generiert. Sie hat hohe musikalische Ansprüche, einen besonderen Groove und ein durchdachtes Konzept. Der Künstler Alain C. Kupper prägte massgeblich das Design und die visuelle Identität des Clubs. In den Anfangsjahren veröffentlichte die Zukunft sogar ein eigenes Magazin.

Sie ist keine seelenlose Kommerzmaschine, sondern ein liebevoll gestalteter Ort. Ich empfand ihn meist als warmen Club.

Aber?

Am Ende merkt man, dass die Gründer eben Männer aus meiner Generation und in mancher Hinsicht etwas stehen geblieben sind. Sie hatten lange kein Awareness-Konzept. Wenn man die Zukunft der Clubkultur sein will, hätte man das viel früher umsetzen müssen.

Warum ist Awareness so wichtig geworden?

In kommerziellen Clubs nerven mich zunehmend betrunkene Typen, die die Stimmung kaputt machen. Ich erinnere mich an einen Abend in der Zukunft, an dem Ju Dallas, die Tochter des Gründers Alex Dallas, als Kuratorin auftrat. Sie spielte wirklich gut, es war ein grossartiger Abend. Doch plötzlich kamen zwei oder drei betrunkene Typen auf die Tanzfläche und ruinierten die Stimmung. Ich stand da und dachte zum ersten Mal, die Welt wäre besser, wenn es keine Männer gäbe. Es fehlte an Kontrolle und Bewusstsein für solche Situationen. Das passiert aber auch in anderen Clubs. Ein Awareness-Konzept adressiert genau diese Probleme.

Gab es solche Vorfälle nicht schon immer? Macht das Awareness-Konzept Menschen nicht vor allem aufmerksamer dafür?

Natürlich, solche Awareness-Konzepte sind etwas Neues. Es ist wichtig, die frühere Szene nicht zu romantisieren, aber in der alternativen Partyszene gab es eine Art Selbstkontrolle, weil sich alle kannten. Es war ein überschaubarer Kreis von ein paar hundert Leuten. Wir hatten damals auch Praktiken, die ich bei heutigen Awareness-Konzepten manchmal vermisse.

waxy bar
Viel Liebe zum Abschied. (Bild: Jenny Bargetzi)

Zum Beispiel?

Es war üblich, zwischen 2 und 3 Uhr morgens Obst zu verteilen. Das half, die Stimmung zu stabilisieren, wenn Leute zu viele Drogen konsumiert hatten oder aggressiv wurden. Mit der Corona-Pandemie wurde das aus hygienischen Gründen schwierig.

Gibt es einen Club, der diesem früheren Ideal nahekommt?

Ich finde, das Kauz kommt dem Ideal der alternativen Szene von früher und heute am nächsten. Ich fühle mich dort wohl und habe selten das Gefühl, dass es problematische Besucher:innen gibt. Für mich ist das Kauz der natürliche Nachfolger der Zukunft.

Und wie behalten Sie die Zukunft in Erinnerung?

Als Fixstern in der Zürcher Clublandschaft.

2025-01-07 Jenny Bargetzi Portrait-23 (1)

Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in Politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare