Leben mit Genitalherpes – «Sex war das Letzte, woran ich in diesem Moment gedacht habe»

Mit einer Geschlechtskrankheit leben zu lernen, kann ein sehr langwieriger Prozess sein, den manche nie ganz zu Ende gehen können. Warum die gesellschaftliche Tabuisierung es so viel schwerer macht und warum reden hilft, erzählt Stephi, die in den letzten fünf Jahren gelernt hat, mit Genitalherpes zu leben.

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Bild: Stephi

Unsere Gesellschaft kennt viele Tabus, wenn es um das Thema Gesundheit geht. In der Tabu-Serie porträtieren wir Menschen, die sonst nicht oft zu Wort kommen.

«Sie können in den nächsten paar Tagen keinen Sex haben», war die Ansage der untersuchenden Ärztin, als Stephi vor fünf Jahren positiv auf Gentialherpes getestet wurde. «Das kam bei mir völlig falsch an, denn Sex war natürlich das letzte, woran ich in diesem Moment gedacht habe», erzählt die 31-Jährige. Stephi wurde damals mit starken Unterleibsschmerzen und Bläschen am Genitalbereich in ein Zürcher Spital eingewiesen. «Ich dachte zuerst, es sei eine Blasenentzündung», erinnert sie sich, «aber irgendwann wurde es so extrem, dass ich fast nicht mehr laufen konnte.»

Die Wortwahl der Ärzt*innen war etwas, womit Stephi am Anfang ihrer Diagnose zu kämpfen hatte: «Ich hatte teilweise das Gefühl, dass diese Wortwahl einen aufs Neue stigmatisiert. Für Ärzt*innen ist es ja nicht so einschneidend und wichtig wie für einen selber. Und das macht es extrem schwierig, Verständnis von ihnen zu bekommen, so dass man Klarheit findet und sich richtig informiert fühlt.»

Klarheit zu erlangen, Fragen auf ihre Antworten zu finden, war für Stephi am Anfang das wichtigste als sie erfuhr, dass sie sich mit dem Herpes simplex Virus Typ 1 (HSV-1) angesteckt hat. Dieses Virus tritt im Gegensatz zu HSV-2, dem «typischen»Genitalherpes, meist im Mundbereich auf. Deshalb ging sie auch davon aus, dass die Ansteckung beim Oralsex passiert sein musste, denn ihr damaliger Partner hatte wenige Tage später auch Fieberbläschen an den Lippen. «Doch letztlich ist auch das nicht gesichert», erklärt sie: «Es könnte auch möglich sein, dass ich den Virus schon länger in mir trug und der Ausbruch erst zu diesem Zeitpunkt provoziert wurde.»

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Verleugnung, Wut, dann Verlust

Viele Fragen bleiben offen –, und die Komplexität, die das verursacht, mache es teilweise sehr schwer, mental mit der Krankheit umzugehen, erzählt Stephi. Sie sei durch verschiedene Phasen gegangen: Verleugnung, Wut, dann Verlust: «Ich hatte das Gefühl, meine sexuelle Freiheit verloren zu haben, von wegen: Jetzt wird alles anders, alles wird eingeschränkt. Es gibt so viele Hürden und Vorkehrungen, die ich treffen muss, dass ich Sex wahrscheinlich nicht mehr geniessen kann.» Doch die letzte Phase der Auseinandersetzung führte sie schliesslich zur Akzeptanz ihrer Diagnose.

«Ganz am Anfang bin ich oft in Zürich herumgelaufen und habe inmitten dieses Wohlstands und dieser Perfektheit gedacht: Mein Gott, ich bin jetzt die einzige Person, die sich mit dem Thema auseinandersetzen muss und davon gestresst ist. Da habe mich wirklich alleine gefühlt. Aber wenn man sich dann Statistiken anschaut, stellt man fest, dass jede vierte bis fünfte Person Herpes hat.» Trotzdem war es für sie damals schwierig, Anlaufstellen zu finden. Sie recherchiert auf eigene Faust und trifft auf Facebook schliesslich auf Support-Communities.

«In diesen Gruppen waren besonders viele Amerikaner*innen», erzählt Stephi: «Man merkte, dass es in Amerika mehr organisierten Support gibt.» Am Anfang seien die Gruppen sehr hilfreich gewesen, «auch, um auf Leute zu treffen, die die Krankheit schon akzeptiert haben, selbstbewusst damit umgehen und inzwischen anderen damit helfen können.»

Dating-Apps für Menschen mit Geschlechtskrankheiten

Nach einer Weile habe sie sich aber wieder etwas zurückgezogen, da sie sich nicht nur in einem Umfeld bewegen wollte, das sich über eine Geschlechtskrankheit definiert. Deshalb kommen für sie auch heute spezielle Dating-Apps für Menschen mit Geschlechtskrankheiten wie PostiveSingles oder Hdate nicht in Frage, denn: «Damit macht man sich zur isolierten Gruppe. Das sind für mich Limitierungen, die ich nicht akzeptieren will.»

Stephi teilt ihre Geschichte gern. Das Sprechen darüber habe sie erst lernen müssen, aber es sei Teil eines Prozesses gewesen, mit der Krankheit umgehen zu lernen. Sie habe sich nie dafür geschämt, Herpes zu haben, sagt sie, aber: «Ich hatte immer das Gefühl, ich muss mich dafür rechtfertigen, dass ich es bekommen habe. Im Sinne von: Ich sei nicht verantwortungsbewusst gewesen. Mit den Jahren habe ich gelernt, mich davon komplett zu befreien. Ich weiss, wer ich bin und wie ich handle und dass ich mich nicht rechtfertigen muss.»

Stephi wusste immer, dass sie gute Leute um sich hat und dass sie von ihnen Unterstützung bekommt, wenn sie sie braucht. Deshalb konnte sie sich ihren Freund*innen gegenüber öffnen. «Wenn ich das Gefühl habe, ich muss das als Geheimnis mit mir herumtragen, dann belastet es mich mehr, als wenn ich einfach darüber reden kann», erklärt sie. Letzteres habe auch grundsätzlich eine neue Welt eröffnet für Themen, über die man allgemein nicht so offen spricht: «Das finde ich auch schön. Aber es gibt sicher viele Leute, die nicht so ein stabiles Netz haben. Für die ist es dann viel schwieriger, solche Themen anzusprechen, weil sie dann Angst haben zurückgewiesen oder als Aussenseiter*in dargestellt zu werden.»

Die Tabuisierung der Krankheit habe gerade bei Herpes enorme Auswirkungen, denn ein Ausbruch, der sich im Fall von Stephi mal durch Bläschen im Genitalbereich, mal ganz ohne Symptome zeigt, kann durch Stress verursacht werden, erklärt Stephi: «Dann gerät man in eine Art Teufelskreis. Je mehr es einen stresst, damit umgehen zu müssen, desto eher kann es sein, dass der Körper reagiert und man mehr Ausbrüche hat. Dann wird die Krankheit schwer zu kontrollieren. Hinzu kommt dann bei vielen Leuten das Schamgefühl, so dass sie sich gar nicht erst behandeln lassen wollen.»Sie kenne Leute, die die Krankheit nach einem Jahr akzeptiert hätten und andere, die sie auch nach 20 Jahren noch nicht akzeptieren könnten. Für manche Menschen sei es gar so schlimm, dass sie sich deshalb das Leben nehmen würden.

Jeden Tag Medikamente? Nein danke

Eine Geschlechtskrankheit macht auch Absprachen mit Sexualpartnern nötig: «Das sind sicherlich die schwierigsten Unterhaltungen, aber sie sind für mich extrem wichtig, um damit unsere Rahmenbedingungen festzulegen.» Ein Punkt, der Stephi wichtig ist: Sie will nicht jeden Tag Medikamente gegen die Krankheit nehmen müssen, denn diese sei nicht lebensgefährlich und sie könne gut damit leben. Die Haut heile nach einem Ausbruch wieder von selbst, wohingegen ein Medikament die tägliche Erinnerung daran sei, dass etwas mit einem nicht stimme: «Deshalb habe ich immer ganz klar kommuniziert: Das ist meine Meinung, so will ich leben und das ist eine Voraussetzung. Meinen Freund stört das überhaupt nicht. Für ihn ist das so okay und er ist auch gut über Herpes informiert. Das hilft mir. Ich könnte nicht mit jemandem zusammen sein der Angst hat, es auch zu bekommen. Das ist etwas, das mental stressen und damit einen Ausbruch verursachen kann. Schlussendlich hat man einfach keine Garantie – nicht im Sexleben und nicht im Leben generell. Passieren kann immer was.»

Stephis Leben mit Herpes hat sich derweil eingependelt: Sie lebt inzwischen in London und hat sexuelle Gesundheit in ihrer Masterarbeit zum Thema gemacht. Je länger sie die Krankheit hat, desto seltener werden die aktiven Ausbrüche, der letzte liegt jetzt zwei Jahre zurück.

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