Wählen und abstimmen mit 16 Jahren? Jungparteien sind sich uneinig
Im Mai stimmen wir über das Stimm- und Wahlrechtsalter ab 16 Jahren ab. Laura Fischer von der Juso und Lea Sonderegger von den Jungfreisinnigen haben eines gemein: Sie beide waren bereits als Jugendliche politisch aktiv. Ihre Meinungen zur Senkung des Alters driftet aber auseinander.
Nur wer alt genug für die Steuererklärung ist, soll auch wählen dürfen; heisst es von der einen Seite. Wenn es um Entscheide für die Zukunft geht, muss die Jugend mitentscheiden können; sagt die andere Seite.
Und die Wissenschaft sagt: Es würde sich eh nicht viel ändern mit dem Stimmrechtsalter 16.
Um diese Senkung des Stimm- und Wahlrechtsalter von 18 auf 16 Jahren stimmt die Bevölkerung des Kantons Zürich am 15. Mai ab. Für die Wahl in öffentliche Ämter würde weiterhin das Mindestalter von 18 Jahren gelten, das heisst, eine 16-Jährige kann keine Gemeinderätin werden. Ende 2021 gab es im Kanton Zürich 22’731 16- und 17-Jährige mit Schweizer Bürgerrecht. Sie würden 2,4 Prozent der Stimm- und Wahlberechtigten ausmachen.
Links- und Mitteparteien sowie der Regierungsrat, die Mehrheit des Kantonsrats und das Zürcher Jugendparlament befürworten die Vorlage, bekämpft wird sie von FDP, SVP und EDU. Bei den Jungparteien sieht es ähnlich aus. Das Vorhaben bekämpfen die JSVP und die Jungfreisinnigen.
Von der Zukunft betroffen
Für die Befürworter:innen sprechen vor allem zwei Gründe für das Stimmrechtsalter ab 16 Jahren: Es sei für die Demokratie wichtig, die Teilhabe und das politische Interesse von jungen Menschen zu stärken. Auch weil die Lebenserwartung weiterhin steigt, haben junge Menschen im Vergleich mit dem Rest der Bevölkerung immer weniger Gewicht. Zudem betreffen wichtige politische Entscheidungen die Jungen in Zukunft: sei es das Rentenalter, Steuerfragen oder der Klimawandel. «Menschen, die von Entscheidungen am längsten betroffen sind, sollten auch mitbestimmen», sagt Laura Fischer, Co-Präsidentin der Juso Kanton Zürich. Die 22-Jährige engagiert sich im Ja-Komitee und studiert an der Universität Zürich Philosophie und Politikwissenschaften.
Die Juso hätte kein Nachwuchsproblem, dennoch habe diese Vorlage eine selbstverstärkende Wirkung. «Wir hoffen, dass sich das Interesse an Politik bei Jugendlichen erhöht», sagt Fischer. Auch sieht sie neue Chancen für Parteien bei den 16- und 17-Jährigen: Parteien – nicht nur Jungparteien – könnten vor Berufsschulen und Gymnasien beispielsweise für ihre Anliegen Unterschriften sammeln.
Kritik an der Gegenkampagne
In Glarus können seit 2007 16-Jährige mitbestimmen. Ansonsten konnte sich das tiefere Stimmrechtsalter in der Schweiz bisher nicht etablieren. In diversen Kantonen scheiterte eine solche Abstimmung bereits. Im Kanton Bern soll voraussichtlich im Herbst über eine Vorlage zum Stimmrechtsalter 16 abgestimmt werden. Dennoch, Laura Fischer scheint positiv gestimmt. Und klappe es auf kantonaler Ebenen nicht – dann auf nationaler. Denn da ist die Senkung ebenfalls Thema: Der Nationalrat hat am 16. März mit 99:90 Stimmen Ja zum Stimmrechtsalter 16 gesagt. Die Zuständige Kommission erarbeitet momentan eine konkrete Vorlage.
«Das Nein-Lager bespielt Vorbehalte gegenüber jungen Menschen.»
Laura Fischer, Juso
Dennoch, ein Nein am 15. Mai würde die Juso-Präsidentin enttäuschen: «Das Nein-Lager bespielt Vorbehalte gegenüber jungen Menschen und sie schüren einmal mehr Ängste. Sie arbeiten mit falschen Fotos und falschen Statements.» Fischer spielt damit auf die Nein-Kampagne an. Keine Steuern zahlen, aber über eine Steuererhöhung entscheiden? «What the fuck? Das Stimmrechtsalter 16 macht null Sinn!», sagt die 16-jährige Sofie auf der Internetseite des Nein-Komitees. Nur gibt es diese Sofie nicht und das sorgte für Kritik. Die Statements seien erfunden und die Bilder von einer Agentur, heisst es auf 20 Minuten.
Wer Steuern zahlt, soll abstimmen – auch Ausländer:innen?
Für Lea Sonderegger, Vizepräsidentin der Jungfreisinnigen Kanton Zürich und FDP-Gemeinderätin in Dietikon, sind diese Vorwürfe aus dem Leeren gegriffen. Die Stockfotos seien nur eines von vielen Kampagnenelementen gewesen. Das Nein-Lager hätte eine breite Unterstützung von jungen Leuten.
Die Kampagne mag für Kritik sorgen, doch sie bringt das Hauptargument der Gegner:innen auf den Punkt: Die Rechte seien nicht von den Pflichten zu trennen. «Wer mitreden kann und abstimmen darf, muss auch Pflichten wahrnehmen, wie etwa Steuern bezahlen», sagt Sonderegger. Die 18-Jährige war zuvor zwei Jahre im Vorstand des Jugendparlaments und schliesst diesen Sommer das Gymnasium ab.
So einfach ist diese Gleichung «Wer Steuern zahlt, darf mitbestimmen» aber nicht. Eine Gruppe, die zwar Steuern zahlt, jedoch nicht abstimmen darf, sind in der Schweiz beispielsweise Ausländer:innen. Auf die Frage, ob sie denn für das Ausländer:innenstimmrecht wäre, wollte Sonderegger keine Stellung nehmen. Die Jungfreisinnigen hätten dazu kein Positionspapier.
Dass eine Partei, die Wert auf Freiheit und Eigenverantwortung legt, gegen das Stimm- und Wahlrecht ab 16 Jahren ist, versteht Laura Fischer nicht. «16- und 17-Jährige wollen sich ihrer Eigenverantwortung und Freiheit entsprechend einbringen. Nun stellen sich dieselben Parteien, die diese Werte bei jeder Gelegenheit für sich proklamieren, dagegen», sagt Fischer. Sonderegger auf der anderen Seite sieht genau diese Eigenverantwortung als Grund gegen die Vorlage: «Für all unsere Entscheidungen sind wir erst ab 18 Jahren vollumfänglich verantwortlich.»
Ernüchternde Worte aus der Wissenschaft
Fischer hofft mit dieser Abstimmung auf eine Verjüngung der Politik. «Plakatsujets, Slogans und Abstimmungsmaterial sind oft für 57-jährige Medianwähler:innen gedacht. Ein Ja zum Stimmrechtsalter 16 würde Anlass bieten, mit Kampagnen die jüngeren Generationen generell mehr anzusprechen», sagt die Juso-Politikerin.
Dass die Jungen plötzlich in Scharen an die Urne stürmen würden, ist aber eher unwahrscheinlich. «Jugendliche und junge Erwachsene nehmen im Vergleich zu älteren Menschen weniger politisch teil», sagt Daniel Kübler, Professor für Demokratieforschung und Public Governance an der Uni Zürich.
Er ist ebenfalls Leiter der Abteilung für Allgemeine Demokratieforschung am Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA). Eine Studie des ZDA untersuchte die politische Teilhabe in Glarus. Je jünger eine Person sei, desto weniger beteiligt sie sich am politischen Geschehen, sagt der Politologe. Und deshalb würde sich gar nicht so viel ändern, wenn nun 16-Jährige mitbestimmen können: «16- und 18-Jährige gehören beide in jene Altersgruppe, die sich wenig beteiligt. Das fällt also kaum ins Gewicht. Auch hat sich beispielsweise das Abstimmungsverhalten nach 1991, als das Stimmrechtsalter von 20 auf 18 gesetzt wurde, nicht gross verändert.»
«Inklusivität ist ein Merkmal einer guten Demokratie.»
Daniel Kübler, Politologe
Kübler ist für das Stimmrechtsalter ab 16 Jahren: «Aus pragmatischer Sicht gibt es nichts, das gegen die Senkung spricht.» Ein gewisses Verständnis habe er für das Argument, dass die Rechte und Pflichten nicht zu trennen seien. «Mit 16 Jahren ist man zwar nicht volljährig aber urteilsfähig. Das Herabsetzen auf 16 ist daher vertretbar», fügt er an.
Viel wichtiger bei dieser Abstimmung sei das Demokratieverständnis. «Inklusivität ist ein Merkmal einer guten Demokratie. Alle, die betroffen sind, sollen auch mitbestimmen», sagt Kübler. Auch wäre er für das Stimm- und Wahlrecht für Ausländer:innen.
Wer Bescheid weiss, geht an die Urne
Die Jungfreisinnigen Kanton Zürich haben einstimmig die Nein-Parole gefasst. Sich selbst hätte die 18-Jährige Vizepräsidentin schon vor einem Jahr zugetraut, zu wählen und abzustimmen: Politik sei ihr Hobby, seit sie 15 Jahre alt ist. Jene Jugendlichen, die sich für Politik interessierten, seien auch fähig mitzuentscheiden. «Aber die meisten interessieren sich nicht für Politik und haben entsprechend auch nicht das nötige Wissen und hinterfragen nicht kritisch», sagt Lea Sonderegger.
«Die meisten jungen Menschen interessieren sich nicht für Politik und haben auch nicht das nötige Wissen.»
Lea Sonderegger, Jungfreisinnige
Politische Kompetenzen seien wichtig, dem stimmt Laura Fischer zu. «Es gehen Menschen jeder Alterskategorie an die Urne, ohne die Vorlagen im Detail zu kennen», fügt Fischer an. Durch mehr politische Bildung sollte dem entgegengewirkt werden. «Aber eine Demokratie zeichnet sich auch dadurch aus, dass einem das Stimm- und Wahlrecht ohne Kompetenznachweis gegeben ist.» Für 16- und 17-Jährige sollte darum der gleiche Massstab gelten, wie für über 18-Jährige. Der Anspruch, dass Jugendliche über alles Bescheid wissen müssten, um an die Urne zu gehen, findet sie unfair.
Für Lea Sonderegger ist klar, mehr Investitionen in politische Bildung sei die bessere Methode als das Stimmrechtsalter 16, um die Stimmbeteiligung bei Jugendlichen zu erhöhen. Laura Fischer und Daniel Kübler auf der anderen Seite plädieren ebenfalls für mehr politische Bildung, aber auch für das Wahl- und Stimmrecht ab 16 Jahren. Denn junge Menschen seien durch genügend politisches Wissen fähig, sich ihre Meinung zu bilden.
Stimmrechtsalter 16Ausgangslage Bisher gilt im Kanton Zürich das Stimm- und Wahlrechtsalter ab 18 Jahren. Das bedeutet, dass im Kanton Zürich wohnhafte Personen mit dem Schweizer Pass ab ihrem 18. Lebensjahr abstimmen und wählen können. Sie haben also das Stimmrecht und das aktive Wahlrecht. Diese Personen können sich ebenfalls selber zur Wahl stellen. Sie haben also auch das passive Wahlrecht. Der Kantonsrat Zürich hat beschlossen, das Stimmrechtsalter und das aktive Wahlrechtsalter auf 16 Jahre zu senken. Dafür braucht es eine Änderung der Kantonsverfassung. Eine Verfassungsänderung untersteht dem obligatorischen Referendum. Deshalb stimmen wir nun darüber ab. Was würde sich ändern? Wird die Vorlage angenommen, gibt es eine Änderung der Kantonsverfassung. Neu dürfen im Kanton Zürich wohnhafte Personen mit dem Schweizer Pass ab 16 Jahren auf Gemeinde- und Kantonsebene abstimmen und wählen. Sie erhalten somit das Stimmrecht und das aktive Wahlrecht. Personen ab 16 Jahren können sich aber weiterhin noch nicht selber zur Wahl stellen. Wählbar bleiben wie bisher nur Personen ab 18 Jahren. Diesen Text durften wir von easyvote übernehmen – vielen Dank! |