Tsüri-Chopf Florian Vock: «Es geht nicht um sexuelle Vorlieben, sondern um Identität»

Florian Vock ist nicht nur politisch aktiv für die Aargauer SP, sondern auch Mitgründer der «Milchjugend»: Eine Organisation von Jugendlichen, die Raum für LGBT-Jugendliche bietet. Warum die Milchjugend sein Herzensprojekt ist und es trotzdem Zeit ist, sie hinter sich zu lassen, erzählt er in diesem Interview.

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Wer bist du?

Was für eine Roger Schawinski-Frage! Ich habe zu viel Philosophie studiert, um eine vernünftige Antwort geben zu können. Im Kontext dieses Interviews verstehe ich mich als politischer Aktivist.

Und privat?

Ich bin so, wie viele sind. Ich habe kein extravagantes Hobby und liebe lange Abende mit guten Freund*innen. Ich identifiziere mich sehr stark durch das, was ich mache. Ich kann mir kein Leben vorstellen, in dem ich mich nicht für Dinge engagiere, die mir am Herzen liegen. Für mich gibt kein «es bitzli mitmache» – entweder ich gebe alles und mache auch die Dinge, die weniger Spass machen oder ich lass es sein.

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Röbi und Ernst kurz nachdem sie sich in der Barfüsser-Bar 1956 kennenlernten.

(Foto: Urheber: Ernst Ostertag, Zürich. Besitzer: Sammlung E. Ostertag / R. Rapp, Zürich © Ernst Ostertag und Röbi Rapp, Zürich. ID: 0072)

In der Schweiz gibt es eine Tradition von LGBT-Bällen – Röbi Rapp und Ernst Ostertag, Schweizer Schwulenkämpfer, welche man heute noch kennt, haben im Theater Neumarkt damit begonnen. Neben dem Fest gab es Drag Shows, und zu jener Zeit war das Theater Neumarkt einer der modernsten Orte, an dessen Bällen Menschen aus ganz Europa teilnahmen, Männer tanzten mit Männern, und Frauen mit Frauen. Es entstand ein Wunsch, wieder so etwas zu machen, also realisieren wir das. Besonders schön ist, dass Röbi und Ernst dabei sein werden, wenn es ihre Gesundheit zulässt.

Was ist im Moment die Herausforderung?

Wir haben die Milchjugend vor über fünf Jahren gegründet und die momentane Herausforderung besteht darin, dass die Zeit gekommen ist, die Verantwortung weiterzugeben. Einerseits will ich, dass das, was wir aufgebaut haben, weiterlebt. Andererseits habe ich eine genaue Vorstellung davon, wie das gehen soll. Die Verantwortung, das Prestige, die Aufmerksamkeit und der Stolz, die mit der Organisation verbunden sind, loszulassen, ist schwierig. Dieses Thema zeigt auch, dass es wirklich mein Herzensprojekt ist – sonst würde mir der Abschied nicht so schwer fallen.

Viele Jugendprojekte scheitern, weil sie den Generationen-Sprung nicht schaffen. Uns wird das nicht passieren.

Florian Vock

Warum lässt du denn die Milchjugend hinter dir?

Wir sind zu alt geworden. Anfangs konnten wir noch sagen «Wir LGBT-Jugendlichen brauchen etwas». Irgendwann hat man ein regelmässiges Einkommen, wohnt schon lange nicht mehr bei den Eltern, das Leben und die Fragen, die sich stellen, verändern sich. Wenn ich jetzt etwas sage, gleichen meine Worte eher einem mütterlichen Rat, ich gehöre nicht mehr zum «wir». Viele Jugendprojekte scheitern, weil sie den Generationen-Sprung nicht schaffen. Uns wird das nicht passieren. Das Projekt bestand immer aus «Jugendlichen für Jugendliche». Für mich ist das jetzt vorbei. Das Bedürfnis, ein aktives Mitglied einer Community zu sein, bleibt, aber es wird ausserhalb der Milchjugend sein.

Es geht nicht nur um sexuelle Vorlieben, sondern um Identität. Man kann Sex mit Männern haben, ohne schwul zu sein.

Florian Vock

Was bietet die Milchjugend der Stadt?

Das queere Leben ist immer noch schwierig, auch wenn alle nett sind. Man wird seltener zusammengeschlagen oder nicht gleich von Zuhause verstossen. Selbst wenn dich deine Hetero-Kollegen easy finden: Es geht nicht nur um sexuelle Vorlieben, sondern um Identität. Man kann Sex mit Männern haben, ohne schwul zu sein. Es geht um mehr: Wir wollen gemeinsam queere Identitäten entwickeln und unsere Sichtbarkeit in der Gesellschaft erkämpfen. Sowas kann man nicht alleine schaffen, es braucht eine Gemeinschaft. Als Hetero wird die geschlechtliche und sexuelle Identität beiläufig erschaffen – etwa in der Familie, in der Schule und bei der Arbeit. Bei uns ist das mit mehr Aufwand verbunden. Es macht das Leben schwieriger, aber auch freier, selbstbestimmter und bunter!

Was ist dein bisher schönstes Erlebnis mit der Milchjugend?

Ich könnte jetzt sagen, dass ich stolz darauf bin, dass wir ein Festival organisiert haben. Aber was mich tatsächlich berührt, ist die Veränderung zu sehen, die die Jugendlichen bei uns erleben – wie sie erwachsener werden, sich finden und zufriedener mit sich selbst werden. Es passiert nicht, weil man zuhause Blogs liest, sondern etwas anpackt; sei es 100 Origamis für eine Veranstaltung falten, DJ's buchen oder redaktionelle Beiträge für das Milchbüechli schreiben. Ich mache etwas Tolles für mich und meine Freund*innen, und es hat einen Sinn. Jetzt organisieren diese Leute teilweise en passant einen Ball im Neumarkt oder sind Chefredaktor*innen bei Magazinen. Das macht mich glücklich.

Eigentlich bräuchte jede Stadt ein Regenbogenhaus, aber ich bin ja nur König von Zürich (lacht).

Florian Vock

Was würdest du tun, wenn du für ein Tag König von Zürich wärst?

Ich würde mitten im Kuchen ein Regenbogenhaus bauen: Ein Zentrum für alle Organisationen, an das man sich für medizinische Fragen – auch Testing – wenden könnte. Es gäbe ein Kafi, eine Bar und Räumlichkeiten für alle, die Platz brauchen. Einen Verein, der dies anstrebt, existiert bereits. Natürlich sind wir Mitglied, aber die Möglichkeiten sind beschränkt. Es fehlt ein Regenbogenhaus in Zürich, weil es unsere Arbeit um einiges erleichtern würde, doch die Community kann sich keinen physischen Raum leisten. Eigentlich bräuchte jede Stadt ein Regenbogenhaus, aber ich bin ja nur König von Zürich (lacht).

Titelbild: David Zehnder

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