Den Männern das Zentrum, den Frauen Zürich Nord: Rosa-Luxemburg-Park kommt nicht

Anlässlich ihres hundertsten Todestages möchte die AL Rosa Luxemburg einen Park widmen. Die Idee findet Anklang in Parlament und Stadtrat – und wird doch nicht umgesetzt. Die Begründungen offenbaren nicht nur ein Kommunikationsproblem im zuständigen Departement, sondern auch eine Tendenz bei der Verteilung von Strassennamen, die Stoff für zukünftige Konflikte birgt.

Zweierplatz
Fällt kaum auf: Der Zweierplatz im Kreis 4. (Bild: Steffen Kolberg)

«Wir wollten nichts Aussergewöhnliches, sondern vor allem etwas Zentrales», erläutert AL-Gemeinderat David Garcia Nuñez die Entscheidung, eine namenlose, unscheinbare Grünflache im Kreis 4 für eine Widmung Rosa Luxemburgs vorzuschlagen. Mehrere Stunden habe er damit verbracht, im GIS-Browser nach unbenannten Plätzen in der Stadt zu suchen. Denn eine Grundvoraussetzung muss in Zürich erfüllt sein, um eine Strasse, einen Platz oder eine Grünanlage nach einer Persönlichkeit zu benennen: Der Ort darf nicht bereits einen Namen haben.

So will es die Strassenbenennungskommission, Hüterin über die Einheitlichkeit und Orientierungsleistungsfähigkeit des städtischen Strassenraums. «Es ist für die Orientierung nicht hilfreich, wenn sich die Namen von Strassen ändern», hält diese knapp auf ihrer Webseite fest. Damit scheint die Ausgangslage in der Causa Rosa-Luxemburg-Park eigentlich klar. Doch je weiter man sich durch die fünf Akte dieses Dramas fortbewegt, desto unklarer werden die Aussichten für das Unterfangen, die Vorkämpferin der Arbeiter:innenbewegung in Zürich zu würdigen.

1. Akt: Die grosse Einigkeit

2019, hundert Jahre nach ihrer Ermordung, reichen Garcia Nuñez und seine Fraktionskollegin Ezgi Akyol im Gemeinderat ein Postulat ein, das den Stadtrat auffordert, zu prüfen, ob der kleine «Park zwischen Badener- und Zweierstrasse den Namen Rosa-Luxemburg-Park» erhalten kann. Der frühere Schulhof des alten Schulhauses Aussersihl sei ihnen passend vorgekommen, so Garcia Nuñez. Eine ehemalige Bildungsstätte «im historischen Arbeitendenquartier», wie es im Postulatstext heisst, stelle «den besten Ort für die Erinnerung an diese historische Figur» dar. Ungeachtet der Tatsache, dass Rosa Luxemburg während ihres mehrjährigen Aufenthalts in Zürich gar nicht in Aussersihl gelebt hat.

David Garcia Nuñez
David Garcia Nuñez (AL) setzt sich für eine Würdigung Rosa Luxemburgs im Zentrum Zürichs ein. (Bild: Steffen Kolberg)

Knapp zwei Jahre nach seinem Eingang, Ezgi Akyol ist zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr Ratsmitglied, kommt das Postulat 2021 im Gemeinderat zur Diskussion. SP und Grüne stellen sich hinter die Forderung und verschaffen ihr so eine satte Mehrheit. Die Debatte um fehlende weibliche Repräsentation auf Zürichs Strassenschildern ist zu diesem Zeitpunkt in vollem Gange – auch Tsüri.ch widmet ihr einen Beitrag. Im Nachgang des feministischen Streiks von 2019 hatte die Zürcher Fachstelle für Gleichstellung darauf hingewirkt, acht bereits mit Frauennamen versehene Strassen umzuwidmen und mit konkreten historischen Persönlichkeiten zu verknüpfen.

Die für Strassenbenennungen zuständige Vorsteherin des Sicherheitsdepartements, Karin Rykart, erklärt sich bereit, das Postuat zur Prüfung entgegenzunehmen – in der Regel ein Zeichen der stadträtlichen Zustimmung oder zumindest der Einschätzung, dass das Anliegen formal umsetzbar ist. Die Grüne Politikerin hatte 2019 selbst am Streik teilgenommen und die Sichtbarkeit und Förderung von Frauen in ihrem Departement zum Thema gemacht. Überhaupt bemüht sich der Stadtrat schon länger, bei der Benennung von Strassen vordringlich Frauen zu bevorzugen. Das schreibt er zumindest 2021 in einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage der beiden SP-Politikerinnen Natascha Wey und Simone Brander.

2. Akt: Dagegen, aber warum?

Doch es kommt anders als gedacht. Im August 2022 teilt der Stadtrat Garcia Nuñez mit, dass es an besagter Stelle keinen Rosa-Luxemburg-Park geben wird. Seither habe er an verschiedenen Stellen der städtischen Verwaltung versucht, eine Erklärung für die Absage zu bekommen, so Garcia Nuñez. Doch es kämen immer neue Begründungen. «Der Hauptgrund, so sagte man mir, sei, dass wir eigentlich einen Platz wollten und damit mit dem Zweierplatz, den niemand kennt, konkurrieren.»

«Wir haben einen Park und keinen Platz verlangt.»

AL-Gemeinderat David Garcia Nuñez

Beim Zweierplatz handelt es sich um den Platz vor dem alten Schulhaus Aussersihl. Als Platz ist er jedoch schwer zu erkennen, handelt es sich doch in erster Linie um eine grosse Strassenkreuzung. Hier treffen Zweier-, Badener-, Birmensdorfer- und Strassburgstrasse aufeinander. Im dichten Verkehr fällt das Strassenschild mit dem Namen «Zweierplatz» kaum auf.  Dass man mit dieser Kreuzung in Konkurrenz treten wolle, verneint Gemeinderat Garcia Nuñez: «Wir haben einen Park und keinen Platz verlangt.»

Er legt eine E-Mail vor, die noch eine weitere, kryptischere Begründung hinzufügt: «[Wir] sind zum Schluss gekommen, dass der vorgeschlagene Ort respektive Park der falsche Ort für die Benennung ist, da es dem Zweierplatz Konkurrenz macht», heisst es dort, und weiter: «Eine Tafel würde den Charakter der Grünanlage verändern.» Die E-Mail stammt von der Strassenbenennungskommission. Jenem Gremium also, das die Namensvorschläge für Zürichs Strassen sammelt und sie nach seinen eigenen Grundsätzen für die Benennung von Strassen auswählt. Zwar hat die Kommission nicht die Entscheidungsgewalt, sie untersteht dem Sicherheitsdepartement und ist diesem gegenüber nur beratend tätig. Doch gegen ihren Willen werden in Zürich in der Regel keine Strassen benannt.

«Aus einem überwiesenen Postulat lässt sich kein Anrecht auf die Benennung einer Strasse oder Grünanlage ableiten.»

Mediensprecher des Sicherheitsdepartements

Garcia Nuñez sieht hier deshalb ein grundsätzliches Problem für das demokratische Verständnis der städtischen Institutionen: «Wir haben im Gemeinderat ausführlich darüber diskutiert und sind dabei auf alle Gründe der Strassenbenennungskommission eingegangen. Das ist ein demokratisches Gremium von 125 Menschen. Demgegenüber steht die Kommission als intransparente Institution, die keinen Einblick in ihre Arbeit gewährt.»

3. Akt: Weiss die Stadt, was sie will?

Tatsächlich möchte man sich vonseiten der Kommission gegenüber Tsüri.ch nicht zur Frage des Rosa-Luxemburg-Platzes äussern und verweist stattdessen auf die Medienstelle des Sicherheitsdepartements. Der dortige Mitarbeiter hebt hervor, dass ein Postulat lediglich ein Prüfauftrag sei: «Aus einem überwiesenen Postulat lässt sich kein Anrecht auf die Benennung einer Strasse oder Grünanlage ableiten.» Und er nennt einen neuen Grund für die ablehnende Haltung der Stadt: An Rosa Luxemburg erinnere bereits eine Gedenktafel an ihrem ehemaligen Wohnhaus in der Plattenstrasse, dem heutigen Englischen Seminar der Universität Zürich. Bei der Benennung von Strassen würden allerdings grundsätzlich Persönlichkeiten präferiert, die noch nicht anderweitig im Stadtbild gewürdigt werden.

Der AL-Fraktionschef lässt dieses Argument nicht gelten. Die bestehende Gedenktafel sei unter dem Balkon im ersten Stock des nicht einfach zugänglichen Hauses befestigt, nicht sehr gross und vor Dreck kaum lesbar. Und er hat Gegenbeispiele parat: «Das urzürcher Geschlecht Tuggener hat in Zürich zwei Strassen. Bullinger hat einen Platz und eine Strasse. Was für Eidgenoss:innen gilt, wird der Migrantin verwehrt. Wenn diese Regelung wirklich so sakrosankt ist, hätte das der Stadtrat mitteilen müssen, bevor er das Postulat angenommen hat.»

Zweierplatz
Das ist nicht Rosa Luxemburg, sondern die Plastik «Frau» der Bildhauerin Alis Guggenheim: Der weiterhin unbenannte Park beim Zweierplatz. (Bild: Steffen Kolberg)

Warum die Strassenbenennungskommission dem AL-Gemeinderat eine gänzlich andere Begründung geschickt hat und was genau unter dieser zu verstehen ist, das weiss der Mediensprecher nicht. Zwar habe er keine Kenntnis über den Inhalt der E-Mail, doch er habe gerade erst mit der Person gesprochen, die sie versendet habe, und er könne versichern: Die bereits vorhandene Gedenktafel sei der einzige Grund für die abschlägige Entscheidung der Kommission. Als Kandidatin für eine zukünftige Benennung im Strassenraum komme Rosa Luxemburg aufgrund ihrer Bedeutung aber dennoch durchaus in Betracht.

4. Akt: Die grosse Einigkeit, Teil 2

Immerhin in diesem Punkt stimmen die Aussagen aus der E-Mail mit denen des Mediensprechers überein. «Der Bedeutung von Rosa Luxemburg ist eine entsprechende Beachtung zu schenken», heisst es darin: «Jedoch sieht die Strassenbenennungskommission aktuell keinen Ort, wo dieser Park benannt werden soll.» Und auch Stadträtin Rykart habe ihm gegenüber durchaus signalisiert, dass man mit dem Namen Rosa Luxemburg noch etwas vorhabe und er auf die Namensvorschlagsliste der Strassenbenennungskommission komme, bestätigt AL-Gemeinderat Garcia Nuñez.

Dann wendet sich das Blatt noch einmal: Konfrontiert mit den Zitaten, die Tsüri.ch von ihm für diesen Text benutzen möchte und aus denen ablesbar ist, dass die widersprüchlichen Begründungen vonseiten der Stadt ein Thema sein werden, schickt der Mediensprecher eine Datei zurück, die fast vollständig rot eingefärbt ist. Er habe die Kommission komplett falsch verstanden, entschuldigt er sich.

Die bisherige Gedenktafel für Rosa Luxemburg spielt nun keine Rolle mehr in seinen Aussagen, stattdessen heisst es: «Die Strassenbenennungskommission hat den Antrag geprüft und abschlägig entschieden. Nicht grundsätzlich, sondern weil es der falsche Ort ist. Der kleine Park beim Zweierplatz wird der Bedeutung von Rosa Luxemburg nicht gerecht.»

Welcher Ort in Zürich stattdessen Rosa Luxemburg gerecht werde, lässt der Mediensprecher offen. Warum zuvor andere Begründungen kursierten, ebenso. Der vorläufige Platz für eine Würdigung Rosa Luxemburgs scheint ein Ehrenplatz auf der Wunschliste der Strassenbenennungskommission zu sein.

5. Akt: Aber Wann und Wo?

«Kommt der Name auf die Liste, bedeutet das, die Würdigung von Rosa Luxemburg im Strassenbild wird verschoben auf den Sankt Nimmerleinstag», befürchtet David Garcia Nuñez. Denn da die Strassenbenennungskommission sich ja grundsätzlich gegen Umbenennungen stellt, dürfte ihre Liste von Namensvorschlägen nur bei neu errichtetem Strassenraum zur Anwendung kommen. Und dieser entsteht praktisch nur noch bei Arealentwicklungen in den ehemaligen Industriequartieren im Norden und Westen der Stadt.

«Es stellt sich die Frage, ob es Sinn macht, einen Platz am Rand der Stadt nach Rosa Luxemburg zu benennen, oder dass die Frauennamen nun alle in Zürich Nord sind, während den Männern das Zentrum gehört», findet der AL-Politiker. Das Schicksal von Rosa Luxemburgs Namensvetterin Rosa Bloch scheint seine Zweifel zu bestätigen: Die Vorkämpferin für Arbeiter:innen- und Frauenrechte und Mitorganisatorin des Generalstreiks von 1918, die im Gegensatz zu Luxemburg tatsächlich in Aussersihl gewirkt hatte, soll laut GIS-Verzeichnis zukünftig mit einem Strassennamen im Norden gewürdigt werden: Nach ihr soll eine 50 Meter lange Sackgasse in einer geplanten Arealüberbauung beim Bahnhof Oerlikon benannt werden. Ob das ihrer Bedeutung gerecht wird?

Rosa Luxemburg
(Bild: unbekannter Fotograf, via Wikimedia Commons)

Rosa Luxemburg in Zürich

Rosa Luxemburg wurde 1871 als Rozalia Luxenburg im russisch verwalteten Polen geboren. Nach ihrem Schulabschluss floh sie aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einer verbotenen Oppositionsgruppe in die Schweiz. Von 1889 bis 1898 lebte sie in der Plattenstrasse im Quartier Oberstrass und studierte an der Universität Zürich, der einzigen Universität im deutschsprachigen Raum, die in jener Zeit Frauen zum Vollstudium aufnahm, unter anderem Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftsehre. Sie knüpfte Kontakte zu emigrierten Sozialist:innen aus Polen, Russland und Deutschland, gab eine polnische marxistische Zeitschrift heraus und hinterliess Eindruck mit ihrer Rede auf dem Kongress der Sozialistischen Internationale in der Tonhalle 1893, in der sie für ihre eigene Zulassung zum Kongress warb.

Nach ihrem Aufenthalt in Zürich ging sie nach Deutschland, wo sie zunächst als Wortführerin im linken Flügel der SPD Bekanntheit erlangte. In der Zeit des Ersten Weltkriegs gehörte sie zu den Mitgründer:innen des marxistischen Spartakusbundes, später der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Nachdem ein unter dem Namen «Spartakusaufstand» bekannt gewordener Aufstand in Berlin niedergeschlagen worden war, wurden Rosa Luxemburg und ihr Mitstreiter Karl Liebknecht von konterrevolutionären Kräften als Verantwortliche beschuldigt und am 15. Januar 1919 ermordet.

20212021-05-07-autorenbild-steffen-kolberg-43

Sein Studium in Politikwissenschaften und Philosophie in Leipzig brachte Steffen zum Journalismus. Als freier Journalist schrieb er für die WOZ, den Tagesspiegel oder die Schaffhauser AZ. Laut eigenen Aussage hat er «die wichtigste Musikzeitschrift Deutschlands, die Spex, mit beerdigt». Seit 2020 ist Steffen bei Tsüri.ch. Sein Interesse für die Zürcher Lokalpolitik brachte das wöchentliche Gemeinderats-Briefing hervor. Nebst seiner Rolle als Redaktor kümmert er sich auch um die Administration und die Buchhaltung.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare