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Trotz Kinokrise: «Das Kino ist und bleibt für mich die Kür der Kultur»
Die Zürcher Kinoszene steht vor neuen Herausforderungen: Ein grosses Filmfestival übernimmt ein Kino, während andere schliessen müssen. Frank Braun, Programmleiter des Riffraff und Houdini, spricht über die Auswirkungen auf die Kinolandschaft und die Bedeutung einer gemeinsamen Zusammenarbeit.
Noëmi Laux: Erst das Kosmos, kurz darauf das Alba und das Uto – in Zürich gibt ein Kino nach dem anderen sein Ende bekannt. Geht es Ihren Kinos besser als anderen?
Frank Braun: Es gibt heute kein Kino, dem es wirklich gut geht. Alle kämpfen nach wie vor mit den Folgen der Pandemie. Das Riffraff und Houdini haben dank ihrem eigenständigen Programm ein treues Stammpublikum. Auch sind die beiden Kinocenter mit mehreren Sälen und integrierter Gastronomie gegenüber Einzelhäusern im Vorteil. Wie es uns im Vergleich zu anderen Kinos geht, lässt sich deshalb nur bedingt sagen. Zudem bestehen zwischen privatwirtschaftlich geführten Betrieben wie den unsrigen und grossen Kinoketten wie etwa den Blue-Kinos grosse Unterschiede.
Anders gefragt: Wie geht es Ihnen in Zahlen?
Im letzten Jahr lagen wir noch gut 30 Prozent hinter den Besucher:innenzahlen vor der Pandemie. In diesem Jahr kam uns der verregnete Frühling entgegen. Im Vergleich zum ersten Quartal des letzten Jahres konnten wir 75 Prozent mehr Eintritte verzeichnen. Die Richtung stimmt, aber wir müssen uns weiter nach der Decke strecken, bis wir wieder selbsttragend sind. Es wird wohl noch zwei Jahre brauchen, bis sich die Kinobesuche einpendeln.
«Die Kinos in Zürich haben nur eine Chance, wenn sie enger zusammenarbeiten. Ansonsten nehmen wir uns gegenseitig das Publikum weg und verlieren am Ende alle.»
Frank Braun, Programmleiter Riffraff und Houdini
Das klingt optimistisch. Was machen Sie besser als andere Kinos?
Ein Kino erfolgreich zu führen, war schon immer eine Herausforderung. Die Besucher:innenzahlen sind seit den 80ern rückläufig. Viele Kinos erweitern ihr Programm, veranstalten Themenabende oder ähnliches, um wieder mehr Leute in die Kinosäle zu bringen. Ja, auch unser Programm ist gespickt mit Spezialveranstaltungen, mit Festivals, Konzertübertragungen oder Publikumsgesprächen. Doch betone ich immer wieder, dass sich Kinos auf ihre Stärken besinnen müssen. An erster Stelle ist das Kino ein Kino.
Sie konzentrieren sich also auf das Kerngeschäft und können dadurch überleben?
Kurz gesagt: Ja. Natürlich nützt der Glaube an die Zukunft des Kinos nichts, wenn wir nicht kostenbewusst unterwegs sind. Wir überprüfen laufend die Ergebnisse und packen Möglichkeiten, unser Angebot weiter zu entwickeln.
Trotz der vielen Schliessungen: Mit 16 Kinos gibt es in der Stadt Zürich nach Bern schweizweit die meisten Kinos. Wie stark spüren Sie den Konkurrenzdruck?
Dieser ist gross. Darum bin ich überzeugt, dass die Kinos in Zürich nur eine Chance haben, wenn sie enger zusammenarbeiten. Ansonsten nehmen wir uns gegenseitig das Publikum weg und verlieren am Ende alle. Vor zwei Jahren haben wir dies mit dem ehemaligen Kosmos vollzogen, indem wir die Filmprogrammation zusammenlegten.
Dennoch war das Kosmos für die Neugass-Kinos, also Riffraff, Houdini und Bourbaki in Luzern eine direkte Konkurrentin.
Ja, die Schliessung haben wir sehr deutlich gespürt. Nachdem das Kosmos zugemacht hat, ist unser Marktanteil um 30 Prozent gestiegen. Den Arthouse-Kinos erging es ähnlich, was uns gezeigt hat, dass das Kino an der Europaallee nicht nur bei uns Publikum abgezogen hat.
Das Zurich Film Festival (ZFF) übernimmt nun das ehemalige Kosmos und neu wird es Frame heissen. Wie haben Sie auf diese Nachricht reagiert?
Ich war überrascht und ehrlich gesagt auch etwas baff.
Wieso baff?
Wir haben uns ebenfalls als potentielle Nachfolger:innen beworben. Uns sagte die SBB damals, wir seien die einzigen Kinobewerber:innen. Als wir aus der Zeitung erfahren haben, dass das ZFF in den Gebäudekomplex kommt, war das für uns schon ein ziemlicher Affront.
Die Betreiber:innen des ZFF haben keine Erfahrung im täglichen Kinogeschäft. Kann das funktionieren?
An ihrem Idealismus zweifle ich nicht. Mit dem Festival werden sie die Säle für zehn Tage gut füllen können. Das haben sie bereits bewiesen. Was danach geschieht, werden wir sehen. Das ZFF schlüpft in eine Rolle, die es noch nicht kennt. Die sechs Kinosäle im ehemaligen Kosmos haben eine grössere Kapazität als das Riffraff und das Houdini zusammen. Ich habe den Eindruck, dass das tägliche Kinogeschäft im Frame finanziell gesehen eine untergeordnete Rolle spielen wird und die Räumlichkeiten anderweitig vermarktet werden.
Hinter dem ZFF steht die bürgerlich geprägte und profitorientierte NZZ Group. Zudem wird das Festival staatlich subventioniert. Wird das Frame zur neuen Tonangeberin in der Zürcher Kinolandschaft?
Natürlich gibt es eine gewisse Angst, wie es weitergehen wird. Ich denke aber nicht, dass die NZZ Group mit dem Frame die Zürcher Kinolandschaft aushebeln wird. Vielmehr packen sie damit die Gelegenheit, an der Europaallee Fuss zu fassen. Was die Subventionen angeht: Diese sind ans Festival gebunden und nicht fürs Frame.
Was ist dann Ihre Sorge?
Klar ist es nur richtig, solche modernen Kinosäle wieder zu öffnen. Doch das Frame wird keinen zusätzlichen Publikums-Boost bringen. Das Publikum wird sich verteilen und ausgedünnt in den Sälen sitzen. Am Ende verlieren alle. Nochmals: Es funktioniert nur gemeinsam.
«Es ist wichtig zu verstehen, dass Kinos zwar privat finanziert werden, aber dennoch einen bedeutenden kulturellen Beitrag leisten.»
Frank Braun über den gesellschaftlichen Stellenwert von Kinos
Mit dem Kosmos gab es eine enge Zusammenarbeit in der Programmgestaltung. Wie zuversichtlich sind Sie, dass eine solche Zusammenarbeit auch mit dem Frame entsteht?
Die neuen Betreiber:innen wollen das Frame möglichst autonom führen. Dabei kommen wir mit guten Absichten und Erfahrung. Und am Ende geht es uns sowie auch dem ZFF um dasselbe, nämlich um den Erhalt und die Förderung der Zürcher Kinokultur. Wenn es dem ZFF wirklich ernst ist, spricht alles für eine Zusammenarbeit.
Neben einer Zusammenarbeit innerhalb der Branche sind staatliche Subventionen für viele Kulturinstitutionen essenziell. Wie wichtig sind sie für Sie?
Sie wären enorm wichtig, aber derzeit sind sie kaum vorhanden. Unter bisherigen «normalen» Umständen wie vor der Pandemie machen sie drei Prozent unseres Jahresumsatzes aus. Das ist ein Tropfen auf dem heissen Stein. Es müsste klar mehr sein, wenn wir von Subventionen sprechen.
Das Opernhaus Zürich wird jährlich mit 80 Millionen Franken subventioniert und auch die Theater werden staatlich unterstützt. Die Zürcher Neugass Kino, also Riffraff, Houdini und Bourbaki, wurden 2021 mit gerade einmal 45'000 Franken vom Bundesamt für Kultur für «Spezialprogramme» gefördert. Ist Kino im Vergleich zum Theater keine Kultur?
Doch. Aber Kinos haben es kulturpolitisch sehr schwer, Gehör zu finden. Obwohl oder gerade weil sie zu den populärsten Kulturangeboten zählen, werden sie von vielen als rein kommerzielles Angebot gesehen. Es ist wichtig zu verstehen, dass Kinos zwar privat finanziert werden, aber dennoch einen bedeutenden kulturellen Beitrag leisten.
Gemeinsam mit anderen Kinobetreiber:innen arbeiten Sie derzeit an entsprechenden Konzepten. Wie stellen Sie sich eine Kino-Subventionierung in Zürich vor?
In der Stadt Zürich gibt es im Rahmen des jährlichen Nachkredits einen Antrag auf «Nothilfe». Es handelt sich um eine vorläufige Unterstützung als Fortsetzung der Covid-Ausfallentschädigung. Für das Jahr 2025 strebt die Abteilung Kultur von Stadt und Kanton die Etablierung einer ordentlichen Subvention für Kinos an. Die Kriterien werden noch erarbeitet. Das ist eine gute Entwicklung, auch wenn es uns nicht schnell genug geht.
Woran liegt das?
Lobbyarbeit und politischer Wille benötigen Zeit. Es liegt aber auch an den Kinobetreiber:innen. Das sind in der Regel KMUs mit einem Unternehmer:innenstolz. Sie haben jahrzehntelang ihren Kulturauftrag selbst definiert und scheuen sich nun davor, Auflagen erfüllen zu müssen, um Subventionen zu erhalten. Dabei geht es nicht mehr ohne: Man muss diesen Stolz ablegen und mit den Behörden zusammenarbeiten, wenn man als Kino weiterhin bestehen will.
Warum müssen Zürcher Kinos denn subventioniert werden, wenn offensichtlich die Nachfrage nicht vorhanden ist?
Subventionen werden aufgrund von klar messbaren Leistungskriterien vergeben. Gerade Kinos, die ein ambitioniertes Programm pflegen, haben einen fragilen Stand im Markt. Die Gefahr ist real, dass ohne finanzielle Unterstützung mittelfristig ein wesentlicher Teil des heutigen Angebots zu kollabieren droht. Umso mehr erscheint es heute als geradezu absurder Systemfehler, dass seit Jahrzehnten die Herstellung der Filme, sowie der Vertrieb stark subventioniert sind und - sozusagen auf den letzten Metern vor dem Ziel - die Förderung der Zugänglichkeit und Sichtbarkeit der Filme ausbleibt.
Eine solche Förderung wäre nice! Aber wir sind momentan auf Subventionen aus deiner Tasche angewiesen.
«Die aussergewöhnlich hohe Qualität des Zürcher Filmangebots wirkt sich auf das Angebot im gesamten Land aus.»
Frank Braun, seit über 30 Jahren im Kinogeschäft
Zürich sticht im deutschsprachigen Raum mit seiner Dichte an Arthouse-Kinos heraus. Geht diese Sonderstellung mit den bevorstehenden Schliessungen des Alba und Uto langsam verloren?
Diese Sonderstellung ist eine Auszeichnung und das Ergebnis einer langen Aufbauarbeit. Zürich hat die Möglichkeit, diesen Wert zu bewahren und sie weiterhin zu nutzen. Es ist ja mit vielem so in Zürich. Die Stadt definiert sich längst nicht mehr nur als Wirtschaftsstandort, sondern ist ein kultureller Katalysator, der nicht an den Stadtgrenzen Halt macht. Die aussergewöhnlich hohe Qualität des Zürcher Filmangebots wirkt sich auf das Angebot im gesamten Land aus.
Wie?
Wenn ein Film hier keine Leinwand mehr findet, wird er auch anderswo kaum mehr zu sehen sein. Zürich hat damit auch eine Verantwortung.
Wie war es überhaupt möglich, dass sich hier im Vergleich zu anderen Städten so viele Arthouse-Betriebe halten konnten?
Da gehen zwei Hand in Hand: Das Publikum - mit seiner Neugier und Offenheit - und die filmbegeisterten Akteur:innen mit ihrem Engagement. Nein, in diesem Fall trifft den Staat keine Schuld! Aber die Einladung gilt, es wäre noch besser zu dritt.
Was treibt Sie trotz all der Herausforderungen an, weiterhin Kino zu machen?
Das Kino ist und bleibt für mich die Kür der Kultur. Je länger, je mehr mag ich das Ritual, das mit dem Gang ins Kino verbunden ist. Im Kino gibt es diese besondere Art der Interaktion, auch wenn sie abstrakter ist als vor einer Bühne. Ich sitze im Dunkeln, bin aber wach, habe alle meine Fühler ausgefahren und versinke gleichzeitig tief in mich hinein. Und doch bin ich Teil einer Gemeinschaft. Ich brauche diese Erfahrung immer wieder, um mich lebendig zu fühlen.
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