Stadtspaziergang in Altstetten: Zwischen Aufwertung und Verdrängung
Die Wohnkrise ist in Altstetten mit blossen Augen sichtbar. Wo einst günstige Wohnungen standen, ragen heute Baukräne und Hochhäuser in die Höhe. Urbanistin Sabeth Tödtli führte am vergangenen Montag durch das Quartier im Zürcher Kreis 9 und zeigte, warum gerade hier der Kampf um bezahlbaren Wohnraum besonders hart geführt wird.
Sozialer Druck im Verdichtungsgebiet
An der Hohlstrasse beginnt der Rundgang. Hier, am Rand des SBB-Areals, zeichnet Sabeth Tödtli die grossen Linien des Quartiers nach. Altstetten – einst eigenständige Gemeinde, seit 1934 Teil der Stadt Zürich – bildet heute zusammen mit Albisrieden den Kreis 9.
Das durchschnittliche Einkommen liegt hier etwas unter dem städtischen Schnitt, der Ausländer:innenanteil ist leicht höher. Der Kreis 9 zählt zu den grossen Verdichtungsschwerpunkten Zürichs – ein Umstand, der den Druck auf bezahlbaren Wohnraum zusätzlich erhöht.
Zu den grossen Grundeigentümer:innen im Quartier gehören die SBB, die Familie Halter und die UBS. Ihr Einfluss prägt nicht nur das Stadtbild, sondern auch die Frage, wer sich das Leben in Altstetten künftig noch leisten kann.
Wohnen versus Rendite auf dem SBB-Areal
Das Areal der SBB-Werkstätte wird vor allem gewerblich genutzt. Einige Schritte stadtauswärts hat die SBB jedoch auch mehrere Hundert Wohnungen zu Marktpreisen gebaut. Pro Zimmer werden über Tausend Franken verlangt.
Ein ganz anderes Bild zeigt sich auf einem Stück Land, welches die Stadt Zürich der SBB abkaufen konnte. Dort entstehen neue Wohnhäuser, errichtet von der Stadt und zwei städtischen Stiftungen. Die Mieten werden hier deutlich günstiger. «Man kann auch kostengünstig bauen, wenn man keine Rendite erzielen möchte», erklärt Tödtli.
Der Druck globaler Investitionen
Weiter geht es zu den Neubauten der Mobimo AG auf dem Labitzke Areal. Hier spricht Tödtli über den steigenden Anlagedruck auf Boden. Schweizer Land sei eine stabile und attraktive Geldanlage – auch für globales Kapital. Die «Lex Koller», einst als Schutz gegen ausländischen Landerwerb gedacht, wurde 2005 gelockert. Seither dürfen globale Investor:innen indirekt in Schweizer Boden investieren. Der Druck auf den knappen Boden steigt – und mit ihm die Mieten.
Verdrängung durch Neubau: Mieter:innen unter Druck
Die nächste Station: Zwei Siedlungen im Besitz der Familie Halter. Mit dem geplanten Abriss verlieren rund 800 Menschen ihr Zuhause. Ein Drittel von ihnen wird das Quartier verlassen müssen, mindestens ein weiteres Drittel sogar die Stadt.
Laut dem Recherchekollektiv «Mieten-Marta» besitzt die Familie Halter rund 2000 Wohnungen in Altstetten, Albisrieden und der Grünau. Damit wäre es möglich, während der Bauzeit Ausweichwohnungen anzubieten, sodass die Mieter:innen langfristig im Quartier bleiben könnten. Eine solche Lösung – etwa durch eine geschickt etappierte Rochade – wäre dank des umfangreichen Wohnungsportfolios der Familie Halter realisierbar, wird aber offenbar nicht umgesetzt.
Die Halter AG plant alleine für die Neubausiedlung «Letzigarten», 317 bezahlbare Wohnungen abzureissen und durch 376 neue zu ersetzen. Da die neuen Wohnungen voraussichtlich deutlich teurer sein werden, droht eine Verdrängung der heutigen Mieter:innen.
Die UBS-Pensionskasse und das Renditedilemma
Leerkündigungen sind auch bei der UBS-Pensionskasse ein Thema: In ihrer Siedlung zwischen Flüela- und Dennlerstrasse wurden allen 240 Bewohner:innen gekündigt. Geplant ist ein Neubau mit 520 Wohnungen. Doch ein genauer Blick zeigt: Zählt man die Anzahl Schlafzimmer, wächst das Angebot effektiv nur um etwa 50 Prozent.
Zwar ist ein etappierter Bau vorgesehen, sodass einige Mieter:innen theoretisch zurückkehren könnten. Für einen Wohnungswechsel gibt es jedoch keine festen Zusicherungen, und auch die zukünftigen Mietpreise sind unklar – was bei den Betroffenen zu einem Vertrauensverlust führt.
Die Gebäude sind erst 30 bis 40 Jahre alt – ein Teil-Abriss ist ökologisch kaum zu rechtfertigen. Das Problem dahinter: Pensionskassen sind verpflichtet, Renditen zu erwirtschaften. Günstiges Wohnen steht dabei oft im Weg. Dabei gerät jedoch häufig aus dem Blick, wie stark solche Entscheidungen die betroffenen Bewohner:innen und ihre Lebensrealität beeinflussen.
Das Kochareal – ein Hoffnungsschimmer?
Zum Schluss führt Tödtli zum Kochareal, das ursprünglich von der UBS für eine Wohnüberbauung geplant wurde. 2013 wurde das Areal besetzt, unter anderem als Protest gegen die damaligen Abrisspläne. Überraschend verkaufte die UBS das Grundstück später an die Stadt Zürich. Nun sollen hier rund 350 Wohnungen entstehen, die etwa Tausend Menschen ein neues Zuhause bieten.
Das Projekt verdeutlicht, dass durch öffentlichen Druck und städtisches Verhandlungsgeschick noch Land für preisgünstiges Wohnen gewonnen werden kann.
Diese Veranstaltung war Teil des Fokusmonat Wohnen. Zum ganzen Programm.
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Vera hat an der Universität Zürich Politikwissenschaft und Geschichte der Neuzeit studiert. Während ihres Studiums engagierte sie sich als Vorstandsmitglied im Fachverein Polito, wo sie verschiedene Events organisierte und Diskussionen zu aktuellen politischen Themen mitgestaltete. Ihr Interesse an Medien und politischer Teilhabe führte sie in den Bereich Civic Media, wo sie seit April 2025 als Praktikantin tätig ist.