«Der politische Alltag ist mit Beruf und Familie verdammt schwierig zu bewältigen»

In diesem Sommer tritt mit Cathrine Pauli die einzige bürgerliche Gemeinderätin zurück, die sich selbst als Feministin bezeichnet. Im Interview erzählt die FDP-Politikerin, warum sie mit einem feministischen Streik Probleme hat, was im Rat ihrer Meinung nach falsch läuft und warum sie ihr Amt nach drei Jahren wieder aufgibt.

Cathrine Pauli, FDP
Cathrine Pauli sass seit knapp drei Jahren im Zürcher Stadtparlament. (Bild: Elio Donauer)

Als Cathrine Pauli sich in der vorzeitig abgebrochenen Gemeinderatssitzung vom 14. Juni als «selbstbestimmte Feministin» bezeichnete, erntete sie teilweise Gelächter von der linken Ratsseite. Noch am selben Abend wurde bekannt, dass die einzige Bürgerliche in der gemeinderätlichen Interessengemeinschaft Frauen ihr Ratsmandat niederlegen wird. Diese Entscheidung habe sie allerdings bereits einige Wochen zuvor getroffen, erzählt sie. Und das Lachen von Links stecke sie locker weg.

Steffen Kolberg: Die Gemeinderatssitzung am 14. Juni wurde nach einem Ordnungsantrag von links-grüner Seite abgebrochen, damit Ratsmitglieder am feministischen Streiktag teilnehmen können. Sind Sie nach dem Abbruch zum Streik gegangen?

Cathrine Pauli: Nein.

Warum nicht?

Ich wollte nicht. Für mich war vordergründig, dass die Gemeinderatssitzung stattfindet. Die Haltung «statt in den Gemeinderat gehe ich an den Frauenstreik» stimmt für mich nicht. Ein Volksmandat steht über dem Frauenstreik, das ist der erste Punkt. Der zweite ist, ich habe wirklich Mühe mit einem feministischen Streik. Es gibt einen Unterschied zwischen einer Feministin und einer Frau. Frau ist ein Überbegriff wie Mann und feministisch sein ist eine politische Ausrichtung. Ich finde es schade, dass der Frauenstreik jetzt feministischer Streik heisst. 

Was stört Sie an dem Begriff?

Ich kenne viele Frauen, die wie ich feministisch denken, sich aber nicht als Feministinnen bezeichnen. Sie würden an einen Frauenstreik gehen, denn dieser ist offen für alle Frauen: links, rechts, gut ausgebildet, nicht ausgebildet, Ausländerinnen, Inländerinnen. Vor vier Jahren ging es darum, einfach mal wieder ein Statement zu setzen. Damit habe ich mich identifizieren können und ich bin gegangen. Dieses Jahr war es für mich kein Thema zu gehen. Es ist meine Entscheidung und ich will mich dafür auch nicht rechtfertigen, das ist Selbstbestimmtheit. Diskussionen wie die um den Abbruch der Gemeinderatssitzung sind mir dagegen zuwider. Menschen, die im Pflegeberuf, im Notfallbereich, in Alters- oder Betreuungsinstitutionen arbeiten, konnten auch nicht an die Demonstrationen gehen. Genauso wenig wie wir das hätten tun können. Mit dem Unterschied, dass es im Gemeinderat keine Anwesenheitspflicht gibt. Man hätte ja fehlen und dann auch kein Taggeld einziehen können.

«Ich fühle mich verbunden mit den Frauen, die auf die Strasse gehen.»

Cathrine Pauli über die Streikenden vom 14. Juni

Sie selbst bezeichnen sich als «selbstbestimmte Feministin». Warum haben Sie dennoch Mühe mit dem Begriff Feminismus?

Ich habe mich ein Leben lang für die Gleichberechtigung von Frauen in der Gesellschaft eingesetzt. Und das habe ich immer erst an mir selbst erprobt. Ich habe mich in Männer-Businesswelten behauptet, kam in Gebiete hinein, die eigentlich nicht selbstverständlich offen für Frauen sind und habe in meiner Position andere Frauen gefördert. Das ist meine Art, Feministin zu sein: Zu zeigen, dass ich als Frau mit einem 80-Prozent-Pensum, mit kleinen Kindern und einem Mann, der in dieser Zeit auch 80 Prozent gearbeitet hat, das genauso kann wie ein Mann mit 100 Prozent, der nebendran vielleicht sogar noch die Frau Zuhause hat, die für die Kinder sorgt. Ich möchte anderen Frauen ein Beispiel sein, dass man anders vorgehen kann und soll. Dass man nicht mit kleinen Kindern sagen muss: Ich muss jetzt Zuhause bleiben. Sondern dann erst recht in Führungspositionen geht.

Das können sich aber nur Menschen leisten, die bereits in bestimmten Positionen sind.

Ich habe mich weitergebildet, um weiterzukommen. Und ich bin dafür, dass wir alle uns konstant weiterbilden, unabhängig davon, welche Ausbildung wir haben. Ob wir Pfleger:innen oder Student:innen sind, ob wir eine Lehre und Berufsmaturität gemacht haben oder etwas anderes: Es ist ein kontinuierliches, lebenslanges Lernen.

Karin Weyermann von der Mitte sagte ja beispielsweise, sie sei mit vielen Forderungen des Streiks in diesem Jahr nicht einverstanden, halte ihn aber trotzdem für unterstützenswert. Wäre das nicht auch eine Haltung, die Sie so teilen könnten?

Ja. Und Karin Weyermann war ja ebenfalls gegen den Sitzungsabbruch. Wenn nicht abgebrochen worden wäre, dann hätte ich wahrscheinlich auch die Streik-Plakette angezogen, die ich von Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne) bekommen habe. Aber ich fand: So nicht. Ich fühle mich verbunden mit den Frauen, die auf die Strasse gehen. Ich fühle mich auch verbunden mit denen, die in den typischen Frauenberufen sind und darunter leiden, weil sie tiefe Löhne haben. Ich unterstütze alle Massnahmen, die für Bewegung in den Geschäftsführungs- oder Verwaltungsratspositionen sorgen, aber ich bin gegen eine Quote. Ich finde, das muss wachsen. Es gibt andere Methoden: Tue Gutes und sprich darüber, sei selbst in der Vorreiterinnenrolle. Was mich bedenklich macht, ist, wenn man sich den Bundesrat oder auch den Stadtrat anschaut: Wie viele Väter und Mütter sind dort? Auch im Gemeinderat ist der Anteil derer, die Kinder haben und berufstätig sind, bedenklich tief. Dort müssen wir ansetzen.

Aber gerade bei so einem Thema müssten Sie ja inhaltlich völlig d'accord gehen mit der Gegenseite. Worin unterscheidet sich Ihr Ansatz?

Es ist ein pragmatischer Ansatz. In meiner Generation trauten sich viele Frauen nicht zu, bestimmte Positionen zu übernehmen. Ich habe gesagt: Ich mach's. Oft kommt es aber dazu, dass Frauen in Führungspositionen nachkommende Frauen unterdrücken. Das ist wissenschaftlich belegt und ich habe es selbst in meinem Arbeitsleben erlebt. Wenn die Frauenförderung aber nur durch Männer geschieht, ist das ziemlich tragisch. Da müssen wir Frauen uns am Kragen nehmen und uns fragen: Warum ist das so? Warum werden zum Beispiel auch Organisationen in Branchen mit hohem Frauenanteil oft noch von Männern geführt? Spitex Zürich besteht mehrheitlich aus Frauen, wird aber seit kurzem von einem Mann geführt. Da verstehe ich die Welt nicht mehr.

Mir ging es eher um politische Ansätze.

Ich denke liberal. Und ich habe kein Auto, ich esse nur einmal in der Woche Fleisch, wir leben in einem Minergie-Haus und haben einen Garten nach biodiversen Richtlinien. Ich bin eigentlich verdammt grün, aber ich will nicht, dass mir das jemand vorschreibt. Ich mache einfach stille Aufklärung. Und ich glaube, das bringt mehr als grosses Vorschriften-Getue, bei dem dann wieder Jurist:innen später klären müssen, ob irgendwelche Verordnungen und Gesetze auch eingehalten werden.

Cathrine Pauli, FDP
Pauli ist diplomierte Architektin, hat aber auch Management und Gerontologie studiert. (Bild: Elio Donauer)

In den Reihen von FDP und SVP sind Sie die einzige, die sich als Feministin bezeichnet und auch die einzige, die in der gemeinderätlichen IG Frauen aktiv war. Warum sind andere bürgerliche Frauen nicht Mitglied?

Diese Frage habe ich in der Fraktion auch schon gestellt: «Warum bin ich die einzige liberale Politikerin, die zurzeit aktiv bei der IG Frauen ist?» Einige aus der Fraktion haben sich dann klar dagegen positioniert, weil sie finden, es brauche nicht dieses Separée der Frauen, uns würde es ja gut gehen. In diesem Punkt widerspreche ich meiner Partei: Gleichstellung ist ein Thema. Es gibt immer noch die gläserne Decke in den Geschäftsführungs-Etagen, einen tieferen Durchschnittslohn in typischen Frauenberufen oder Gewalt an Frauen. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eine äusserst grosse Herausforderung.

«Ich habe nicht den Willen, in der Politik meine letzte Bluse zu opfern.»

Cathrine Pauli über die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und politischem Amt

Einer der Gründe, weshalb Sie nun aus dem Rat zurücktreten, ist ja die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und politischem Amt.

Ja, der politische Alltag ist mit Beruf und Familie verdammt schwierig zu bewältigen. Wenn man politisch Karriere machen will, mag das okay sein. Aber ich mache das aus Spass und habe nicht den Willen, in der Politik meine letzte Bluse zu opfern. Ich will auch noch private Interessen verfolgen können. Es werden beispielsweise unglaublich viele Postulate eingereicht. Im letzten Jahr waren es 516, bei 125 Mitgliedern! Das verlängert die Gemeinderatssitzungen enorm. Es ist mir zu spät, wenn ich jeden Mittwoch deshalb erst um 23 Uhr nachhause komme. Viele dieser Vorstösse sind detailorientert und auf die Kernkompetenz der Exekutive ausgerichtet, manchmal sogar voller Schreibfehler und mit kryptischen Begründungen. Dabei geht oft vergessen: Wir sind die Legislative. Am Schluss steht noch eine Verwaltung dahinter, die all diese Postulate und Motionen bearbeiten muss.

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Was müsste geschehen, um Rücktritte wie Ihren in Zukunft zu vermeiden?

Es braucht von allen die Disziplin, sich zu überlegen, ob es bestimmte Vorstösse wirklich braucht. Bei vielen Forderungen würde es genügen, mit den eigenen Stadträt:innen zu reden, damit sie sich beispielsweise um eine zusätzliche Ampel an einer bestimmten Strasse kümmern. Längst nicht alle Vorstösse sind bei der Legislative richtig aufgehoben und wir müssen aufhören, die Exekutive zu mikromanagen. Die Wohnbau-Thematik beispielsweise ist eine grundlegende Sache und dafür bin ich bereit, mich politisch einzubringen. Aber diese ständigen Rechts- und Linksradikalismus-Diskussionen führen nur zu einer Polarisierung im Gemeinderat. Lasst uns doch an den essentiellen Problemen arbeiten.

Die wären Ihrer Meinung nach?

Die steigenden Mieten oder der Fakt, dass Kinder aus bildungsferner Umgebung weniger ans Gymi gehen. Das wären für mich Themen, mit denen sich die Linken mal beschäftigen könnten. Wir haben zu wenig Studierte und müssen die ganze Zeit Ärzt:innen importieren. Ich verstehe, dass es im kommunalen Parlament Gruppen gibt, die eine Minorität darstellen und ihre Rechte durchpushen wollen – beispielsweise LGBTQ oder mobilitätseingeschränkte Menschen. Aber sollten wir uns mit diesen Themen wirklich in der Vehemenz beschäftigen, mit der wir es im Moment im Gemeinderat tun?

Das Wohnthema wird ja durchaus gross diskutiert.

Wäre ich bei den Grünen, würde ich mir zum Beispiel mal anschauen, wie viel Quadratmeter ein Mensch wirklich braucht. Zwei Parameter im kommunalen Wohnungsbau wären für mich der Quadratmeterverbrauch pro Kopf und das Einkommen. Es war aber ein Vorstoss der FDP, zu fordern, dass in Stadtwohnungen nicht Menschen leben sollen, die über einem bestimmten Jahressalär stehen. Für mich wäre es auch ein Thema, wie wir wieder kleine Stadtwohnungen planen können, die möglichst wenig Footprint durch eine geringe Quadratmeterfläche haben. Man könnte sich auch darum kümmern, Mietrichtlinien zu ändern oder zu schauen, wie wir Flächen optimieren können beim Schulhausbau. Wir haben genügend linke Stadträt:innen in diesen Departementen, in denen man sozialpolitische Komponenten unterbringen könnte, ganz ohne politischen Vorstoss. Sie haben die Macht, sie könnten alles durchwinken. Und dann geht es auf der linken Seite so oft um den «Klassenkampf». Wir sind aber nicht mehr im Modus Klassenkampf. Wir haben neue gesellschaftliche Themen wie den demografischen Wandel, wegen dem wir Rückschritte werden machen müssen. Ich weiss, dass ich mich darauf einstellen muss, im Alter viel weniger Geld zu haben. Oder ich arbeite bis 70, 72. Mir ist völlig klar, dass es Berufsgattungen gibt, in denen das nicht geht. Aber wer arbeitet denn heute bis 65? Die ganze Gastronomie und das Baugewerbe zum Beispiel. Diejeinigen, die bis 70 arbeiten könnten, also Angestellte bei Banken oder Versicherungen, viele gehen in Frühpension und belasten dadurch unsere AHV. Im Angesicht dessen müsste man doch mindestens für ein flexibles Rentenalter sein.

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