Anna Rosenwasser zum feministischen Streik: «Ich bin ein stolzer Giftzwerg»
Der feministische Streik lockte am Montag zehntausende Frauen* auf die Strasse. Darunter auch die LGBTQ-Aktivistin Anna Rosenwasser. In ihrer Rede spricht sie über Wut, über «Normalität» und dass der Feminismus ihr gelehrt hat, sich selbst zu lieben.
Anlässlich des feministischen Streiks vom Montag 14. Juni publizieren wir hier die Rede von Anna Rosenwasser. Sie ist freie Autorin und LGBTQ-Aktivistin, die in Schaffhausen aufgewachsen ist und in Zürich lebt.
Liebe Gefährder:innen
Ich gratuliere uns allen zum 50-jährigen Frauenstimmrecht.
Ehrlich gesagt: Ich muss mir Mühe geben, das zu feiern. 50 Jahre ist voll nicht viel. Missy Elliott ist älter als das Frauenstimmrecht. Corine Mauch ist älter als das Frauenstimmrecht. Mein Mami ist älter als das Frauenstimmrecht. Eure Mamis vielleicht auch.
Was ich sagen will, ist: Es ist voll nicht lange her, seit die Schweizer Männer es knapp für eine okaye Idee hielten, Frauen mitreden zu lassen.
Ich habe noch nie verstanden, warum vor 50 Jahren die Männer darüber entscheiden mussten, ob Frauen Rechte haben dürfen. Mittlerweile habe ich ein Politikstudium an der Uni hinter mir und ich verstehe es noch immer nicht. Warum stimmen diejenigen, die Macht haben, darüber ab, ob andere... auch dürfen?
Das wäre ja, als würden christliche Männer darüber bestimmen, was muslimische Frauen machen dürfen. Oder ü60-Leute darüber, ob diejenigen unter 20 eine lebenswerte Zukunft haben. Oder als würden heterosexeulle Menschen darüber abstimmen, ob Homosexuelle und Bisexuelle mehr Rechte verdient haben. Was für eine absurde Vorstellung.
Widersprechen ist eine der besten Erfindungen ever.
An den Abstimmungsresultaten vom Sonntag haben wir gesehen, auf welcher Seite das Herz der Schweizer Stimmberechtigten wirklich schlägt. Als Feminist:innen kämpfen wir also für Menschenrechte in einem Land voller rechter Menschen.
Diejenigen, die vom Status Quo profitieren, haben keinen Grund, Fortschritt zu befürworten. Darum ist der feministische Streiktag auch eine Erinnerung daran, dass das, was als normal gilt, nichts taugt.
Die rechte Mehrheit in der Schweiz gilt als normal. 18 Prozent weniger verdienen aufgrund des Geschlechts gilt als normal. AHV retten auf dem Rücken der Arbeiterinnen gilt als normal.
Das Wort «Eidgenosse» gilt als normal.
Wenn du heute Abend ein Date mit einem CEO hast, ist die Wahrscheinlichkeit wesentlich höher, dass dein Date Thomas heisst, als dass dein Date eine Frau ist.
Ich bin mit beidem nicht einverstanden: Dass so wenige Frauen CEOs sind UND dass es CEOs gibt. Das ist ein bisschen ein Widerspruch, und das ist okay. Feminismus ist komplex. Da gibt es manchmal Widersprüche. Widersprechen ist eine der besten Erfindungen ever. Im Gegensatz zur Erfindung vom Wort «Eidgenosse».
Liebe Gefährder:innen,
erlebt ihr das auch manchmal, dass man euch sagt: «Ja, din Aktivismus findi na easy, du bisch ja nöd so militant wie anderi Feministinne!» Es ist wirklich interessant, dass Feminismus nur dann toleriert wird, wenn er sanft und nett daherkommt.
Wenn Männer von Feminismus überzeugt werden müssen, heisst es zum Beispiel oft, «wir nehmen euch ja nichts weg!», und ich bin hier auf dieser Redner:innenbühne, um euch zu sagen: Doch. Doch, Feminismus nimmt Dinge weg.
Ich habe es satt, Leute davon zu überzeugen, dass Feminismus allen nützt, auch den Männern. Eine Menschenrechts-Bewegung muss nicht «allen nützen». Sie ist kein El-Bertin-Glace.
«Und wa isch mit de Manne?», wird am liebsten dann gefragt, wenn es gerade um Frauen geht. Ja, Roland, was ist mit den Männern? Wann hast du dich zuletzt für die psychische Gesundheit von Männern eingesetzt, Walter? Oder für mehr Elternzeit? Oder für weniger Gewalt an Männern? Geht es dir wirklich um die Rechte der Männer, Rolf, oder einfach darum, dass dir Frauenrechte egal sind und du ablenken willst? Good news, Hans, good news: Feminismus nützt auch Männern. Das hättest du googeln können.
Es ist noch kein sozialer Wandel geschehen, weil wir höflich und leise gefragt haben.
Liebe Gefährder:innen,
ich weiss, das klingt jetzt alles ziemlich hässig. Das liegt daran, dass ich hässig bin.
Wenn ich als kleines Mädchen hässig war, haben sich meine drei Brüder gern zusammengetan und im Chor Giftzwerg, Giftzwerg gerufen, um mich für meine Gefühle auszulachen. Es war gewissermassen eine Vorbereitung auf mein Erwachsenenleben: Unsere Gesellschaft nimmt hässige Leute, die keine Männer sind, nicht ernst. Männer, die wütend werden, sind Autoritätspersonen. Frauen, die wütend werden, gelten als unfähig. Und an nonbinäre Personen glaubt man sowieso nicht, egal, welche Gefühlszustände sie haben.
«Fraue mached immer Drama!», ist so eine lustige Aussage, wenn man in die Geschichte der Menschheit blickt und mal kurz nachsieht, welches Geschlecht Kriege angezettelt hat. Und ihr nennt MICH Giftzwerg?
Aber ist schon easy. Ich bin ein stolzer Giftzwerg. Ich verstecke es manchmal strategisch, um als nette höfliche Frau vor irgendeine Kamera zu kommen, damit auch die Rolands und Walters mich ernstnehmen, aber ich bin eigentlich noch immer hässig. Während mir das Patriarchat einreden will, dass mein Hässigsein daneben ist, habe ich nämlich gelernt, dass Hässigsein das ist, was die Welt weiterbringt. Es ist noch kein sozialer Wandel geschehen, weil wir höflich und leise gefragt haben: «Äxgüsi, dörfemer ächt es bitzli Glichberächtigung ha, wänns kei Umständ macht?»
Liebe Gefährder:innen,
wir machen Umstände. Wir machen Aufstände.
Feminismus ist das, was mich aufstehen lässt, fast jeden Tag. Feminismus hat mir beigebracht, dass die ganzen Konkurrenz-Geschichten über Zickenkrieg und Stutenbissigkeit Bullshit sind. Dass es keine falsche Art gibt, eine Frau zu sein, und keine falsche Art, irgendein Geschlecht zu verkörpern.
Feminismus hat mir beigebracht, dass es nicht falsch ist, wen ich liebe. Und dass es richtig ist, dass ich mich selbst liebe. Das alles ist der Grund, warum ich heute am feministischen Streik bin, und das ist so viel mehr als das Frauenstimmrecht. Dank Feminismus weiss ich, dass das, was ich bin, genau richtig ist: Ein mega hässiger Giftzwerg.
Auf dass wir noch ganz vieles in Gefahr bringen, liebe Gefährder:innen.
Alles Gute zum Streiktag.
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